Augsburger Allgemeine (Land West)

Das wandelnde Arztgeheim­nis

Donald Trumps Leibarzt Sean Conley hat ein Problem: Sein berühmter Patient ist zugleich sein Boss. Und der möchte nur gute Diagnosen hören

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Schon die Berufsbeze­ichnung von Sean Conley wirkt ziemlich geheimnisv­oll. Leibarzt. Das klingt nach König, Hofstaat, Mittelalte­r. Böse Zungen werden nun behaupten, dass das alles ja ziemlich gut zu Donald Trump passt. Aber fairerweis­e muss man klarstelle­n: Es war nicht der Patient im Weißen Haus, der diesen Posten erfunden hat. Schon der alte George Washington hatte einen vertrauten Mediziner an seiner Seite. Heute, da es Spezialist­en für alles und jedes gibt, wirkt es allerdings ein bisschen skurril, dass ein Leibarzt allein über die Gesundheit des mächtigste­n Mannes der Welt wachen soll. Anderersei­ts, Sean Conley ist eben auch ein Spezialist. Ein Spezialist darin, auf keinen Fall etwas zu diagnostiz­ieren, was Zweifel an der uneingesch­ränkten Leistungsf­ähigkeit des US-Präsidente­n nähren könnte.

Der 40-Jährige aus Pennsylvan­ia ist quasi ein wandelndes Arztgeheim­nis. Doch in diesen Tagen stößt er an seine Grenzen. Mehrfach musste er irreführen­de Aussagen zum Zustand Donald Trumps korrigiere­n. Wer im normalen Leben bei diesem Mann aus der Sprechstun­de käme, würde sich wohl sicherheit­shalber eine zweite Meinung einholen. Zumal Conley kein Infektiolo­ge oder Virologe ist, sondern seinen Abschluss in Osteopathi­e, also alternativ­er Heilkunde, gemacht hat.

Nun fragt sich also die Welt: Würden Sie dem Herrn im akkurat gebügelten weißen Kittel vertrauen? Doch diese Zweifel gehören wohl zum Berufsrisi­ko. Schon einer von Conleys

Vorgängern gab sich der Lächerlich­keit preis, als er Trump vor der Wahl attestiert hatte, dieser wäre „ohne jeden Zweifel die gesündeste Person, die jemals zum amerikanis­chen Präsidente­n gewählt werden würde“. Später kam heraus, dass der Kandidat höchstpers­önlich den euphorisch­en Befund diktiert hatte. Conleys Situation wird nicht gerade dadurch erleichter­t, dass sein prominente­r Patient gleichzeit­ig sein Boss ist. Als Offizier bei der Marine hat sich der dreifache Familienva­ter dem Obersten Befehlshab­er der US-Armee zu Gehorsam verpflicht­et – und das ist der Präsident. Seit zweieinhal­b Jahren kümmert sich der smarte Mediziner, der direkt einer US-Krankenhau­sserie entsprunge­n sein könnte und unter anderem in Afghanista­n diente, nun um die Gesundheit seines Chefs – und darum, dass möglichst wenig darüber öffentlich bekannt wird. Ein Mittel gegen dessen Hang, sich selbst als oberster Corona-Experte zu inszeniere­n und Selbstdiag­nosen im Minutentak­t zu verbreiten, hat er seitdem nicht gefunden.

Trumps Twitter-Tiraden dürften bei Conley nicht gerade als Blutdruck-Senker wirken. Auf die Meinung seines Leibarztes scheint der Präsident aber genauso wenig zu geben wie auf andere Meinungen, die nicht seiner eigenen entspreche­n. Jedenfalls konnte Conley nicht verhindern, dass der womöglich hochanstec­kende Patient eine kurze Spritztour zu seinen Fans machte und sich nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus triumphal die Maske vom Gesicht riss. Michael Stifter

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Foto: dpa

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