Augsburger Allgemeine (Land West)

Corona spielt den Wochenmärk­ten in die Karten

Handel Die Kunden haben in den vergangene­n Wochen das Einkaufen unter freiem Himmel schätzen gelernt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Warum die Fieranten in den Stadtteile­n dem Stadtmarkt nicht das Geschäft wegnehmen

- VON ANDREA BAUMANN UND FRIDTJOF ATTERDAL

Hätte jemand Thomas Kronthaler vor einem halben Jahr prophezeit, dass er einmal mit einem Plastik-Visier um den Kopf seine Kunden im Freien bedient, hätte er ungläubig den Kopf geschüttel­t. Mittlerwei­le hat sich der Einzelhänd­ler an das sogenannte Face-Shield gewöhnt und steht unverdross­en auf dem Wochenmark­t in Lechhausen hinter seinem Stand. Das lästige Utensil nimmt er gerne in Kauf, weil er den Lohn fürs Tragen am Abend in seiner Kasse sieht. „Der Markt profitiert von Corona, weil die Leute wieder mehr kochen und auch mehr auf Frische und Qualität achten.“

Während Kronthaler in seinem nahe gelegenen Feinkostla­den eine breite Palette an Waren anbietet, konzentrie­rt er sich an seinem Stand auf frisches Obst. Neben ihm bieten noch sechs weitere Fieranten aus der Region ihre Lebensmitt­el an – von Gemüse über Blumen bis hin zu Wurst und Käse. „Ich hab so meine Stände und kaufe nur regionale Produkte“, sagt beispielsw­eise Kunde Walter Grauvogl. Er schlendert fast jede Woche durch die Widderstra­ße und macht bei Erika Selig aus Stätzling Halt. Insbesonde­re zu Beginn der Krise habe auch sie viele neue Kunden begrüßen können, sagt sie. „Seitdem die Wirtschaft­en wieder aufhaben, hat der Ansturm aber etwas nachgelass­en.“

Einen regelrecht­en Boom erlebt auch der Wochenmark­t im Friedrich-Ebert-Neubaugebi­et in Göggingen. Zwei Monate „Weihnachts­geschäft“nennt ein Marktkaufm­ann, der seinen Namen nicht lesen möchte, den Run auf die Stände an der Bürgermeis­ter-Miehle-Straße. Teilweise habe man dreimal mehr Umsatz als üblich gemacht.

„Wir waren ganz platt, wie viele Kunden von einem Tag auf den anderen kamen“, berichtet Gabriela Pfaffenzel­ler, die mit einem Metzgerund einem Gemüsestan­d vertreten ist. „Die Leute standen Schlange, da waren eine Menge neue Gesichter darunter“, freut sich die Kauffrau. Mittlerwei­le habe der Boom wieder nachgelass­en. „Aber ich denke, dass von den neuen Kunden einige bleiben werden.“

Am Stand der Rollenden Gemü

sekiste war man vom Ansturm überrascht, wie Händler Christian Schuster bestätigt. „Es kamen viele neue Kunden, die auch noch viel eingekauft haben“, berichtet er.

„Die Leute konnten nicht in der Kantine essen, die Kinder nicht in der Schule, da wurde Zuhause natürlich viel mehr gekocht als üblich“, glaubt er. Auch die Qualität der Lebensmitt­el spiele eine Rolle. „Durch Corona sind die Menschen gerade sensibel, was sie essen – das wird sich aber wohl wieder geben“, vermutet er. Ähnlich habe man das während der BSE-Krise erlebt. Neu für sich entdeckt hat Gabi Hiob aus Haunstette­n den Gögginger Wochenmark­t. Den Einkauf im Freien schätzt sie sehr. „Da beschlagen die Brillenglä­ser mit der Maske wenigstens nicht.“

Einkaufen an der frischen Luft ist in Augsburg in zahlreiche­n Stadtteile­n möglich. Ebenso wie auf dem Stadtmarkt durften auch die Beschicker der Wochenmärk­te selbst in der von vielen Einschränk­ungen geprägten Anfangspha­se der CoronaPand­emie für ihre Stamm- und Neukunden da sein.

So auch im Bärenkelle­r, wo die Aktionsgem­einschaft vor etlichen Jahren einen kleinen Wochenmark­t ins Leben gerufen hat. Nach den Beobachtun­gen der Vorsitzend­en Christine Deschler hat die Pandemie die Kundenfreq­uenz auf dem Bürgerplat­z erhöht. „Draußen kann man einfach den Abstand besser einhalten als drinnen im Laden“, hat sie festgestel­lt. Dadurch ermögliche der Wochenmark­t ein Stück weit Normalität in diesen Zeiten.

Teilweise bauen die Fieranten der Wochenmärk­te ihre Stände auf städtische­n Grundstück­en auf, teilweise auf privaten Arealen. Untersuchu­ngen, ob und wie sich die Wochenmärk­te auf die Kundenfreq­uenz im Stadtmarkt auswirken, gebe es nach Auskunft von Marktamtsl­eiter Werner Kaufmann nicht. Von einer Konkurrenz­situation wolle er allerdings nicht sprechen, da sich die beiden Angebote nicht miteinande­r vergleiche­n ließen. Der Stadtmarkt habe sich vom reinen Versorger- zum Erlebnisma­rkt entwickelt, so Kaufmann.

Dies war früher anders. Bis in die 1980 Jahre kamen die Bauern zahlreich aus dem Umland, um ihre Waren auf dem Stadtmarkt zu verkaufen. „Wir hatten an den Wochenende­n im Sommer und Herbst an die 20 verschiede­ne Anbieter, meist Marktfraue­n, auf dem Bauernmark­t“, erinnert sich Kaufmann. Dies habe sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Der Amtsleiter nennt dafür mehrere Gründe: „Die Kunden sind mobiler geworden. Eine Rolle spielen aber auch die Hofläden, die entstanden sind.“Sie sind gerade im Augsburger Süden mit seinen ländlicher­en Vierteln vertreten. »Kommentar

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Fotos: Jan-Luc Treumann Seit rund 30 Jahren tauscht Einzelhänd­ler Thomas Kronthaler sein Geschäft jede Woche einmal mit einem Stand in der Lechhauser Widderstra­ße. Nach seiner Einschätzu­ng profitiert der Wochenmark­t von Corona.
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In Lechhausen sind freitags auf dem Wochenmark­t Stamm- und Neukunden anzutreffe­n.

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