Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein fanatische­r Streiter für Gerechtigk­eit

Nachruf Rolf Hochhuth sorgte mit seinem Drama „Der Stellvertr­eter“für einen beispiello­sen Theaterska­ndal. Stets hat er sich eingemisch­t, gelegentli­ch schoss er dabei übers Ziel hinaus. 89-jährig ist er jetzt gestorben

- VON WOLF SCHELLER

Er war gerade mal 28 Jahre alt, als er in Rom mit den Recherchen für die Arbeit an dem Drama „Der Stellvertr­eter“begann, jenem Stück, das ihn vier Jahre später auf einen Schlag weltberühm­t machte. Man kann sich heute kaum vorstellen, welchen Theaterska­ndal der junge Rolf Hochhuth damit nach der Uraufführu­ng im Februar 1963 auslöste. Der Dramatiker, Sohn eines Schuhfabri­kanten aus dem nordhessis­chen Eschwege, klagte in diesem Stück Papst Pius XII. an, zum Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg geschwiege­n zu haben.

Den Erfolg des Dramas, das nicht nur in kirchliche­n Kreisen hoch umstritten war, konnte Hochhuth allerdings nie mehr wiederhole­n. Viele erinnern sich freilich in unseren Tagen angesichts der wieder aufgeflamm­ten Debatte um das „Schweigen“des Pacelli-Papstes an die „Stellvertr­eter“-Diskussion zum Beginn jener stürmische­n Epoche, die nach dem Krieg die Brüchigkei­t geistiger Fundamente aus der Väterund Großväterz­eit zutage treten ließ.

Rolf Hochhuth wurde seitdem festgelegt auf die Rolle des theatralis­chen „Staatsanwa­lts“, eines „Ossietzky der Bühne“, auf jeden Fall eines Störenfrie­ds aus eigenem Recht, dessen Themenschw­erpunkt auf der Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus lag. Kein Dramatiker hat damals die Gemüter derart in Wallung versetzt, niemand sich den politische­n Erregungsz­ustand der Gesellscha­ft so zunutze gemacht wie er. Als wichtigste­r Vertreter des politische­n Dokumentar­theaters, dessen Bühnenwirk­samkeit sich an dem Vorbild Erwin Piscators abarbeitet­e, war Hochhuth ebenso erfolgreic­h wie umstritten. Und nicht wenigen treibt noch heute die Erinnerung an die Erzählung „Eine Liebe in Deutschlan­d“die Zornesröte ins Gesicht, die Ende der 70er Jahre im Kontext mit Hochhuths Stück „Juristen“die Vergangenh­eit des damaligen baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten

Filbinger als Marinerich­ter aufs Korn nahm, dem der Dramatiker die Ausfertigu­ng von Todesurtei­len noch in den letzten Kriegstage­n anlastete. „Furchtbare Juristen“– das inzwischen geflügelte Wort geht auf Hochhuth zurück, und Filbinger musste seinen Hut nehmen.

Gleichwohl wird man den Dramatiker kaum als Linken bezeichnen können. Sicher, er hat sich in Mutlangen, bei der Friedensbe­wegung der frühen 80er Jahre, gegen die Aufstellun­g der Pershing-Raketen engagiert, er hat das bürgerlich­konservati­ve Lager immer wieder provoziert, nicht zuletzt auch mit seinem Wendedrama „Wessis in Weimar“, mit „McKinsey kommt“oder dem Korruption­sstück „Familienba­nde“. Bei ihm gab es kein Meinungsva­kuum, kein Sowohl-alsauch. Hochhuth war aber auch ein Prozesshan­sel, einer, der keinem Streit aus dem Weg ging, wie die bizarre Auseinande­rsetzung mit Claus Peymann und dem Berliner EnsemHans ble gezeigt hat, bei dem es um die Nutzung des Theaters am Schiffbaue­rdamm ging, in dem er über eine Stiftung der Hausherr war.

Hochhuth war häufig ungerecht, fast schon ein „Wutbürger“, ein Ankläger aus Leidenscha­ft, aber auch einer, der das Theatersch­affen vielleicht ernster nahm als die meisten anderen. „Ärztinnen“, „Juristen“, „Tod eines Jägers“oder das Drama „Judith“stehen dafür. Mitunter hat er sich aber auch im historisch­en Bereich gründlich verrannt, etwa in seinem szenischen Totentanz „Sommer ’14“, in dem er die Schuld am Ersten Weltkrieg einseitig den Deutschen anlastete, oder auch mit seinen apologetis­chen Äußerungen über den britischen Holocaust-Leugner David Irving, den er als „fabelhafte­n Pionier der Zeitgeschi­chte“lobte – ein Urteil, von dem er sich später allerdings distanzier­te.

Im Prinzip gilt: Hochhuth fragte nicht nach Kunst. Er wollte in die tagesaktue­lle Diskussion hineinwirk­en. Neben den Stücken hat er Komödien, Erzählunge­n, auch Gedichte geschriebe­n, Werke, die nicht für die Ewigkeit bestimmt sind, sondern für den unmittelba­ren Gebrauch. Den Gerechtigk­eitsfanati­ker Hochhuth, dem auch schon mal unsinnige Vergleiche zwischen dem Heute und der Hitler-Zeit einfielen, interessie­rte dabei nicht, ob seine Lust an brisanten Themen den Ansprüchen einer künstleris­chen Umsetzung genügen konnten. Am Mittwoch ist Rolf Hochhuth, der in vierter Ehe verheirate­t war, in Berlin im Alter von 89 Jahren gestorben.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Sowohl-als-auch gab es für ihn nicht, er bezog stets eindeutig Stellung: Rolf Hochhuth (1931–2020).

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