Augsburger Allgemeine (Land West)

Die wilden Männer am Rathaus

Das Sandsteinr­elief wurde 1450 gefertigt und 1563 an die Stadtbibli­othek versetzt. Jahrhunder­te später kehrte die Tafel an die Rückseite des Rathauses zurück, wo Restaurato­ren sie konservier­ten

- VON FRANZ HÄUSSLER

Am Fuß der über dem Elias-HollPlatz aufragende­n Rathaus-Ostfassade ist über der Gastronomi­e-Terrasse die „Wilde-Männer-Tafel“eingelasse­n. Die Relief- und Schriftpla­tte aus graugrünem Sandstein ist ein Relikt vom alten gotischen Rathaus, das 1615 abgebroche­n wurde. Im oberen Teil der Tafel halten zwei schwebende Engel eine Schriftrol­le. Vom lateinisch­en Text ist nur noch wenig zu lesen. Er lautete: „Christe tibi gloria in augusta retica urbe vere regia o 1450“(„Dir Christus gebührt der Ruhm in Augsburg, der wahrhaft königliche­n Stadt“). Zwei bärtige Männer mit Keulen halten das Stadtwappe­n. Sie führten zur Bezeichnun­g „Wilde-Männer-Tafel“.

Dass ein weiterer kleiner bärtiger Mann das große Stadtwappe­n und zwei steinerne Löwen stemmt, ist kaum noch zu erkennen. Von der einstigen Bemalung in den Stadtfarbe­n wissen nur die Restaurato­ren aufgrund von Farbspuren. Schließlic­h ist die Steinmetza­rbeit 570 Jahre alt und hat Umzüge hinter sich.

Anno 1450 wurde sie am gotischen Rathaus, dem Vorgänger des heutigen Rathauses, angebracht. Über dem Eingang an der Nordwestec­ke am Fischmarkt überliefer­n Bilder die Steinplatt­e. Eines zeigt eine Szene vom letzten Reichstag in Augsburg im Jahre 1582: Kaiser Rudolph II. zeigt sich an einem Fenster des Eckerkers. Daneben ist die Platte angebracht. Der Rat und die Bürgerscha­ft Augsburgs huldigen dem Kaiser.

33 Jahre später, im Jahr 1615, ließ Elias Holl das gotische Rathaus abbrechen, um an selber Stelle das jetzige Rathaus zu bauen. Die Platte mit der großen Zirbelnuss barg Elias Holl und brachte sie an der 1563 fertiggest­ellten Stadtbibli­othek bei St. Anna zwischen zwei Parterre-Fenstern an der Hofseite an. Auch dort ist die „Wilde-Männer-Tafel“auf Abbildunge­n überliefer­t. Ob sie schon damals aus fünf Teilen wie heute zusammenge­fügt war, geben die Bilder nicht preis.

330 Jahre diente das Gebäude als Stadtbibli­othek. 1893 löste es ein neuer Bibliothek­sbau an der Schaezlers­traße ab. Es ist die Staats- und Stadtbibli­othek. Bevor 1894 das historisch­e Bibliothek­sgebäude beim Anna-Gymnasium abgebroche­n wurde, hielt ein Fotograf den Observator­iumsturm an der Südostecke im Bild fest. Er dokumentie­rte auf seinem Bild auch die Stelle, an der sich die Platte befand. Sie ist auf dem Foto bereits herausgebr­ochen.

Man barg zwar 1894 das Relikt vom 1615 abgebroche­nen gotischen Rathaus, doch es dauerte einige Jahre, ehe die Platte an der Ostfassade

Die Tafel blieb in der Bombennach­t unbeschädi­gt

des Rathauses angebracht wurde. Erst auf Fotos aus der Zeit nach 1900 ist sie dort vom Elias-HollPlatz aus am Unterteil der Fassade über den Kellerfens­tern erkennbar. Hinter diesen Fenstern befindet sich der Ratskeller.

Die „Wilde-Männer-Tafel“überstand 1944 das Bombeninfe­rno ohne Schäden, da sie vorsorglic­h eingemauer­t war. Das Rathaus brannte aus. Beim Wiederaufb­au und bei nachfolgen­den Sanierunge­n wurde die Tafel jeweils dokumentie­rt. Die Bilderfolg­e zeigt, wie sich ihr Zustand rapide verschlech­terte. Der relativ weiche Sandstein ist nicht sonderlich witterungs­beständig. Die Reliefs und die Schrift drohten gänzlich unkenntlic­h zu werden. Aus konservato­rischen Gründen hätte das Original längst ins Museum gebracht werden müssen. Doch die „Wilde-Männer-Tafel“von 1450 blieb an der RathausOst­seite.

Steinresta­uratoren wurden vor rund 40 Jahren beauftragt, dem weiteren Zerfall vorzubeuge­n. Sie tränkten die Sandsteinp­latte zur Härtung mehrmals mit Kieselsäur­eester. Hohlstelle­n schlossen sie mit Steinkitt, lockere Oberfläche­nteile hinterspri­tzten sie mit Kunstharz. Auf diese Weise konservier­t und stabilisie­rt, soll die vor 570 Jahren geschaffen­e „Wilde-MännerTafe­l“auch künftigen Generation­en erhalten bleiben.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Die „Wilde-Männer-Tafel“ist 570 Jahre alt. Der Sandstein weist starke Zerfallssp­uren auf.
Fotos: Sammlung Häußler Die „Wilde-Männer-Tafel“ist 570 Jahre alt. Der Sandstein weist starke Zerfallssp­uren auf.
 ??  ?? Szene vom Reichstag aus dem Jahr 1582 am einstigen gotischen Augsburger Rathaus. Aus einem Fenster des Erkers schaut Kaiser Rudolph II. Neben dem Erker ist die Tafel erkennbar.
Szene vom Reichstag aus dem Jahr 1582 am einstigen gotischen Augsburger Rathaus. Aus einem Fenster des Erkers schaut Kaiser Rudolph II. Neben dem Erker ist die Tafel erkennbar.
 ??  ?? Die große „Wilde-Männer-Tafel“erscheint an der gewaltigen Ostseite des Rathauses über der Terrasse sehr klein.
Die große „Wilde-Männer-Tafel“erscheint an der gewaltigen Ostseite des Rathauses über der Terrasse sehr klein.
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Foto: Stadtarchi­v 1894 wurde die „Wilde-Männer-Tafel“(gelb markiert) von der Stadtbibli­othek bei St. Anna entfernt.

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