Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit Grüßen an die Thekenteam­s

Fußball Der Bundestrai­ner muss sich vorkommen wie der Coach einer Freizeitma­nnschaft. Der Kader: zusammenge­würfelt. Fitnesszus­tand: ausbaufähi­g. Joachim Löw aber hat vorgebaut

- VON TILMANN MEHL

Köln/Augsburg Der Trainer der Fußball-Nationalma­nnschaft ist natürlich nicht nur dafür verantwort­lich, elf Spieler auf das Feld zu schicken und ihnen im besten Fall noch präzise taktische Kniffe mitzugeben, die sich in Einzelfäll­en auch zu einem „Spuits Fuaßboi“destillier­en lassen. Derartige unterkompl­exe Arbeiten sind jedem halbwegs ausgebilde­ten Stammtisch zuzutrauen. Jede bierselige Runde fühlt sich befähigt, diesen Job auszufülle­n – im Normalfall natürlich viel besser als Joachim Löw.

Der DFB aber entlohnt Löw nicht dafür, dass der einige wenige Male im Jahr elf Spieler auf den Rasen schickt. Deutschlan­ds oberster Fußball-Lehrer teilt das Schicksal abertausen­der Betreuer von Altherrenu­nd Freizeitma­nnschaften. Vor dem Spiel steht die Nominierun­g. Löw hat nur den vermeintli­chen Vorteil, aus einem unerschöpf­lichen

Die Berufung erschließt sich nicht jedem auf Anhieb

Reservoir begabter Balltreter auswählen zu können. In Wahrheit ist das Telefonbuc­h des Trainers der Don Promillos Buxtehude beinahe ebenso gut gefüllt mit Nummern von willigen Fußballern. Wenn nicht gerade Oma Hilde ihren 85. feiert. Oder es regnet. Oder der beste Freund Junggesell­enabschied feiert.

Derartige Ausreden muss sich Löw nicht bieten lassen. Um einen Termin bei der Nationalma­nnschaft abzusagen, bedarf es schon eines Attests. Faserriss, Bänderdehn­ung, und wenn der Arzt partout nichts finden mag, dann eben Morbus Ballack. Den Mann von Weltklasse­format zwickte es häufiger, wenn spektakulä­re Trips an die europäisch­e Außengrenz­e anstanden.

Diesmal aber hat Löw vorgebaut. Für die drei Länderspie­le gegen die Türkei (Mittwoch), in der Ukraine (Samstag) und die Schweiz (Dienstag) hatte er gleich 29 Spieler nominiert. Wie großzügig der Bundestrai­ner mit seinen Einladunge­n umgeht, zeigt auch die Tatsache, dass unter anderem Suat Serdar vom Tabellenle­tzten Schalke 04 hätte nach Köln reisen sollen – nun aber wegen einer Oberschenk­elblessur ausfällt.

Weil die Spieler des FC Bayern und RB Leipzig aufgrund ihrer Dauerbelas­tung in der Partie gegen die Türkei (20.45 Uhr, geschont werden, kommen allerhand Profis zum Einsatz, deren Berufung sich nicht auf Anhieb jedem Außenstehe­nden erschließt. Auch das eint Löw mit dem Coach einer FreizeitEl­f. Der lässt am Ende jeden spielen, der verfügbar war. Sperenzche­n wie Trainingsl­eistung und Fitnesswer­te sind zu vernachläs­sigender Luxus.

So stehen für die Partie am Mittwoch beispielsw­eise Antonio Rüdiger, Nico Schulz, Nadiem Amiri, Jonathan Tah oder Mahmoud Dahoud im Kader. Die sind von einem Stammplatz in ihrem Verein genauso weit entfernt wie Löw von einem Einsatz bei den Thekenfreu­nden Juventus Urin.

Co-Trainer Markus Sorg ist trotzdem davon überzeugt, einen guten Mix aus Spielern zu finden, „die im Rhythmus sind. Zum anderen können wir Spielern die Gelegenhei­t geben, sich zu präsentier­en.“Angeführt werden soll die Mannschaft von Julian Draxler, der als einer von wenigen derzeit in seinem Verein Stammspiel­er-Status besitzt – freilich auch, weil viele seiner Kollegen bei Paris St. Germain aufgrund von Verletzung­en und Sperren verhindert sind.

„Der Bundestrai­ner nimmt nicht immer das nächste Spiel in den Fokus, sondern arbeitet perspektiv­isch“, umschreibt Sorg das Fehlen etablierte­r Spieler. Wenn es gegen die Ukraine und die Schweiz um Punkte in der Nations League geht, sollen Bayern und Leipziger eine Perspektiv­e öffnen, die an eine erfolgreic­he EM glauben lässt.

Sollte das nicht gelingen, wird der Stammtisch ob des freiwillig­en Verzichts auf Boateng, Hummels und Müller wieder einmal ein klares Urteil fällen. Das immerhin bleibt dem Trainer einer Freizeitma­nnschaft erspart. Seinen Job will schließlic­h keiner machen.

 ?? Foto: Federico Gambarini, dpa ?? Kein anderer deutscher Trainer hat eine derart große Auswahl an Spielern. Ein wirklich glückliche­s Händchen hatte Joachim Löw zuletzt aber nicht bei seinen Nominierun­gen. Diesmal griff er in die Vollen.
Foto: Federico Gambarini, dpa Kein anderer deutscher Trainer hat eine derart große Auswahl an Spielern. Ein wirklich glückliche­s Händchen hatte Joachim Löw zuletzt aber nicht bei seinen Nominierun­gen. Diesmal griff er in die Vollen.

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