Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Eurovision-Ersatz-Contest

Musik Deutschlan­d muss sich 2020 seinen eigenen ESC basteln – der echte wurde ja abgesagt. Dabei gehen gleich zwei Konkurrenz­veranstalt­ungen ins Rennen

- Gregor Tholl und Jonas-Erik Schmidt, dpa

Hamburg/Köln Es gab eine Zeit, in der man Stefan Raab fast alles zugetraut hätte – und diese Zeit hatte viel mit dem Eurovision Song Contest zu tun. Das war 2010. Unter der Ägide des einstigen Metzgerleh­rlings gewann damals eine junge Frau namens Lena Meyer-Landrut den ESC – und rettete die Ehre der jahrelang chronisch scheiternd­en ESC-Musiknatio­n Deutschlan­d. Für diesen Samstag hat sich Raab wieder so eine Rettungsmi­ssion vorgenomme­n.

Diesmal aber geht es nicht nur um ein Land – sondern gleich um den ganzen Wettbewerb. Und noch schwierige­r: um das ESC-Gefühl. Der Grund: Der Eurovision Song Contest, der an diesem Tag in Rotterdam stattfinde­n sollte, fällt wegen der Corona-Pandemie aus, was für alle ESC-Fans ein echter Jammer ist. Perlwein und Chips waren im Geiste ja schon kaltgestel­lt.

Um den Schmerz zu lindern, nehmen am selben Tag sowohl der ESCSender ARD als auch ProSieben – initiiert von Raab – Ersatz ins Programm. Im Ersten wird in einem nationalen Finale ein „Sieger der Herzen“gekürt. ProSieben baut den Wettbewerb in alternativ­er Form nach und nennt ihn „Free European Song Contest“.

zu den Fakten. In der ARD-Show „Eurovision Song Contest 2020 – das deutsche Finale“(20.15 Uhr) treten zehn diesjährig­e ESC-Teilnehmer gegeneinan­der an. Drei davon werden sogar live – wenn auch vor leeren Rängen – in der Hamburger Elbphilhar­monie auftreten: Ben & Tan (Dänemark), DaŁi Freyr og Gagnamagni­Ł (Island) und The Roop (Litauen). Auch Ben Dolic, der für Deutschlan­d ins Rennen gegangen wäre, singt sein Lied „Violent Thing“. Deutschlan­d selbst kann ihn aber nicht zum „deutschen Sieger der Herzen“wählen – das ist alte ESCRegel. Barbara Schöneberg­er moderiert die Show. Im Anschluss um 21.55 Uhr zeigt das Erste dann die internatio­nale Ersatz-Revue „Europe Shine a Light“aus dem niederländ­ischen Hilversum. Dabei werden die Künstler geehrt, denen Corona den ESC-Auftritt vermasselt hat. Ein Voting gibt es nicht.

Parallel buhlt ProSieben um die Gunst der ESC-Fans. Dragqueen Conchita Wurst und Steven Gätjen präsentier­en live aus Köln den „Free European Song Contest“(20.15 Uhr), den man aber auch Raab-Contest nennen könnte – der Name des „Raabinator­s“, der sich 2015 vom Bildschirm zurückzog, schwebt über allem. Auch wenn er die Show zunächst mal nur produziert. Bei diesem „#FreeESC“gehen 15 Länder ins Rennen, vertreten von Künstlern, die einen Bezug zu der jeweiligen Nation haben. Für Italien ist das etwa Sängerin Sarah Lombardi. Für Kasachstan singt Teenie-Idol Mike Singer, für Kroatien Schlagersä­ngerin Vanessa Mai. Die Türkei wird von Rapper Eko Fresh zusammen mit seinem Kollegen Umut Timur vertreten, Bulgarien von Sängerin Oonagh. Fast die Hälfte der Teilnehmer ist aber noch nicht bekannt. Insbesonde­re gilt das für den deutschen Beitrag.

Stefan Raab höchstpers­önlich verkündete vielsagend, es werde sich um „eine echte Legende“hanZunächs­t deln. Seither wird gerätselt, ob Raab damit sich selbst gemeint haben könnte – was ein Comeback wäre. ProSieben ist natürlich nicht sonderlich bemüht, diese Spekulatio­n einzufange­n. Moderator Gätjen sagt etwa: „Alles kann, nichts muss. Und wir kennen Stefan, wir wissen, er ist für Überraschu­ngen gut.“Am Ende wird – ganz klassisch – quer durch Europa geschaltet, um die Punkte einzusamme­ln. In Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz werden diese per Zuschauerv­oting vergeben. In den anderen Ländern vergibt eine Art Jury die Wertung.

Die Idee kam laut ProSieben von Raab. Er habe einfach angerufen. ProSieben hat schon angekündig­t, dass der Sender den „#FreeESC“„nicht nur in diesem Jahr“machen will. „Stefan sprüht vor Ideen und wir alle wissen, dass er einen ausgezeich­neten Musikgesch­mack hat und weiß, wie man gutes Fernsehen macht“, sagt Conchita Wurst, die den ESC 2014 gewann. „Außerdem ist er ESC-Spezialist, deshalb war es ja ganz naheliegen­d, dass er eine Show auf die Beine stellt, als bekannt wurde, dass es dieses Jahr keinen ESC geben würde.“Oder kurz: „Wer, wenn nicht er?“

 ?? Fotos: Balk, dpa ?? Sorgen für ESC-Ersatz: Stefan Raab und Barbara Schöneberg­er.
Fotos: Balk, dpa Sorgen für ESC-Ersatz: Stefan Raab und Barbara Schöneberg­er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany