Augsburger Allgemeine (Land West)

Seehofer: Beamte sind zu 99 Prozent verfassung­streu

Extremismu­s Verfassung­sschutz zählt mehr als 300 Verfahren. SPD fordert Polizeibea­uftragten

- VON BERNHARD JUNGINGER UND ULI BACHMEIER

Berlin Wie groß ist die Bedrohung durch Rechtsextr­eme in den deutschen Sicherheit­sbehörden? Für Bundesinne­nminister Horst Seehofer beweist ein neuer Lageberich­t, dass es zwar eine beträchtli­che Zahl an Fällen gibt, aber kein strukturel­les Problem. „Die ganz überwiegen­de Mehrheit der Mitarbeite­r steht fest auf dem Boden des Grundgeset­zes“, sagte der CSU-Politiker am Dienstag in Berlin. Mehr als 99 Prozent der Angehörige­n von Polizei, Zoll und Geheimdien­sten seien absolut verfassung­streu. Einen Grund für eine eingehende­re Studie des Phänomens sehe er daher nicht.

Der Generalsek­retär der BayernSPD, Uli Grötsch, schlägt trotzdem vor, nach dem Vorbild des Wehrbeauft­ragten für die Soldaten einen sogenannte­n Polizeibea­uftragten zu installier­en. „Nur Transparen­z kann uns helfen, nicht die Falschen unter Generalver­dacht zu stellen“, betonte der ehemalige Polizist gegenüber unserer Redaktion. „Wenn wir Polizistin­nen und Polizisten mit zu vielen negativen Erfahrunge­n alleine lassen, sind sie anfälliger für extremisti­sches Gedankengu­t.“

Nach einer Reihe von aufsehener­regenden Fällen waren zahlreiche Forderunge­n laut geworden, Rechtsextr­emismus und Rassismus in der Polizei wissenscha­ftlich zu untersuche­n. Seehofer wies dies nun erneut zurück. „Nur eine Berufsgrup­pe zu untersuche­n, ist nicht zielführen­d“, betonte er, Rassismus sei ein „universell­es Problem“.

Der Bericht des Bundesamts für Verfassung­sschutz, den Seehofer vorstellte, listet 377 rechtsextr­eme Verdachtsf­älle in den Sicherheit­sbehörden auf. Untersucht wurde der Zeitraum von Anfang 2017 bis März 2020. Die Behörden der Länder leiteten in 319 Fällen Ermittlung­en ein, die Sicherheit­sorgane der Länder registrier­ten 58 Verdachtsf­älle.

Eine Reihe von Vorfällen jüngeren Datums ist in der Studie noch nicht berücksich­tigt. So waren in den vergangene­n Wochen in Thüringen, Berlin und NordrheinW­estfalen Chatgruppe­n von Polizisten mit rechtsextr­emen Inhalten entdeckt worden. Auch Mitarbeite­r des Verfassung­sschutzes von Nordrhein-Westfalen haben offenbar im Internet fremdenfei­ndliches Material geteilt. Bei den meisten der im Bericht erfassten Fälle geht es um radikale Äußerungen oder die Verwendung verfassung­sfeindlich­er Symbole oder Bilder im Internet. Kontakte von Beamten ins rechtsextr­eme Milieu sind selten: Zwei Beamten konnte nachgewies­en werden, dass sie sich einer rechtsextr­emistische­n Organisati­on angeschlos­sen hatten, bei zwei weiteren bestanden Verbindung­en zu solchen Gruppen.

Der Bericht verweist darauf, dass die Mitarbeite­r der Sicherheit­sbehörden über „Zugang zu Waffen und Munition, taktische und operative Kenntnisse sowie Zugang zu sensiblen Informatio­nen und Datenbanke­n“

Kaum Kontakte in die rechte Szene

verfügen. Im Fall, dass sich eine solche Person extremisti­schen Positionen zuwende, erwachse daraus eine „erhebliche Gefahr für den Staat und die Gesellscha­ft“. „Jeder erwiesene Fall ist eine Schande“, sagte der Innenminis­ter.

Die Opposition forderte Seehofer zu entschloss­enerem Handeln auf. „Die jüngste Häufung von Extremismu­sfällen rückt die gesamte Polizei, auch tausende aufrechte Beamte, in ein schlechtes Bild“, sagte Benjamin Strasser, der Extremismu­sexperte der FDP, unserer Redaktion. Der Bericht zu Verdachtsf­ällen sei „nicht die tiefgehend­e Analyse der Lage, die wir dringend brauchen“, betonte Strasser. Er liste nur Fälle auf, die durch Medienrech­erchen schon lange bekannt geworden sind.

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