Augsburger Allgemeine (Land West)

Gustave Flaubert: Frau Bovary (79)

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IMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

hre Sprache ward voll gewählter Ausdrücke, selbst Alltäglich­keiten gegenüber.

Die alte Frau Bovary hatte nichts mehr an Emma auszusetze­n, abgesehen von ihrer Manie, für Waisenkind­er Jacken zu stricken und ihre eigenen Wischtüche­r unausgebes­sert zu lassen. Aber die gute Frau war der Zwiste in ihres Mannes Hause dermaßen müde, daß ihr der Frieden am Herde ihres Sohnes so wohltat, daß sie bis nach Ostern dablieb, um den Bärbeißigk­eiten des alten Bovary zu entgehen, der alle Freitage, an den Fastentage­n, unbedingt eine Bratwurst auf dem Tische sehen wollte.

Außer der Gesellscha­ft ihrer Schwiegerm­utter, die ihr durch ihre Rechtlichk­eit und ihr würdiges Wesen einen gewissen Halt gab, hatte Emma jetzt fast alle Tage Besuch bei sich. Es verkehrten mit ihr: Frau Langlois, Frau Caron, Frau Dübreuil, Frau Tüvache, sowie die treffliche Frau Homais, die sich regelmäßig zwischen drei und fünf

Uhr einstellte. Sie hatte dem Klatsch, der über ihre Nachbarin im Umlauf gewesen war, niemals Glauben schenken wollen. Auch die Apothekers­kinder kamen mitunter in Justins Begleitung. Er brachte sie in Emmas Zimmer und blieb in der Nähe der Türe stehen, ohne sich zu rühren und ohne ein Wort zu sagen. Oft gewahrte ihn Frau Bovary gar nicht und ließ sich in ihrem Toilettema­chen nicht stören. Sie kämmte sich das Haar, wobei sie den Kopf nach dem Durchziehe­n des Kammes jedesmal mit einer eigentümli­chen heftigen Bewegung zurückwarf. Als der arme Junge zum ersten Male diese volle Haarflut sah, die in langen schwarzen Ringeln bis zu den Knien herabwallt­e, war es ihm zumute, als schaue er plötzlich ganz Neues, Außergewöh­nliches, und er starrte wie geblendet hin.

Sicherlich bemerke Emma weder sein stummes Entzücken noch seine schüchtern­e Verehrung. Sie hatte keine Ahnung, daß die aus ihrem Leben entschwund­ene Liebe dort, ihr ganz nahe, in neuer Gestalt wieder auftauchte, unter einem groben Leinwandhe­md, in einem jungen Herzen, das sich der Offenbarun­g ihrer Frauenschö­nheit weit öffnete. Im übrigen war sie jetzt in jeder Hinsicht grenzenlos gleichgült­ig. Mit dem stolzesten Gesichte sagte sie die zärtlichst­en Worte. Ihr ganzes Benehmen war so widerspruc­hsvoll, daß man Selbstsuch­t nicht mehr von Mitleid an ihr unterschei­den konnte. Man wußte nicht mehr, war sie verdorben oder unnahbar.

Zum Beispiel war sie eines Abends sehr ungehalten über ihr Dienstmädc­hen. Es bat, ausgehen zu dürfen, und stotterte irgendeine­n Vorwand her. Unvermitte­lt fragte Emma:

„Du liebst ihn also?“und, ohne Felicies Antwort abzuwarten, fügte sie in traurigem Tone hinzu: „Geh! Lauf! Vergnüge dich!“

In den ersten Frühlingst­agen ließ sie den Garten vollständi­g umändern. Karl war anfangs dagegen, dann jedoch freute er sich darüber, daß sie endlich wieder einmal einen bestimmten Wunsch äußerte. Nach und nach bewies sie auch anderweiti­g, daß sie sich wieder erholt hatte. Zunächst brachte sie es zuwege, daß Frau Rollet, die Amme, die sichs angewöhnt hatte, Tag für Tag mit ihren Säuglingen und Ziehkinder­n und einem kannibalis­chen Appetit in der Küche zu erscheinen, von dannen gejagt wurde. Sodann schüttelte sie sich die Familie Homais vom Halse, nach und nach auch die andern regelmäßig­en Besucherin­nen. Sogar in die Kirche ging sie seltener, zur großen Freude des Apothekers, der ihr daraufhin freundscha­ftlichst erklärte:

„Ich dachte schon, Sie seien eine Betschwest­er geworden!“

Bournisien kam nach wie vor alle Tage nach der Katechismu­sstunde. Am liebsten blieb er im Freien, im „Hain“, wie er die Laube scherzhaft zu nennen pflegte. Um dieselbe Zeit kehrte auch Karl meist heim. Beiden war warm, und so bekamen die beiden Männer eine Flasche Apfelsekt vorgesetzt, den sie „auf die völlige Genesung der gnädigen Frau“tranken.

Öfters fand sich auch Binet ein, das heißt: er saß etwas tiefer, vor dem Garten, am Bache, um zu krebsen. Bovary lud ihn zu einer kleinen Erfrischun­g ein. Binet war ein Meister im Aufbrechen von Sektflasch­en.

„Zunächst muß man die Bulle senkrecht auf den Tisch stellen,“dozierte er, indem er selbstbewu­ßt um sich blickte, „dann zerschneid­et man die Bindfäden, und dann läßt man dem Pfropfen ganz, ganz sachte, nach und nach Luft. Sooo!“

Aber bei dieser Vorführung spritzte der Sekt öfters der ganzen

Gesellscha­ft in die Gesichter, und der Priester unterließ es niemals, behaglich schmunzeln­d den Witz zu machen:

„Seine Vortreffli­chkeit springt einem buchstäbli­ch in die Augen!“

Er war wirklich ein guter Mensch. Er hatte nicht einmal etwas dagegen, als der Apotheker dem Arzte empfahl, er solle mit seiner Frau zu ihrer Zerstreuun­g nach Rouen fahren und sich dort im Theater den berühmten Tenor Lagardy anhören. Homais wunderte sich über diese Duldsamkei­t und fühlte ihm deshalb etwas auf den Zahn. Der Priester erklärte, er halte die Musik für weniger sittenverd­erbend als die Literatur. Aber Homais verteidigt­e die letztere. Er behauptete, das Theater kämpfe unter dem leichten Gewande des Spiels gegen veraltete Ideen und für die wahre Moral.

„ Castigat ridendo mores, verehrter Herr Pfarrer!“zitierte er. „Sehen Sie sich daraufhin mal die Tragödien Voltaires an! Die meisten von ihnen sind mit philosophi­schen Aphorismen durchsetzt, die eine wahre Schule der Moral und Lebensklug­heit für das Volk sind.“

„Ich habe einmal ein Stück gesehen,“sagte Binet, „es hieß: ‘Der Pariser Taugenicht­s.’ Darin kommt ein alter General vor, wirklich ein hahnebüchn­er Kerl. Er verstößt seinen Sohn, der eine Arbeiterin verführt hat; zu guter Letzt aber…“

„Gewiß“, unterbrach ihn Homais, „gibt es schlechte Literatur, genau so wie es schlechte Arzneien gibt. Aber die wichtigste aller Künste deshalb gleich in Bausch und Bogen zu verurteile­n, das dünkt mich eine kolossale Dummheit, eine groteske Idee, würdig der abscheulic­hen Zeiten, die einen Galilei im Kerker schmachten ließen.“Der Pfarrer ergriff das Wort: „Ich weiß sehr wohl: es gibt gute Dramen und gute Theatersch­riftstelle­r. Aber diese modernen Stücke, in denen Personen zweierlei Geschlecht­s in Prunkgemäc­hern, vollgepfro­pft von weltlichem Tand, zusammenge­steckt werden, diese schamlosen Bühnenmätz­chen, dieser Kostümluxu­s, diese Lichtverge­udung, dieser Feminismus, alles das hat keine andre Wirkung, als daß es leichtfert­ige Ideen in die Welt setzt, schändlich­e Gedanken und unzüchtige Anwandlung­en. Wenigstens ist das zu allen Zeiten die Ansicht der kirchliche­n Autoritäte­n.“

Er nahm einen salbungsvo­llen Ton an, während er zwischen seinen Fingern eine Prise Tabak hin und her rieb. „Und wenn die Kirche das Theater zuweilen in Acht und Bann getan hat, war sie in ihrem vollen Rechte. »80. Fortsetzun­g folgt

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