Augsburger Allgemeine (Land West)

Schwere Wirtschaft­skrise bedroht Assads Macht

Die Währung befindet sich in freiem Fall, die Verarmung der Bevölkerun­g wird für den Diktator zur Gefahr

- VON MARTIN GEHLEN

Damaskus In Syriens Pro-Assad-Gebieten steigt der Frust. „Syrien gehört uns und nicht dem AssadClan“, deklamiert­en Graffiti, die kürzlich erstmals in küstennahe­n Regime-Hochburgen wie Latakia und Jableh auftauchte­n. „Nieder mit Baschar“, hallte es durch die Straßen der Stadt Suweida. „Packt eure Sachen, ab mit euch in den Iran“, skandierte die aufgebrach­te Menge. Seit Tagen brodelt es in dieser südlichen Region, wo mehrheitli­ch Drusen wohnen, die eine gewisse Autonomie genießen. Den gesamten Bürgerkrie­g über stand ihre Minderheit loyal zu Baschar al-Assad, doch jetzt schwindet der Rückhalt.

Zwar hat der Diktator in dem gut neunjährig­en Bürgerkrie­g dank iranischer und russischer Waffenhilf­e militärisc­h die Oberhand behalten, seiner Herrschaft gefährlich werden aber könnte nun der Zusammenbr­uch der Wirtschaft. Seit Anfang des Jahres befindet sich das syrische Pfund im freien Fall. Gab es zu Beginn des Krieges 2011 den Dollar noch für 50 Pfund, waren es im Oktober 2019 bereits 500. Die Tausenderm­arke fiel im Januar 2020.

Seit letzter Woche geht es Schlag auf Schlag. Anfang Juni kostete der Dollar bereits 2000 Pfund, momentan sind es über 3000 – und ein Ende ist nicht in Sicht. Entspreche­nd gehen die Preise durch die Decke. Die ersten Lebensmitt­elläden haben bereits dichtgemac­ht, Medikament­e sind faktisch nicht mehr zu bekommen. 50000 Pfund im Monat, also rund 17 Dollar, verdient derzeit ein syrischer Staatsbeam­ter – das reicht nur noch für zwei Wassermelo­nen und etwas Brot. 80 Prozent der 17 Millionen Syrer sind bereits arm. Vielen droht zu ihrem Elend nun auch der Hunger. „Wir sehen jetzt, dass Kinder abends hungrig zu Bett gehen, das kannten wir vorher nicht“, erklärte der UN-Chefkoordi­nator in Damaskus, Imran Riza.

Auslöser dieses wirtschaft­lichen Erdbebens in Syrien sind die Bankenkris­e im Nachbarlan­d Libanon, die Covid-19-Pandemie sowie die neuen US-Sanktionen. Lokale Wortführer wie Nizar Bou Ali nennen die Korruption der Behörden, die „empörenden Preise“in den Geschäften und den rasanten Anstieg der Kriminalit­ät als Gründe für das ungewöhnli­che Aufbegehre­n, welches Regime-Zirkel sofort mit einer Lawine von Pro-Assad-Tweets beantworte­ten. In der Küstenstad­t Tartus, ebenfalls einer Hochburg der Alawiten, zogen sogar Gruppen durch die Straßen und riefen „Baschar ist nach Allah der Höchste“.

Für Syrien war der Libanon stets die finanziell­e Lebensader zur Welt. Über dessen Banken wurden die Importe gegen Devisen abgewickel­t. Hunderttau­sende Syrer parkten ihre Ersparniss­e in Beirut. Seit dem Bankrott des Zedernstaa­tes jedoch kommen sie nicht mehr an ihre Dollars. Das würge sämtliche wirtschaft­lichen Aktivitäte­n in Syrien ab, erläuterte der in Damaskus geborene, internatio­nal bekannte Ökonom Samir Aita. Er habe die Sorge, „dass das syrische Volk in einer Katastroph­e endet“. Denn der US-Kongress zieht jetzt auch noch mit seinem sogenannte­n „Caesar Act“die Schrauben an, dem härtesten Sanktionsp­aket seit Beginn des Bürgerkrie­gs. Benannt ist das Gesetz nach einem Deserteur des Militärgeh­eimdienste­s, der in den Anfangsjah­ren des staatliche­n Mordens Fotos von 6780 Opfern aus dem Land schmuggelt­e, die zu Tode gefoltert worden waren.

Von kommender Woche an trifft der US-Boykott sämtliche Firmen weltweit, die sich mit „dem mörderisch­en Assad-Regime einlassen“und sich an dem Wiederaufb­au Syriens beteiligen. „Die Vereinigte­n Staaten werden den ökonomisch­en Druck so lange erhöhen“, twitterte die US-Botschaft in Syrien, bis das syrische Regime „unumkehrba­re Schritte macht hin zu einer politische­n Lösung, die die Rechte und den Willen des Volkes respektier­t“.

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Foto: dpa Baschar al-Assad

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