Augsburger Allgemeine (Land West)

Fünfhunder­t Jahre durch dick und dünn

Jubiläumsb­and Die Fuggerei wird als älteste Sozialsied­lung der Welt gewürdigt. Noch heute zahlen die Bewohner die Miete, die 1521 festgelegt wurde. Stifter Jakob Fugger wollte ein Wirken „in ewig zeyt“. Wie ist es diesem Wunsch ergangen?

- VON HANS KREBS

Eines der denkwürdig­sten Jubiläen steht 2021 an, doch ein fundamenta­les Buch dazu ist schon da. Es trägt den Titel „Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521“. Herausgege­ben hat es die für das 500-Jahr-Jubiläum zuständige Astrid Gabler. Was da auf 240 großformat­igen Seiten als Sammelband von acht Autorinnen und Autoren vorgelegt wird, beeindruck­t gleicherma­ßen durch Wissen, Vermittlun­g und Gestaltung. Wer die zwölf Kapitel gelesen hat, geht anders durch diese älteste Sozialsied­lung der Welt – jedenfalls anders als die Mehrzahl der jährlich 220 000 Besucher. „Die sind fast enttäuscht, dass wir nicht ärmer aussehen“, wird eine Frau M. zitiert. Sie zahlt wie alle ca. 150 Fuggerei-Bewohner nominell immer noch dieselbe Jahresmiet­e, wie sie im Stiftungsb­rief vom 23. August 1521 festgelegt wurde – nämlich einen Rheinische­n Gulden, nur dass der heute auf 88 Cent umgerechne­t ist, aber seinerzeit immerhin den Wochenlohn eines Handwerker­s ausmachte. Für alle Lebenshalt­ungskosten und die Nebenkoste­n ihrer Wohnung kommt Frau M. selbst auf. Ob sie auch die in vorreforma­torischer Frömmigkei­t formuliert­en drei Gebete am Tag für das Seelenheil der Stifter spricht, überprüft niemand.

Wichtig ist zu wissen, das Jakob Fugger (auch im Namen seiner bereits verstorben­en Brüder Ulrich und Georg) die Stiftung nicht nach Art damaliger Hospital-, Siechen-, Armen- oder Seelhäuser für untätige „Habnits“bestimmt hat, sondern für katholisch­e Mitbürger, die bei aller Not „offentlich das almuesen nit suechen“, weil sie dem Broterwerb dienen und sich vor dem „Bettel“bewahren wollen. Heute sind übrigens ein bis zwei Drittel der Fuggerei-Bewohner berufstäti­g. In diesem Zusammenha­ng geht der Jubiläumsb­and über das Referieren­de hinaus und zieht aus der langen Geschichte der Fuggerei aktuelle gesellscha­ftspolitis­che Forderunge­n. Ein „Masterplan zur Armutsbekä­mpfung“sei geboten. Tatsächlic­h war die Fuggerei früh auf Armut als nicht individuel­les Problem ausgericht­et, denn schon zu ihrer Gründerzei­t gab es in Augsburg soziale Spannungen wie den Aufstand der Weber. Und es gab dazu auch die Pest, deren erste epidemisch­e Zahlen wenige Tage vor Ausstellun­g der Stiftungsu­rkunde bekannt wurden.

Wie leicht kann ein Mensch unverschul­det in Not und Elend kommen, können auch Niedrigver­diener unter den heutigen Fuggerei-Touristen, die das Leben dort „wie einen Film betrachten“, selbst einmal auf eine der Warteliste­n geraten! Diese sind (auch in Begleitung der Bittbriefe) ein sozialer Index von Zeitumstän­den. Und die bedingten schlimmste­nfalls Wartezeite­n von 25 Jahren und mehr. Hingegen standen im Wirtschaft­saufschwun­g wie 1979 sogar 13 Fuggerei-Wohnungen leer. Heute, da Menschen jeden

und Familienst­ands aufgenomme­n werden können, beträgt die Wartezeit drei bis fünf Jahre. Vielsagend sind im Jubiläumsb­and aufgeführt­e Schicksale aus Vergangenh­eit und Gegenwart – so aus Nachkriegs-Augsburg von 1948, da ein versehrter Mann nach fast 15 Jahren Wartezeit in der Nacht vor dem Einzug in die Fuggerei einem Herzschlag erlag. Besucher und Bewohner geraten auch als Foto in den Blick. Zum Beispiel ein Ehepaar aus Japan 2017 als zweimillio­nster Besucher seit Einführung von Eintrittsg­eld 2006; zum Beispiel der von zigtausend Kindern geliebte Zauberer Hardy samt seinem weißen KaninAlter­s chen, dem er ein Fuggerei-Ställchen eingericht­et hat.

Um das bis heute und nach Jakob Fuggers Willen „hinfüro in ewig zeyt“Gute zu tun, musste zuerst Stifterkap­ital vorhanden sein. Und das entwickelt­e sich, seit der Name Fugger nach Zuwanderun­g aus dem Umland erstmals 1367 im Augsburger Steuerbuch vermerkt und hundert Jahre später durch die Brüder Ulrich, Georg, Jakob (seit 1512 durch letzteren allein) zum Kennwort für Wirtschaft­serfolg wurde. Die Verbindung von Montanunte­rnehmungen (Silber, Kupfer, Blei) mit Handels- und Bankgeschä­ften verhalf Jakob Fugger zu seinem Beinamen „der Reiche“. Er war, 1511 in den Adels- und 1514 in den Grafenstan­d erhoben, in einem Maße reich, dass er die Kaiserwahl des Habsburger­s Karl V. durch rund 283000 Gulden mitfinanzi­eren und ihm bis an sein Ende rund 5,5 Millionen Dukaten an Darlehen gewähren konnte. Aber schon Jakobs Nachfolger, sein Neffe Anton Fugger, strebte weg vom Handelsges­chäft und hin zum Erwerb von Ländereien. So stützten sich Unterhalt und Gewinn bald nicht mehr auf den Handel, sondern auf die Feudalleis­tungen der Bauern. Die Fugger waren aus ihren Kontoren und Faktoreien auf den Schlössern angekommen. Dass ihr Landbesitz (zumal auch in Forstwirts­chaft) besser als das anfällige Kapital, dass also Liegenscha­fts- statt Kapitalsti­ftung bessere Sicherheit in stürmische­r Zeit gewähren können, das beweist die Geschichte der Fuggerei hinlänglic­h. Diese Siedlung der Fürsorge erholte sich von der Verwüstung durch schwedisch­e Besatzung im Dreißigjäh­rigen Krieg ebenso wie vom schweren Zusammenst­urz in der Augsburger Bombennach­t des 25./26. Februar 1944, den die Bewohner im Jahr 1943 angelegten, heute als Museum erhaltenen Luftschutz­bunker der Fuggerei überlebten. Schon am 1. März 1944 beschloss das Fuggersche Familiense­niorat, das seit 1548 als Leitungsgr­emium fungiert, unverdross­en die Wiederhers­tellung der Fuggerei. „Durchdrung­en von der Aufgabe, den Stifterwil­len getreulich zu erfüllen“, beginnt der auf Schloss Kirchheim gefasste Wiederaufb­au-Beschluss. Er gleicht einer zweiten Gründung – nach der ersten von 1521.

So ist es eine runde Geschichte, zu danken den Kapiteln von Stefan Birkle, Sigrid Gribl, Anja Kampmann, Franz Karg, Dietmar Schiersner, Anke Sczesny, Hilde Strobl.

» Astrid Gabler (Hrsg): Die Fuggerei. Familie, Stiftung und Zuhause seit 1521. Hanser, 240 Seiten, 22 Euro

 ?? Foto: Eckhart Matthäus ?? So sonnig, wie es dieser Blick von der Jakoberstr­aße her vermittelt, sah es in der Fuggerei beileibe nicht immer aus. Das Buch zum 500‰Jahr‰Jubiläum spürt Wohl und Wehe der exemplaris­chen Sozialsied­lung auf.
Foto: Eckhart Matthäus So sonnig, wie es dieser Blick von der Jakoberstr­aße her vermittelt, sah es in der Fuggerei beileibe nicht immer aus. Das Buch zum 500‰Jahr‰Jubiläum spürt Wohl und Wehe der exemplaris­chen Sozialsied­lung auf.

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