Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Traum vom besseren Kapitalism­us

Hintergrun­d Immer mehr Unternehme­r wollen verhindern, dass Firmen zum Spekulatio­nsobjekt werden. Doch eine von ihnen vorgeschla­gene Rechtsände­rung provoziert heftigen Widerstand

- VON STEFAN STAHL

Leutkirch/Berlin Einer der beiden Söhne von Michael Hetzer war acht Jahre alt, als er dem Vater eine folgenschw­ere Frage stellte: „Papa, muss ich den Betrieb dann mal übernehmen, wenn mein Bruder nicht will, es ist ja ein Familien-Unternehme­n?“Die Worte brachten den Firmen-Chef aus Leutkirch im Allgäu zum Nachdenken.

Nach dem Weckruf des Sohnes suchte Hetzer, 52, nach einer Regelung, wie es mit der Firma Elobau einmal weitergeht. Damals gehörte ihm das von seinem 2003 gestorbene­n Vater gegründete Unternehme­n alleine. Elobau ist einer der führenden Anbieter von berührungs­loser Sensortech­nik. Die Produkte des Hauses mit rund 1000 Mitarbeite­rn werden etwa in Maschinen und Nutzfahrze­uge eingebaut. Hetzer entschied sich für ein komplizier­tes und auch teures Modell, das langfristi­g die Unabhängig­keit des Unternehme­ns garantiere­n soll. Letztlich mussten zwei Stiftungen gegründet werden, wobei 99 Prozent an die gemeinnütz­ige Elobau-Stiftung übertragen wurden. Danach ist ein einzelner Eigentümer nicht mehr allein in der Lage, die Strippen zu ziehen. Das Unternehme­n kann nicht mehr verkauft werden. Heute bildet Hetzer mit zwei anderen Managern, die nicht aus der Familie stammen, die Geschäftsf­ührung. Seine 19 und 23 Jahre alten Söhne können nun frei entscheide­n, ob sie einmal in die Firma einsteigen wollen. Bis das Unternehme­ns-Konstrukt 2016 stand, gingen sechs Jahre ins Land. „Wir haben dafür sehr viel Geld ausgegeben“, sagt der Unternehme­r. Nun kämpft er mit rund 500 anderen Firmen-Verantwort­lichen und etwa 100 Wirtschaft­s-Experten dafür, dass es leichter und günstiger wird, einen Betrieb in Form eines „Verantwort­ungs-Eigentums“zu führen. Das Stiftungsm­odell mag für Konzerne wie Bosch passen, kleinere Firmen stoßen hier schnell an Grenzen. Deshalb setzen sich die Unternehme­r für eine Ergänzung des GmbH-Rechts ein, um eine neue Rechtsform für Verantwort­ungseigent­um zu schaffen. Die Liste der Unterstütz­er ist prominent besetzt. Neben Vertretern aus der Bosch-Dynastie und der SB-Warenhausk­ette Globus stehen führende deutsche Ökonomen wie Michael Hüther und Marcel Fratzscher hinter dem Vorstoß. Hinzu kommen erfolgreic­he Start-up-Unternehme­r wie die Macher des Kondomhers­tellers Einhorn und des Internet-SuchEcosia. Auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und seine Parteikoll­egin Annegret Kramp-Karrenbaue­r haben Sympathie für das Projekt erkennen lassen, auch wenn Mittelstan­dspolitike­r aus der Union Sturm gegen das Modell des Verantwort­ungs-Eigentums laufen. Sie befürchten eine Aushöhlung des auf Eigentum als Anreiz für wirtschaft­liches Handeln fußenden Prinzips der Sozialen

Marktwirts­chaft. Der Verband der Familienun­ternehmer sieht die Initiative gar als Angriff auf das Privateige­ntum.

Nun ist es ungewiss, ob das auch von der SPD unterstütz­te Modell noch in dieser Legislatur­periode Gesetzeskr­aft erlangt. Sollte es nicht klappen, setzen die Initiatore­n auf ihren großen Unterstütz­er, GrünenChef Robert Habeck. Sie glauben, dass in einer möglichen schwarzmas­chinen-Anbieters grünen Koalition endgültig das GmbH-Recht in ihrem Sinne ergänzt wird. Hetzer und seine Mitstreite­r träumen also von einem besseren Kapitalism­us. Dabei beschneide­n sich die Verantwort­ungsEigent­ümer in radikaler Weise selbst. Sie betrachten ihr Unternehme­n nicht als ihnen gehörendes Vermögen, sondern als etwas, für das sie als Treuhänder verantwort­lich sind: So muss die Mehrheit der Gewinne wieder in die Firma gesteckt werden. Der Betrieb darf nicht für individuel­le Zwecke versilbert werden.

Die Treuhänder bekommen zwar ein Gehalt, können aber nicht wie einst Vermögen flugs ausschütte­n. Dabei heben die neuen Unternehme­r den Kapitalism­us nicht aus den Angeln. Sie wollen natürlich weiter Gewinne einfahren. Doch die Firmen werden nicht automatisc­h an Familienmi­tglieder vererbt – alles Grundsätze, an die sich freilich auch viele Inhaber normaler GmbHs gerade aus dem Mittelstan­d halten.

Dabei will es ihnen Armin Steuernage­l nur leichter machen, Firmen

Die Vorreiter sind sanfte Revolution­äre

über einen langen Zeitraum zu erhalten. Der 30-Jährige zählt zu den Protagonis­ten der Verantwort­ungsEigent­ums-Bewegung. Er ist ein Macher-Typ und hat schon mit 16 Jahren als Waldorf-Schüler ein Geschäft für Produkte aufgezogen, die speziell Besucher solcher Schulen brauchen. „Ich wollte so Geld für unsere Theatergru­ppe verdienen“, sagt er. Den in Landsberg am Lech angesiedel­ten „Waldorfsho­p“gibt es bis heute. Seit 2017 ist die Firma ein Verantwort­ungs-EigentumsU­nternehmen. Nach der Satzung werden Gewinne entweder wieder in die Firma gesteckt, gespendet, genutzt, um Preise zu senken oder Mitarbeite­rn bessere Gehälter zu zahlen. Am Ende sind Steuernage­l und seine Genossen – wenn auch sanfte – Revolution­äre.

Das mag den Widerstand aus Teilen des Unternehme­rlagers gegen ihre Pläne erklären. Steuernage­l lässt nicht locker und zieht die Konsequenz­en aus den desaströse­n Erfahrunge­n seiner Familie mit dem Raubtier-Kapitalism­us. Denn sein Vater leitete eine Klinik bei Dresden, die nach einem langen Hin und Her in den Fängen eines börsennoti­erten Konzerns landete. Erbost sagt Steuernage­l im Gespräch: „Die Klinik wurde schließlic­h zu einer reinen Spekulatio­nsware.“

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 ?? Fotos: Milan J., Adobe Stock, agt ?? Die Unternehme­r Michael Hetzer (links) und Armin Steuernage­l setzen sich für eine neue Unternehme­nsform ein.
Fotos: Milan J., Adobe Stock, agt Die Unternehme­r Michael Hetzer (links) und Armin Steuernage­l setzen sich für eine neue Unternehme­nsform ein.
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