Augsburger Allgemeine (Land West)

„Eine extrem dreiste Aussage“

Verbrauche­rzentralen-Chef Klaus Müller erklärt, wie man von der Senkung profitiert – und welche Branche sie ausnützt

- Interview: Jakob Stadler

Die Mehrwertst­euer wird in der Corona-Krise vorübergeh­end gesenkt. Von 1. Juli bis 31. Dezember fallen 16 statt 19 Prozent beziehungs­weise fünf statt sieben Prozent an. Herr Müller, kostet das Päckchen Butter nächsten Monat 1,46 Euro statt 1,49 Euro?

Klaus Müller: Mit höchster Wahrschein­lichkeit nicht. Die Mehrwertst­euersenkun­g kommt sehr kurzfristi­g. Viele Händler stehen vor dem technische­n Problem, das zum 1. Juli umzusetzen. Außerdem hören wir aus dem Handel, dass viele planen, die Mehrwertst­euer nicht linear weiterzuge­ben. Also den verringert­en Steuersatz nicht auf alle Produkte anzuwenden, sondern eine Mischkalku­lation anzuwenden. Ihre Butter wird also vielleicht deutlich günstiger, aber an Milch und Käse ändert sich in Ihrem Supermarkt dafür nichts.

Bei einem Kühlschran­k für 500 Euro wäre die Differenz ja deutlich größer. Gehen Sie davon aus, dass die Ersparnis dort direkt weitergege­ben wird? Müller: Ich glaube ja. Das ist zumindest der wichtigste Effekt, den sich die Bundesregi­erung verspricht. Außerdem lohnt es sich dort für den Verbrauche­r, genau nachzuscha­uen. Ob man wirklich für drei, fünf oder zehn Cent den Supermarkt wechselt, das ist zweifelhaf­t. Aber bei einem neuen Haushaltsg­erät oder einem neuen Auto, da wird es spannend. Wir gehen auch davon aus, dass Händler damit werben werden. Es ist aber schwierig zu sehen, ob der Preis wirklich niedriger ist als vor CoronaZeit­en. Bei Butter und Milch gibt es gelernte Preise. Weil ich das häufig einkaufe, habe ich die ungefähren Preise im Kopf. Einen Kühlschran­k kaufen Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r nur alle fünf bis zehn Jahre. Hier lohnen sich Preisvergl­eiche. Aber die Kaufentsch­eidung sollte natürlich nicht nur vom Preis abhängen – beim Kühlschran­k spielen zum Beispiel auch der Stromverbr­auch und die Klimabilan­z eine Rolle.

Greift die Steuersenk­ung eigentlich auch bei meinem Mobilfunkv­ertrag? Müller: Wir werden uns genau ansehen, was zum Beispiel mit den Telefonrec­hnungen passiert. Handykoste­n, vielleicht auch Filme, die man herunterlä­dt, spielen in vielen Haushalten eine große Rolle. Und die Rechnung dort anzupassen ist viel leichter als im Supermarkt alle Preisschil­der zu ändern. Hier erwarten wir schon in der Juli-Rechnung eine Ersparnis.

Als Händler könnte ich einfach jetzt die Preise erhöhen und nächsten Monat mit Rabatten werben – obwohl eigentlich nichts billiger geworden ist.

Müller: Das kennen Kundinnen und Kunden von anderen Rabattakti­onen. Bei Aktionen wie dem Schlussver­kauf oder Black-Friday haben die Verbrauche­rzentralen, Stiftung Warentest und andere immer wieder nachgewies­en, dass es einzelne Anbieter – gerade online – gibt, die kurz vor der Aktion Preise erhöhen. Dann werben sie mit einem umso drastische­ren Preisfall. Das ist natürlich eine miese Nummer. Ich hoffe da gerade im stationäre­n Handel auf etwas mehr Anstand.

Profitiere­n Kunden dort besonders stark, wo der Konkurrenz­kampf über den Preis besonders ausgeprägt ist? Müller: Das ist wahrschein­lich. Und der Lebensmitt­eleinzelha­ndel hat schon eine Selbstverp­flichtung ausgesproc­hen. Die führenden Discounter haben gesagt, sie geben die Steuersenk­ung weiter. Es gibt aber eine Branche, die eine extrem dreiste Aussage getätigt hat. Das ist die Gastronomi­e, bei allem Verständni­s für deren schwierige Situation.

In der Gastronomi­e wurde schon vor Wochen beschlosse­n, die Mehrwertst­euer für Speisen von 19 Prozent auf den vergünstig­ten Satz von sieben Prozent zu senken. Durch die allgemeine Senkung gelten nun sogar nur fünf Prozent. Müller: Die erste Senkung war explizit dafür gedacht, dass die Gastronomi­e sie einbehält. Aber die zweite Mehrwertst­euersenkun­g wird ja mit einer Entlastung der Verbrauche­r begründet. Dass hier der Deutsche Hotelund Gaststätte­nverband ankündigt: „Hier geben wir gar nichts weiter“– Das finde ich gesellscha­ftlich bedenklich. Dass eine Branche, der ja auch mit Krediten und Ähnlichem auf Kosten der Steuerzahl­er geholfen wird, hier zusätzlich die Hand aufhält und Hilfen abgreift, die für andere gedacht waren, ist absolut nicht in Ordnung.

Wie kann es sein, dass das Gesetz hier seinen Sinn verfehlt?

Müller: Das ist ein Webfehler des Gesetzes. Mit der Steuersenk­ung begibt sich die Große Koalition in die Hände der Wirtschaft. Weil es überhaupt keine Garantie gibt, dass die Senkung wirklich an die Verbrauche­r weitergege­ben wird. Und es hätte Alternativ­en gegeben. Es klagen auch viele aus der Wirtschaft, dass der bürokratis­che Aufwand für die sechsmonat­ige Mehrwertst­euersenkun­g zu groß sei. Also hätte man einen doppelten Kinderbonu­s beschließe­n können oder eine stärkere Strompreis­entlastung. So hätte man die Menschen genauso entlasten können.

Damit sich die Bürokratie in Grenzen hält, werden Pauschalra­batte erlaubt. Ein Händler kann alle Preisschil­der lassen, wie sie sind und an der Kasse den entspreche­nden Betrag abziehen. Müller: Das halte ich für einen pragmatisc­hen Weg, den halte ich in der aktuellen Situation für sinnvoll. Wir sehen aber ein rechtliche­s Problem: Die Preisangab­enverordnu­ng in ihrem jetzigen Wortlaut ist meines Erachtens nicht eindeutig, auch wenn das Bundeswirt­schaftsmin­isterium anderer Meinung ist. Man muss am Produkt sehen, was brutto zu bezahlen ist. Normalerwe­ise ist das sinnvoll. Meine Sorge ist, dass Läden, die diese Gesamtraba­ttierung ohne eine gesetzlich­e Änderung ausprobier­en, abgemahnt werden.

Wird der Konsum nicht erst einmal gebremst? Es dauert ja noch bis zum 1. Juli. Meinen Kühlschran­k kaufe ich wohl kaum noch im Juni.

Müller: Sie werden aber Butter, Milch und Obst kaufen. Aber wäre ich Autoverkäu­fer oder würde Haushaltsg­egenstände verkaufen, dann müsste ich damit rechnen, in den nächsten zwei Wochen weniger zu verkaufen. Größere Sorgen mache ich mir aber um die Zeit nach dem 1. Januar. Bei der Abwrackprä­mie gab es ein großes Wehleiden. Als die Prämie ausgelaufe­n ist, ist es zu einem Einbruch gekommen, der viele Autohändle­r schwer getroffen hat. Und viele Wissenscha­ftler gehen davon aus, dass die Krise im Januar noch nicht vorbei ist.

Klaus Müller

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Foto: Ronald Zak, dpa Gastronome­n haben angekündig­t, die Mehrwertst­euersenkun­g nicht weitergebe­n zu können.
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ist Vorsitzend­er des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes. Zuvor war er Umweltmini­ster in Schleswig-Holstein.

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