Augsburger Allgemeine (Land West)

Schatz oder Schund?

Der globale Siegeszug der Irin Sally Rooney

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Manchmal ist Literatur-Kritik etwas Lustiges. Neulich zum Beispiel, da hat sich mal wieder einer so ein Zeitgeist-Phänomen vorgeknöpf­t: Eine junge Autorin aus Irland, die mit zwei kleinen Romanen gleich zum internatio­nalen Durchbruch ansetzte und dann noch verfilmt zur Streaming-Serie in der BBC gerühmt wurde. Und ja, diese Sally Rooney brachte es nach dem zuerst übersetzte­n „Gespräche mit Freunden“auch mit „Normale Menschen“zum deutschen Bestseller.

Aber dann kam der Kritiker: Jan Wiele, FAZ! „Empfehlens­wert für alle, die nicht lesen und noch nichts erlebt haben.“Und: „Selbst schwache Highschool-Filme verhandeln interessan­ter, was es heißt, Außenseite­r zu sein.“Als Vergleich über das Gelingen eines Entwicklun­gsromans, der „Normale Menschen“ist, zog Wiele halt Charles Dickens heran und als Maßstab für einen Campusroma­n, den Rooney auch liefert, dann J. D. Salinger. Das Urteil, klar: nicht Schatz, sondern Schund. Bloß: Mit Sally Rooney, Jahrgang 1989, hat das wenig zu tun. Eher mit dem Hype, der um sie entstanden ist und der Herrn Wiele erzürnt. Wer diese Bücher liest, wird auf hübsche Geschichte­n über das Lieben und Leben im 21. Jahrhunder­t stoßen, ohne Pathos und Kitsch. Auch authentisc­he Plaudereie­n über die sozialen Netzwerke sind mit dem Drama unterfütte­rt, dass ein ewiges Problem der Pubertät heute noch komplexer und noch langwierig­er geworden ist: Das Finden einer eigenen Identität.

In „Gespräche mit Freunden“ging es um eine prekäre Affäre, eine uneindeuti­ge Freundscha­ft und ziemlich expliziten Sex. In „Normale Menschen“nun um eine klassische Liebesgesc­hichte mit allerlei Hinderniss­en, in der Schule ansetzend, als sie noch Außenseite­rin mit eher kaltherzig­er Oberschich­therkunft und er ein beliebter Sportler eher aus dem Prekariat, aber mit warmherzig­er Mutter ist. Rooney ist auf angenehmer Augenhöhe mit ihren Charaktere­n Connell und Marianne, was diese gekonnt ungekünste­lt wirken und ihr Ringen glaubwürdi­g erscheinen lässt. Die Lebenswege entspinnen sich, bleiben aber verbunden, beide haben ihre Probleme mit Psyche und Liebe, mit Familie und Schicksals­schlägen … – ja, das Übliche, aber gut gebaut, mit Entwicklun­g und Spannung und manchem Gedanken. Keine große Literatur (Dickens), zumal in der Übersetzun­g, weil Rooney im Originalto­n deutlich besser klingt. Aber doch: gute Bücher.

Sally Rooney: Normale Menschen Aus dem Engl. von Zoë Beck, Luchterhan­d, 320 S., 20 ¤

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