Augsburger Allgemeine (Land West)
Ihr Zeitzeugen-Film läuft im TV
Historie Sie erzählen Geschichten aus einem längst vergangenen Alltag: Menschen aus dem Landkreis schauen in einer Dokumentation zurück
Landkreis Augsburg Die große Politik – die war meistens anderswo. Doch wie die Menschen vor 70 bis 100 Jahren im Augsburger Land gelebt haben, wie sie nicht nur den Nationalsozialismus oder die Zeit von Flucht und Vertreibung erlebt haben, sondern wie ihr Alltag war, das ist ebenso Geschichte. Filmemacher Michael Kalb und Historiker Christoph Lang haben sich ihre Geschichten angehört, haben sie auf Film aufgenommen und ein Archiv für den Landkreis Augsburg geschaffen.
Aber aus der Arbeit ist noch mehr geworden: Ein Film von Regisseur Timian Hopf, der sehr erfolgreich in den Kinos der Region gelaufen ist, nicht nur im Landkreis Augsburg. Dieser Film hat nicht nur den Augsburger Medienpreis in der Kategorie „Haltung“erlangt, er kommt jetzt sogar ins Fernsehen. „Die letzten Zeitzeugen“ist am Mittwoch, 28. Oktober, um 22.45 Uhr im Bayerischen Rundfunk zu sehen und danach jederzeit in der ARD-Mediathek. Aus der Niederschrift der Interviews ist jetzt auch ein Buch entstanden, dass nun nach einem Monat im Verkauf bereits in die zweite Auflage geht.
Was die Menschen damals Michael Kalb und Christoph Lang erzählt haben, sind oft genug kleine Dramen. Wie bei Anselma Weckermann, die einen Teil ihrer Kindheit in Jettingen verbracht hat. Sie war schon 101 Jahre alt, als sie mit dem Filmteam gesprochen hat. Von ihrer kleinen Schwester, die mit sieben Jahren an Tuberkulose gestorben ist. Weil man damals noch nicht wusste, wie ansteckend der Speichel eines Erkrankten ist. Das Mädchen hatte sich bei einem Nachbarn, dem Vater ihrer Spielkameradin, angesteckt. Oder wie Anselma Weckermann im Zweiten Weltkrieg, damals schon Witwe, bei jedem Fliegeralarm erst einmal vor lauter Angst auf die Toilette musste („es ist mir immer in den Bauch gefahren“) und ihre kleinen Zwillinge voller Angst auf sie warten mussten. Oder Luise Hannes aus Schwabmünchen, die auch schon auf die 100 zuging, als sie mit dem Team sprach. 1920 geboren, wuchs sie damals schon in einer „Patchwork-Familie“auf: Der erste Mann ihrer Mutter und die erste Frau ihres Vaters waren 1916 gestorben, jeder hatte schon Kinder. So heiratete die Mutter von Luise Hannes ihren Schwager. „Also waren dann insgesamt sieben Kinder da und nur eine Oma, die das versorgt hat. Und dann bin ich noch 1920 entstanden.“
Freilich gab es auch Dinge, die eben doch Weltpolitik waren und sich hier im Landkreis abgespielt haben. Daniel Schaffner, Jahrgang 1926, wuchs in einer evangelischen Familie in Langerringen auf. Er erzählt aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges: „Da hat keiner was über Dachau aussagen dürfen. Man hat gewusst, dass da Grausamkeiten sind, aber man hat nichts direkt erfahren.“Im Wald bei Igling habe er die Gefangenen auch gesehen, da war er 16 Jahre alt. „Man hat bloß gewusst, dass die Bevölkerung heimlich nachts am Zaun Lebensmittel hin geschmissen hat, die eine dann zum Essen weggeholt haben. Mehr hat man nicht erfahren.“
Am besten könnten über diese Zeit voller einschlagender Ereignisse Menschen berichten, die sie selbst erlebt haben, meint Christoph Lang.
Michael Kalb ist es wichtig, dass gerade heute diesen Menschen genau zugehört wird und man aus ihren Geschichten lernt. Einige dieser Geschichten haben die Interviewten zuvor auch schon der Augsburger Allgemeinen erzählt.
Wie die Schwestern Gerlinde Zerle und Barbara Wolf aus Ehingen. Ihr Vater war dem Naziregime gegenüber kritisch eingestellt. Nach dem Krieg wurde er den Amerikanischen Besatzern von einem Pfarrer als Bürgermeister vorgeschlagen. Er war dann auch für die Verteilung der Flüchtlinge aus Schlesien zuständig, die nach Ehingen gekommen waren. Einige Ehinger fanden nicht richtig, wie er das machte. „Bürgermeister, was haben wir dir angetan, dass uns die Leute schickst“, hätten sie gesagt, erzählt Gerlinde Zerle.
An die letzten jüdischen Familien in Fischach erinnern sich in Buch und Film noch Erna Mayerle und Jakob Demmel. Auch ihre Erinnerungen waren bereits in der Augsburger Allgemeinen zu lesen. Damals erzählte er, wie er 1942 Lehrbub bei einem Elektriker war und bei einem jüdischen Fischacher, Josef Levi, den Strom ablesen sollte. Es war der Tag seiner Deportation. „Jetzt trinken wir noch einen Likör und dann haue ich alles zusammen“, habe er zu ihm gesagt, so Jakob Demmel. Die beiden erinnern sich im Interview in Film und Buch, wie der damalige zweite Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Hugo Deller, von SA-Männern an den Maibaum gebunden und geschlagen wurde. Mayerle und Demmel waren damals Kinder, zehn und 14 Jahre alt. „Ich bin bloß heim und habe geheult“, erinnert sich Erna Mayerle. „Wir haben bloß zugesehen“, sagt Jakob Demmel hilflos.
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Info Einen „Blick ins Buch“und weitere Informationen zum Film gibt es unter www.letztezeitzeugen.de. Der Film wird am 28. Oktober um 22.45 Uhr im BRFern sehen ausgestrahlt.