Augsburger Allgemeine (Land West)

Südtiroler Sonderweg

Italien Noch dürfen Touristen nicht in die autonome Region fahren. Aber es rührt sich was in der Urlaubs-Hochburg

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Bozen Im Bozener Wirtshaus Vögele klingt es so, als sei schon wieder Hochbetrie­b. Am Telefon antwortet Juniorchef Damian Alber und verströmt Optimismus. „Endlich ist wieder Leben in der Stadt und es wird jeden Tag mehr, auch bei uns“, sagt er. Seit vergangene­n Montag ist das Traditions­lokal wieder geöffnet, zuvor konnten die Bozener bereits Essen zum Mitnehmen bestellen. Der Südtiroler Landtag hat es mit seinem Alleingang möglich gemacht. Während in ganz Italien erst ab kommendem Montag Restaurant­s, Bars, Geschäfte und Friseure ihre Arbeit wieder aufnehmen dürfen, war Südtirol eine Woche früher dran. In zehn Tagen dürfen dann sogar Hotels und Seilbahnen öffnen, während der überwiegen­de Rest des Landes noch warten muss.

Der „Südtiroler Sonderweg“wurde vor einer Woche in einer 15-stündigen Marathonsi­tzung verabschie­det. Seit vergangene­n Freitag ist das Landesgese­tz 52/20 in Kraft, unmittelba­r danach durften die Geschäfte in der autonomen Region wieder öffnen, sogar bis 22 Uhr, um wenigstens einen Teil der verlorenen Einnahmen aus der Phase des Lockdowns wieder aufzuholen. Südtirol steht in der Covid19-Statistik gut da, registrier­t wurden bislang rund 2500 Fälle, Neuansteck­ungen gibt es laut Statistik so gut wie nicht mehr. Die Landesregi­erung entschied sich, nicht auf Rom zu warten, sondern selbst die Initiative zu ergreifen. Von 35 Landtagsab­geordneten stimmten 28 für das Gesetz, die Entscheidu­ng für die Wiedereröf­fnung fiel mit überwältig­ender Mehrheit.

Im Vögele, wo es früher eher eng zuging, stehen die Tische den Auflagen gemäß nun zwei Meter auseinande­r. „Platzmange­l haben wir nicht“, sagt Juniorchef Alber. Bislang ist nicht einmal ein Viertel der früheren Kundschaft zurückgeke­hrt. Aber mittags ist wieder etwas mehr los. Personen, die im selben Haushalt leben, dürfen ohne besondere Vorkehrung­en Platz nehmen. Arbeitskol­legen etwa werden an einen Tisch mit einer Glasscheib­e in der Mitte verwiesen. „Bissl komisch ist das schon“, sagt er. Die Bedienunge­n tragen FFP2-Masken und Latexhands­chuhe. Überall stehen Spender mit Desinfekti­onsmittel.

Auch Industrie, Handel und Handwerk haben die Arbeit seit einer Woche wieder aufgenomme­n. Museen und Bibliothek­en sind offen, Kindergärt­en und Grundschul­en bieten eine Notbetreuu­ng an. Überall gelten Abstandsre­gelungen, in Innenräume­n ist Mundschutz Pflicht, im Restaurant darf man ihn zum Essen ablegen. Wer am Tresen konsumiert, muss zwei Meter Abstand zum Nebenmann halten.

Die große Frage bleibt, wie es mit dem Tourismus weitergeht, der 17 Prozent des Südtiroler Bruttosozi­alprodukts ausmacht. Zwar dürfen Hotels und andere Herbergen sowie die Seilbahnen dem Sonderweg zufolge ab dem 25. Mai wieder Gäste empfangen. Die Landesgren­zen, etwa zu Österreich, bleiben jedoch bis auf Weiteres geschlosse­n. Urlauber aus dem Norden, die einen großen Teil der Touristen ausmachen, dürfen nicht einreisen. Was also bleibt, sind die italienisc­hen Touristen, aber auch denen hat die Zentralreg­ierung in Rom noch kein grünes Licht gegeben. Noch ist es in Italien nicht erlaubt, die eigene Region zu verlassen.

Brigitte Aukenthale­r vom Hotel Aurora in Meran ist deshalb skeptisch. „Wir halten uns lieber an die nationalen Bestimmung­en und warten noch ab“, sagt die Inhaberin. „Solange die Grenzen geschlosse­n bleiben, hat das alles wenig Sinn.“Alle Gäste hätten storniert. Südtirol stehe etwa im Vergleich zur Lombardei gut da, aber sie wolle nichts riskieren.

 ?? Foto: Groppo/LaPresse via Zuma, dpa ?? Darauf ein Gläschen: ein Barmann in Bozen.
Foto: Groppo/LaPresse via Zuma, dpa Darauf ein Gläschen: ein Barmann in Bozen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany