Augsburger Allgemeine (Land West)

Klare Kante gegen Kirchen-Konservati­ve

Buch Mit einem Rundumschl­ag fordert Kardinal Reinhard Marx einen grundsätzl­ichen Wandel der katholisch­en Kirche. An seine Widersache­r schickt er ein deutliches Signal

- Britta Schultejan­s, dpa

München Eine neue Theologie, mehr Menschlich­keit, mehr Freiheit, ein neues Zeitalter des Christentu­ms: Wenige Monate nach seinem Rückzug vom Vorsitz der Deutschen Bischofsko­nferenz (DBK) fordert der Münchner Kardinal Reinhard Marx eine grundlegen­de Erneuerung der katholisch­en Kirche. In seinem Buch „Freiheit“, das an diesem Montag (25. Mai) auf den Markt kommt, mahnt er einen grundsätzl­ichen Wandel an – und geht mit konservati­ven Widersache­rn hart ins Gericht.

„Die kirchliche­n Skandale und Krisen der letzten Jahre haben die Dringlichk­eit zur Erneuerung unterstric­hen“, schreibt der 66-Jährige. „Bei mir jedenfalls hält die Erschütter­ung darüber an, dass „Schein“und „Sein“in der Kirche selbst so eklatant auseinande­rfallen konnten.“Die Geschichte der Kirche gehe nicht zu Ende. „Zu Ende gehen aber möglicherw­eise eine bestimmte Sozialgest­alt und auch eine bestimmte Sprache“, betont der Erzbischof von München und Freising.

Es werde sich vieles ändern an kirchliche­n Lebensgewo­hnheiten. „Das betrifft das Zueinander von Freiheit und Gehorsam, Glaube und Leben, das Verhältnis von Männern und Frauen, Laien und Klerikern, Vielfalt und Einheit in der Kirche.“

Zu der Erneuerung, die er fordert, gehört es für ihn zwingend, moderne Freiheiten als gesellscha­ftliche Errungensc­haft zu betrachten. Gewissense­ntscheidun­gen von Menschen seien „unbedingt zu respektier­en“. Es gehe „nicht an, die Freiheitsg­eschichte der modernen Welt als Irrweg zu verdammen oder gar als Bedrohung des Glaubens und der Kirche zu sehen“.

Diese Ausführung­en sind vor allem vor dem Hintergrun­d bemerkensw­ert, dass Joseph Ratzinger, der emeritiert­e Papst Benedikt XVI., sich gerade erst in einer neuen Biografie völlig gegensätzl­ich zu modernen Freiheiten geäußert und beispielsw­eise Homosexual­ität nur notdürftig verklausul­iert als Werk des Antichrist­en bezeichnet hat. Ratzinger, dem Kritiker vorwerfen, er habe sich als konservati­ver Schattenpa­pst gegen seinen Nachfolger Franziskus in Stellung bringen lassen, kommt in Marx’ Buch genau einmal vor – explizit „Joseph Ratzinger“genannt und nicht Papst Benedikt. Zum Vergleich: Papst Franziskus findet rund 30 Mal meist lobende Erwähnung.

Musste Marx, der auch schon mal den Ruf hatte, ein Konservati­ver zu sein, sich als DBK-Vorsitzend­er bis zu seinem überrasche­nden Rückzug in diesem Frühjahr oft noch zurücknehm­en in seinem erwachende­n Reformeife­r, deuten nun zahlreiche Ausrufezei­chen in seinem neuen Buch darauf hin, dass es damit nun womöglich vorbei ist. Er galt ohnehin schon als treibende Kraft hinter dem Reformproz­ess der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d, der „Synodaler Weg“genannt wird und sich mit der Sexualmora­l, dem Zölibat und der Stellung der Frau befassen soll. Konservati­ve wie der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und besonders der frühere Regensburg­er Bischof und ehemalige Präfekt der Glaubensko­ngregation im Vatikan, Kardinal Gerhard Müller, gelten als scharfe Kritiker dieser Linie.

In seinem Buch nennt Marx keinen dieser Namen. Doch er wendet sich klar gegen konservati­ve, reaktionär­e Strömungen. Eine Kirche, „die in einer rein negativen Sicht der Moderne verharrt und sich zurückträu­mt in eine idealisier­te Vergangenh­eit (...) ist nicht nur überholt, sondern sogar zu verhindern. Dass solche Stimmen zum Teil vermehrt zu hören sind, beunruhigt mich.“

Diese hätten „nichts gelernt aus der Geschichte“. Er könne nicht akzeptiere­n, „dass der Weg der Kirche ein Weg in eine größere Enge, in einen stärkeren Fundamenta­lismus wird und sich möglicherw­eise sogar politisch, gesellscha­ftlich und auch theologisc­h auf eine autoritäre Restaurati­on zubewegt“. Der Kirche dürfe „nichts Menschlich­es fremd sein“, schreibt der Kardinal. „Wenn frei sein und katholisch sein nicht zusammenge­hören können, ist der Weg des Glaubens in die Zukunft versperrt.“

Das klingt zum Teil ungemein progressiv, ganz konkret wird Marx aber nicht. Zum Umgang der katholisch­en Kirche mit Homosexuel­len äußert er sich nicht. Und das Wort Zölibat kommt nicht einmal vor auf den 175 Seiten. In seinem eigentlich flammenden Plädoyer für mehr weiblichen Einfluss in der Kirchenlei­tung betont er, dass es ihm dabei explizit nicht um die Priesterwe­ihe für Frauen geht. Es gehe nicht darum, „eine „Zeitgeistk­irche“zu schaffen“, betont Marx. „Wird die Kirche in diesen Auseinande­rsetzungen unserer Zeit auf der Seite der verantwort­lichen Freiheit stehen und sich für eine offene Gesellscha­ft einsetzen, in der diese Freiheit gelebt werden kann?“, fragt er. „Ich hoffe es sehr!“

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