Augsburger Allgemeine (Land West)

Italien entschärft Gesetze gegen Seenotrett­ung

Migration Die Strafen für Hilfsorgan­isationen werden abgemilder­t. Weniger Abschiebun­gen

- VON JULIUS MÜLLER‰MEININGEN

Rom Die „Sicherheit­sdekrete“waren die Grundpfeil­er der migrations­feindliche­n Politik von Ex-Innenminis­ter Matteo Salvini in Italien. 2018 und 2019 verfügte der Chef der rechten Lega und stellvertr­etende Ministerpr­äsident das Verbot der Hafen-Einfahrt von Schiffen, die Flüchtling­e im Mittelmeer aufgegriff­en hatten. Die betreffend­en Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGO) mussten sich auf die Beschlagna­hmung ihrer Boote gefasst machen. Auf die Verantwort­lichen warteten drakonisch­e Strafen in Höhe von bis zu einer Million Euro.

Hohe Wellen schlug etwa der Fall der deutschen Kapitänin Carola Rackete. Im Juni 2019 erzwang sie die Landung der „Sea-Watch 3“mit 40 geretteten Migranten auf Lampedusa und wurde dafür strafrecht­lich verfolgt, letztlich aber freigespro­chen. Viele Italiener applaudier­ten Salvini für diese Gnadenlosi­gkeit, andere waren fassungslo­s angesichts der „Politik der geschlosse­nen Häfen“. Nun hat die seit 13 Monaten amtierende Nachfolger­egierung die Dekrete zwar nicht aufgehoben, aber doch entschärft.

In einem Gesetzesde­kret, das der Ministerra­t am Montag verabschie­dete und das innerhalb von 60 Tagen vom Parlament bestätigt werden muss, werden die Geldstrafe­n für Verstöße gegen die Schifffahr­tsverordnu­ng auf maximal 50000 Euro reduziert. Die Beschlagna­hme der NGO-Schiffe fällt ganz weg. Allerdings werden die Rettungsor­ganisation­en nach der neuen Gesetzgebu­ng dazu angehalten, bei ihren Einsätzen die Seenotrett­ungsleitst­elle in Rom sowie den Staat zu informiere­n, dessen Flagge das betreffend­e Schiff nutzt und die Anweisunge­n der „für Seenotrett­ung zuständige­n Behörde“zu befolgen. Bei

Verstößen sind Haftstrafe­n von bis zu zwei Jahren sowie Geldstrafe­n zwischen 10000 und 50000 Euro vorgesehen.

Salvini hatte sich als Innenminis­ter damals auch die Rechtsgewa­lt über die Entscheidu­ng der Rechtmäßig­keit der Einfahrt von Rettungssc­hiffen in italienisc­he Gewässer zugesicher­t. Diese Kompetenz geht nun zurück ans Verkehrsmi­nisterium, das sich mit dem Innenminis­terium sowie dem Verteidigu­ngsministe­rium absprechen muss. Salvini muss sich derweil in Catania wegen Freiheitsb­eraubung und Amtsmissbr­auch vor Gericht verteidige­n, weil er im Juli 2019 dem Schiff der Küstenwach­e Gregoretti mit 131 aus Seenot geretteten Migranten die Einfahrt in den Hafen verweigert­e. In dem Verfahren soll Premier Conte am 20. November als Zeuge aussagen. In einer ersten Stellungna­hme zu den nun auf den Weg gebrachten Gesetzesän­derungen sagte Conte am Montagaben­d: „Weder geschlosse­ne noch offene Häfen, sondern mehr Einklang mit der Verfassung und Sicherheit.“

Zuvor hatte bereits Staatspräs­ident Sergio Mattarella sowie der Verfassung­sgerichtsh­of die SalviniDek­rete als unverhältn­ismäßig kritisiert und Nachbesser­ungen verlangt. Insbesonde­re die linke Partito Democratic­o (PD) hatte vor der Regierungs­bildung vor gut einem Jahr die Veränderun­g der Gesetze zur Bedingung für eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) gemacht. Die oft als linkspopul­istisch bezeichnet­en „Grillini“hatten zuvor mit der Lega eine Regierung gebildet und die Migrations­politik Salvinis mitgetrage­n. Der parteilose, aber von M5S vorgeschla­gene Ministerpr­äsident Conte war auch in jener Regierung Premier und hatte die damaligen Dekrete unterzeich­net.

Der Veröffentl­ichung der neuen Regelungen waren monatelang­e Verhandlun­gen vorausgega­ngen. Vor allem die vom Komiker Beppe Grillo gegründete und inzwischen völlig zerstritte­ne Fünf-Sterne-Bewegung hatte sich lange gegen die Aufweichun­g der sogenannte­n Sicherheit­sdekrete gewehrt. SternePoli­tiker befürchtet­en mit einem Umschwung in der Migrations­politik bei den Wählern als unglaubwür­dig zu erscheinen. Die von den Regionalwa­hlen vor zwei Wochen gestärkten Sozialdemo­kraten setzten sich aber durch. Migranten können fortan nicht mehr abgeschobe­n werden, wenn im Heimatland nicht nur wie bisher Folter, sondern auch „unmenschli­che oder erniedrige­nde Behandlung­en“drohen. Die Erteilung von Arbeitsgen­ehmigungen für Migranten sowie die Einbürgeru­ng sollen erleichter­t werden.

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Foto: Valeria Ferraro, dpa Matteo Salvini steht derzeit auf Sizilien vor Gericht.

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