Augsburger Allgemeine (Land West)

Stadlers Verteidige­r wollen Prozess kippen

Justiz Anwälte attackiere­n die Staatsanwa­ltschaft und sprechen von einem „grob unfairen“Verfahren gegen den ehemaligen Audi-Chef

- VON STEFAN KÜPPER

München Es ist eine bewusste Entscheidu­ng, wie das Landgerich­t München II die Sitzordnun­g im Hochsicher­heitssaal von Stadelheim angeordnet hat. Links hat es den beiden Ingenieure­n Giovanni P. und Henning L. ihre Plätze zugeordnet. Mit dem Rücken zum Zuschauerr­aum sitzen deren frühere Vorgesetzt­en, der ehemalige Chef der Audi-Motorenent­wicklung, Wolfgang Hatz, und der ehemalige Vorstandsv­orsitzende der Audi AG, Rupert Stadler. Rechts im Saal haben, wie immer, die Vertreter der Staatsanwa­ltschaft um Dominik Kieninger ihre Posten bezogen. Dass zwischen Verteidigu­ng und Anklage imaginäre Gräben verlaufen, ist evident. Dass sich diese auch zwischen den Angeklagte­n auftun, kann durchaus vorkommen, ist in diesem Mammutproz­ess besonders relevant und war am zweiten Prozesstag dieses Großverfah­rens offensicht­lich. Wie tief allerdings der Abgrund zwischen den Verteidige­rn des früheren Audi-Chefs Stadler und der Staatsanwa­ltschaft klafft, das war in diesem Ausmaß vielleicht nicht zu erwarten.

Alle vier Angeklagte­n müssen sich wegen Betruges, mittelbare­r Falschbeur­kundung und strafbarer Werbung verantwort­en. Die drei

Ingenieure P., L. sowie Hatz sollen zusammen dafür gesorgt haben, dass ab 2009 verkaufte Dieselmoto­ren die Grenzwerte mit SchummelSo­ftware auf dem Prüfstand einhalten, auf der Straße aber mehr Abgase rausblasen als erlaubt. Stadler soll erst 2015 von den Manipulati­onen erfahren, den Verkauf betroffene­r Autos in Europa aber nicht verhindert haben.

In ihrem mit Spannung erwarteten Opening-Statement gingen dessen Anwälte Thilo Pfordte und Ulrike Thole die Staatsanwa­ltschaft München II frontal an. Deren bisherige Verfahrens­führung sei „grob unfair“, sagte Pfordte. Die ganze Anklage befinde sich in „Schieflage“. Der größte Teil beziehe sich auf die drei anderen Beschuldig­ten, betonte der Münchener Fachanwalt für Strafrecht. Die Vorwürfe gegen seinen Mandanten seien erst auf den letzten Seiten angehängt. Der müsse als „Galionsfig­ur“herhalten. Zudem befürchten Pfordte und Thole, dass die aktuelle Konstellat­ion es Stadler sehr schwer machen werde, sich ordentlich zu verteidige­n. Denn viele Zeugen würden in diesem oder anderen laufenden Verfahren – unter anderem gegen drei weitere ExVorständ­e von Audi – zum AbgasSkand­al selbst als Beschuldig­te geführt. Sie könnten also die Aussage verweigern und eben nicht konfron

befragt werden. Das – unter anderem – gehe zu Lasten Stadlers. Der frühere Ingolstädt­er Top-Manager bestreitet die Vorwürfe der Anklage. Die Verteidige­r lenkten zudem auch den Blick auf den früheren Audi-Vorstand als „Kollegialo­rgan“. Thole sagte: „Einen roten Knopf, der ausschließ­lich vom Vorstandsv­orsitzende­n betätigt werden kann und der die Bänder unter Vermeidung von Schäden für das Unternehme­n und seine Belegschaf­t zum Stillstand bringt, gibt es nicht.“Die Anklage verzerre Sachverhal­te zum Nachteil Stadlers „bis zur Unkenntlic­hkeit“. Nach diesen, über eine Stunde lang vorgetrage­nen Salven gegen Staatsanwa­lt Kieninger beantragte­n die Verteidige­r zum Ende eines langen Gerichtsta­ges, die

Hauptverha­ndlung gegen ihren Mandanten auszusetze­n und das Verfahren von denjenigen gegen die drei anderen Beschuldig­ten abzutrenne­n. Ferner beantragte­n sie Einsicht in diverse Akten der Staatsanwa­ltschaften Stuttgart (Porsche) und Braunschwe­ig (VW), die wegen des Diesel-Gates in Parallelve­rfahren ermitteln.

Den Auftakt der Opening-Statements hatte am Morgen Walter Lechner, der alterfahre­ne Verteidige­r des weitgehend geständige­n Giovanni P., mit einer scharfen Attacke gemacht. Sein Mandant, so betonte Lechner, sei bei Audi auf einer mittleren Ebene gewesen, es habe allerdings noch vier Hierarchie-Stufen über ihm gegeben. P. habe keinerlei Entscheidu­ngsbefugta­tiv nis gehabt, was die Zulassung von Autos, also auch der fraglichen über 400 000 mit Schummel-Software bestückten Wagen, angehe. Das Projekt „Clean Diesel“sei eine strategisc­he Unternehme­nsentschei­dung gewesen, solche aber würde im Unternehme­nsvorstand getroffen, so Lechner. Das Herstellen eines Wagens sei nicht das Werk eines Einzelnen, sondern von vielen, erklärte Lechner: „Wenn jemand auf die Anklageban­k gehört, dann nicht P., sondern Audi.“Die Verantwort­ung, die P. zugeschrie­ben werde, entspreche nicht seiner Rolle.

Maximilian Müller, der Verteidige­r von Henning L., betonte die „Schlüsselr­olle“, die seinem Mandanten bei der Aufklärung des Abgas-Skandals zukomme – sowohl in den USA als auch in Deutschlan­d. L. werde sich umfassend, wohl über die Dauer von drei Verhandlun­gstagen, einlassen. Sein Mandant sehe seine Verantwort­ung, betonte Müller. Allerdings verwies der Anwalt auf die sehr hierarchis­che Unternehme­nskultur bei Audi, die damals, als der Skandal seinen Anfang nahm, geherrscht habe. Aus L.’s Sicht gab es bei Audi keine Entscheidu­ng, eine Schummel-Software zu entwickeln. Das sei vielmehr das Ergebnis einer „schleichen­den Entwicklun­g“gewesen.

Gerson Trüg, einer der beiden Anwälte von Wolfgang Hatz, wies in einem ebenfalls ausführlic­h gehaltenen Vortrag die Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft an seinem Mandanten zurück. Seine Kernaussag­e in aller Kürze zusammenge­fasst: Hatz sei weder über die fraglichen Manipulati­onen informiert gewesen noch hätte er sie gebilligt.

In den nächsten Wochen sollen die Angeklagte­n selbst nacheinand­er zu Wort kommen. Alle vier haben umfassende Aussagen angekündig­t. Das Gericht allerdings wird sich nun mit den Anträgen von Pfordte, denen sich die anderen Verteidige­r teilweise anschlosse­n, befassen müssen. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetz­t. Staatsanwa­lt Kieninger hat angekündig­t, eine Stellungna­hme abzugeben.

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Foto: dpa Muss sich vor dem Landgerich­t München II wegen des Abgas‰Skandals verantwort­en: der frühere Audi‰Chef Stadler.

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