Augsburger Allgemeine (Land West)
Wunderlichs „Geischt“-Begegnung
Schwarze Schafe des Sports Der Schweizer Nationaltrainer Sead Hasanefendic bringt Deutschland bei der WM 1982 um die Bronze-Chance (Serie, Teil 23)
Wer ist hier der böse Bube? Trainer Sead Hasanefendic, der Anstifter? Oder Spieler Peter Jehle, der blindlings die Anweisung befolgt? Oder sind beide gleich schuldig? Die Fragen mag ein jeder für sich beantworten, ein jeder mag sein Urteil fällen. Fest steht allein, dass sowohl Hasanefendic als auch Jehle am 4. Mai 1982 für einen der größten Skandale bei HandballWeltmeisterschaften sorgen. Und dieser fällt auch erst mit Verzögerung auf.
Doch was passiert an jenem Frühlingstag in der Dortmunder Westfalenhalle? Es laufen die letzten Sekunden in der letzten HauptrundenPartie zwischen Deutschland und der Schweiz. Der Gastgeber muss unbedingt gewinnen, um vorbei an Polen und der DDR auf den zweiten Platz hinter dem späteren Weltmeister Sowjetunion zu ziehen, der zumindest die Bronze-Hoffnung wahren würde. In Unterzahl gleichen die Eidgenossen zum 16:16
Schwarze Schafe aus, es bleibt der Mannschaft von Trainer Vlado Stenzel eine Chance, der letzte Angriff. Erhard Wunderlich, wurfgewaltiger Rückraumspieler und später zu Deutschlands „Handballer des Jahrhunderts“gekürt, setzt aus aussichtsreicher Position zum Wurf an. Unzählige Male schon hatte er in seiner Karriere (allein 504 Länderspieltore erzielt der 2,04 Meter große Hüne) in solchen Situationen getroffen, und nun – nun wird er unerwartet gestoppt, wird plötzlich geklammert. Peter Jehle (rundes Bild) hängt sich an den Arm, unterbindet den Versuch. Foul und Freiwurf, der mit der letzten Aktion in der Schweizer Mauer hängen bleibt. Doch woher taucht er auf, dieser Jehle? Dieser Mann aus dem Nichts? Der „Geischt“, wie sein Spitzname fortan lautet? „Ich fragte mich: Wo kommt der auf einmal her?“, meint auch Wunderlich nach der Partie verblüfft. Zumal er der sechste Feldspieler der Schweizer war, die doch noch in Unterzahl hätten sein müssen.
Die Erklärung ist ganz einfach: Hasanefendic schickt wenige Sekunden zuvor seinen Spieler mit den Worten „Los, halt ihn fest!“auf das
Feld. Jehle tut, wie ihm geheißen. Foult und sprintet zurück zur Auswechselbank – und das Kuriose ist: Seine Tat bleibt zunächst unentdeckt. Weder die Schiedsrichter oder die Offiziellen noch Stenzel, seine Spieler oder irgendjemand aus der deutschen Delegation bemerken den Schwindel, auch den 8500 Zuschauern entgeht der unfaire
Schachzug des „Schlitzohrs“, wie die Schweizer Presse Hasanefendic feiert. Erst am nächsten Tag fällt einem deutschen Journalisten die Regelwidrigkeit auf, der Deutsche Handball-Bund legt Protest ein. Zu spät, dies hätte bis spätestens eine Stunde nach Spielschluss passieren müssen. Es bleibt Platz vier in der Hauptrunden-Gruppe und damit das Spiel um Platz sieben, das die Stenzel-Truppe mit 19:15 gegen Spanien für sich entscheidet. Ein versöhnliches Ende für die deutsche Auswahl, die nach einer unfairen und dreisten Aktion vier Jahre nach dem WM-Titel 1978 um die Chance auf eine weitere Medaille beim globalen Gipfeltreffen gebracht wird.
Nur gut, dass es 25 Jahre später ein Wiedersehen mit Hasanefendic gibt. Eine Revanche light. Wieder bei einer WM, wieder in der Hauptrunde und wieder in Dortmund. Der aus Novi Sad gebürtige heute 71-Jährige ist nun Coach von Tunesien – und steht diesmal auf verlorenem Posten. Deutschland siegt auf dem Weg zum „Wintermärchen“35:28 zu deutlich, als dass Hasanefendic in seine Trickkiste hätte greifen können.