Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie sage ich es meinem Patienten?
Wissenschaft Wenn sich Kranke von Ärzten missachtet fühlen oder sie schlicht nicht verstehen, kann das ernsthafte Folgen haben. An der Universität Augsburg lernen angehende Mediziner, wie sie auch schwere Diagnosen einfühlsam überbringen
Augsburg/Mainz Es gibt vermutlich niemanden, der eine ähnliche Szene nicht schon einmal in irgendeinem Film gesehen oder sie womöglich sogar schon selbst erlebt hat: Ein Patient liegt in einem Krankenhausbett, die Tür geht auf und ein Tross Ärzte marschiert, alle sichtlich gehetzt, herein. Der Pulk weißer Kittel kreist den Kranken förmlich ein, besichtigt ihn aus höherer Warte – dann ergreift der Chefarzt das Wort. Und teilt dem Patienten mit, dass es nicht gut aussehe, denn bei der Punktion habe sich neoplastisches Material gefunden, man müsse aber den genauen Befund abwarten. Jedenfalls: Es könne eine OP nötig werden. Der Chefarzt schaut auf die Uhr, raunt seinem Oberarzt etwas von dem „Colon-Ca“zu, der gleich anstehe – und der Pulk verlässt eilig das Zimmer.
Der Patient bleibt allein und verängstigt zurück. Verstanden hat er nichts. Schon gar nicht, dass er vielleicht Krebs hat. Und dass der Chefarzt zu einer Dickdarm-Operation muss. Eine Überzeichnung, sicher.
Dennoch ergeht es vielen Patienten in ihren Gesprächen mit ihren Ärzten immer wieder so: Sie fühlen sich überfordert. Ärzte wissen um das Problem. Längst wissen sie auch, dass ein verständnisvoller Umgang mit Kranken deren Heilungschancen deutlich verbessert. Der empathische, also einfühlsame Umgang mit Patienten ist heute sogar Bestandteil der modernen Ärzteausbildung. Und wo könnte diese moderner sein als in der jüngsten medizinischen Fakultät Deutschlands – an der Universität Augsburg?
Dort sitzt Professorin Martina Kadmon, Dekanin der Fakultät, gerade in einem neu eingerichteten Konferenzraum. Und erinnert sich an den ersten Tag ihrer Weiterbildung zur Chirurgin. Es war der 1. Oktober 1988. Ein Patient, etwa Mitte 40, litt an einem MagenDarm-Tumor. Damals sei ein zentrales Thema bei der Patientenaufklärung gewesen: „Was hält der Patient aus?“. Die Familie des Patienten hatte den Ärzten bereits signalisiert, dass man ihm die ganze Wahrheit nicht zumuten dürfe. Und so kam es. „In den 80er Jahren wurde in der Ausbildung über das Thema ,empathische Kommunikation‘ noch wenig nachgedacht“, erzählt Martina Kadmon weiter. „Alles rebellierte damals in mir.“Man könne dem Mann doch nicht die Wahrheit vorenthalten!
Das Ergebnis war fatal. Der Kranke spürte, wie man mit ihm umging, das Vertrauensverhältnis war nachhaltig gestört. Als es später immer schlechter um ihn bestellt war, ließ sich ein guter Kontakt zu ihm, der wirklich nötig gewesen wäre, nicht mehr herstellen. „Das hat mich geprägt“, berichtet die Chirurgin. Bis heute.
Unter anderem dieser Fall aus den 80er Jahren führte dazu, dass nun das Thema „Kommunikation Patient–Arzt“in Augsburg großgeschrieben wird. Als Gründungsdekanin der Fakultät kann Kadmon die Strukturen der Lehre an der
Universität schließlich selbst modellieren.
Die Fakultät ist noch so jung, dass es bislang erst 85 Studierende gibt, weitere 84 kommen in den nächsten Wochen. Der Aufbau des Kommunikationstrainings ist in vollem Gange. Zwei Simulationsräume sind schon eingerichtet. Wenn man sie betritt, sehen sie aus wie ganz normale Krankenhauszimmer.
Doch an der Wand gegenüber den Betten befindet sich ein sogenannter Venezianischer Spiegel. Wer in dem Raum steht, spiegelt sich einfach nur darin. Aber hinter dem Spiegel befindet sich ein weiterer Raum. Und von dort aus lässt sich die Szenerie in dem Krankenzimmer beobachten. Mikrofone übertragen das Gesprochene. Wenn man genau hinschaut, finden sich auch mehrere Kameras in dem Zimmer. In ihm sollen die Studierenden den Umgang mit Patienten erlernen.
„Wir suchen derzeit SchauspielPatienten für diese Lehreinheit“, sagt Professor Reinhard Hoffmann, der für diese Trainings zuständig ist. Das Konzept, mit Schauspiel-Patienten zu arbeiten, kommt aus Nordamerika. Die angehenden Ärztinnen und Ärzte müssen schwere Nachrichten überbringen oder auf kritische Situationen reagieren.
„Hinter dem Spiegel steht der Tutor mit mehreren anderen Studenten und schaut sich die Vorgehensweise am Bett an“, erklärt Hoffmann. Hinterher wird die Situation durchgesprochen und analysiert.
Doch auf was muss denn genau geachtet werden? Warum ist eine empathische Kommunikation denn von so großer Bedeutung?
Die Fachfrau, die es wissen muss, ist die Mainzer Professorin Jana Jünger. Die gelernte Internistin ist seit 2016 Direktorin des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen. Sie entwickelt die Prüfungsfragen für die Staatsexamina der Medizinstudenten in Deutschland und hat das maßgebliche Lehrbuch zum Thema „ArztPatient-Kommunikation“verfasst. „Empathische Kommunikation schafft im Körper messbare Reaktionen, die Schmerzen lindern und den Heilungsprozess verbessern“, sagt die 56-Jährige am Telefon.
Warum das so ist, ist auch für Menschen leicht zu verstehen, die keine wissenschaftliche Ausbildung haben. „Wenn wir Angst haben, erzeugt das Stress. Und bei Stress schüttet die Nebennierenrinde das Hormon Cortisol aus.“Cortisol hat zahlreiche Wirkungen im Körper. Einige dieser Wirkungen können in manchen Situationen nachteilig sein. So dämpft Cortisol das körpereigene Abwehrsystem und führt zu einem Anstieg des Blutdrucks. Die Folgen sind etwa eine höhere Neigung zu Infektionen und eine Störung der Wundheilung. Was gerade nach Operationen ungünstig ist.
„Es gibt überdies Untersuchungen, die belegen, dass Patienten etwa bei Endoskopien weniger Schmerzen haben, wenn während des Eingriffs eine Pflegekraft einfach nur die Hand des Betreffenden hält“, erläutert Jana Jünger weiter. Die Liste der Vorteile eines empathischen Umgangs ist damit noch nicht erschöpft. „Wenn die Beziehung zwischen Arzt und Patient vertrauensvoll ist, kann der Mediziner in der Regel auch eine bessere Diagnose stellen“, sagt Jünger. Denn der Patient sei viel eher geneigt, dem Arzt von seinen Symptomen und seiner gesamten Situation zu berichten – und darauf sei der Behandelnde ja sehr stark angewiesen. Nicht zuletzt entwickelt der Patient bei einem guten Verhältnis zum Arzt eine wesentlich ausgeprägtere Therapietreue – er nimmt zum Beispiel seine Medikamente verlässlicher ein.
Wie wirksam ein empathischer Umgang mit Patienten sein kann, hat Jana Jünger selbst erlebt – als sie einmal einen Mann in der Ambulanz behandelte. Dieser litt an einer Herzschwäche und bekam akut sehr schlecht Luft. „Ich sagte dem Mann in aller Ruhe, dass ich ihm gleich eine Spritze geben werde.“Damit werde sie ihm Medikamente zur Senkung der Last des Herzens, zum Ausschwemmen überschüssiger Flüssigkeit des Körpers sowie Morphium zur Beruhigung geben. „Und ich teilte ihm mit, dass es ihm dadurch ganz sicher in 15 bis 20 Minuten wesentlich besser gehen wird. Das Interessante war, dass ich ihm dabei zuschauen konnte, wie seine Atmung allein durch meine Ankündigung besser wurde.“Dieses Erlebnis habe sie für das Thema Empathie in der Behandlung sensibilisiert.
Seit Mitte der 90er Jahre veranstaltet Jana Jünger Kommunikationstrainings – zunächst für Studierende, seit 2001 auch für bereits ausgebildete Ärzte. Dem Augsburger Kommunikationskonzept bescheinigt sie ein „wegweisendes Curriculum“. Sie kennt die Augsburger Dekanin Martina Kadmon sehr gut, beide haben lange in Heidelberg miteinander gearbeitet.
Aber wie sieht nun ein optimaler Kontakt mit einem Patienten aus?
Die Psychologie dieser Situation weiß Professor Alkomiet Hasan, Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg und Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie, zu erläutern. „Das ganze System beginnt mit dem Eintritt des Arztes ins Krankenzimmer“, erklärt er. „Und Empathie beginnt und wird wirksam, noch bevor ich ein Wort mit dem Betreffenden gewechselt habe.“Für Alkomiet Hasan sind folgende Aspekte bedeutsam: Der Arzt darf das Zimmer nicht gehetzt betreten, sondern bewusst. Er sollte lächeln, einen Moment warten, sich hinsetzen zum Patienten, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein und um nicht über ihm zu stehen. Und freundlich-zugewandt sprechen, in einer Sprache, die der Patient versteht. „Wenn man keine Zeit hat, in Eile ist, sollte man das einfach offen sagen – und dem Patienten in Aussicht stellen, dass man in einer ruhigen Minute ein weiteres Gespräch führen wird.“
Für Alkomiet Hasan ist Hektik im Arbeitsalltag der größte Feind eines empathischen Kontaktes. Das bestätigt Martina Kadmon. Leider
Ein Fall aus den 80ern lässt die Professorin nicht los
Der Medizinstudent hört der älteren Frau einfach nur zu
stünden Mediziner in Kliniken wie auch in Praxen aufgrund der Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit unter einem immensen Zeitdruck. Dabei sei es dann manchmal nötig, genau über die Ressource Zeit nachzudenken. „Bei einem jungen Mann mit einem Leistenbruch ist ein anderes Aufklärungsgespräch nötig als bei einem Krebspatienten, der nicht heilbar ist.“Überdies werde die Arbeit nicht einfacher: „Es gibt heute viel kränkere, ältere Patienten als etwa in den 80er Jahren – weil, wenn es auch paradox klingt, wir heute einfach viel besser behandeln können“, sagt Kadmon.
Besser behandeln. Das will auch Medizinstudent Constantin Thole, der ins dritte Semester kommt. Er hält das Thema Arzt-PatientenKommunikation für außerordentlich wichtig. „Wir sind hier in Augsburg in puncto Empathie bestens vorbereitet worden“, sagt er. Seine Kenntnisse konnte er schon am Krankenbett anwenden – im für Medizinstudenten obligatorisch vorgeschriebenen Pflegepraktikum, das er unter anderem im Augsburger Diakonissenhaus absolvierte. Er erinnert sich an eine ältere Dame, die wegen eines Knochenbruchs ins Krankenhaus kam. Überdies stellte sich eine Inkontinenz ein. „Die Frau schämte sich vor mir und begann zu weinen“, erzählt der 20-Jährige.
Er habe sich zu der Frau gesetzt, ihr zugehört, Verständnis gezeigt. Das habe sich die Frau gemerkt, ein guter Kontakt war hergestellt. Sie freute sich, wenn Constantin Thole in den Folgetagen wieder zu ihr ins Zimmer kam. „Ich merkte, wie sich das positiv auf ihre Psyche auswirkte, wie es ihr immer besser ging.“
Für Jana Jünger, die Mainzer Professorin, ist das kein Wunder. Für sie ist Empathie ein Schlüssel für eine optimale Patientenversorgung. Ihr Ziel ist es, dass empathische Kommunikation obligatorischer Bestandteil des MedizinStaatsexamens wird. Patienten können sich das nur wünschen.