Augsburger Allgemeine (Land West)
Augsburgerin schreibt über RekordSchwimmerin
Literatur Trudy Ederle schwamm als erste Frau der Welt durch den Ärmelkanal. Sie hat (vielleicht) den Bikini erfunden und wurde von Millionen bejubelt. Darüber hat eine Augsburger Anwältin nun ein Buch geschrieben
Es muss ein magischer Moment gewesen sein, an diesem Tag im August 1926. Zwei Millionen Menschen versammeln sich mitten in den Straßenschluchten New Yorks, ihr Jubel scheint kein Ende zu nehmen. An Wolkenkratzern flattern Sternenbanner, tonnenweise Konfetti und Geschenke fliegen durch die Luft. Die Begeisterung der Massen auf der 14 Kilometer langen Parade durch die Stadt ist derart ungestüm, dass die Hauptperson ihren neuen Hut aus Paris verliert, ihr Lieblingsarmband reißt und obendrein ihr nagelneuer Roadster völlig verbeult wird. Der gigantische Tumult gilt einer jungen Frau: Gertrude „Trudy“Ederle. Als erste Schwimmerin weltweit durchquerte sie den Ärmelkanal. Eine Leistung, die bis dahin für unmöglich gehalten worden war und in den USA bis heute unvergessen ist. Trudy Ederles Leben hatte viele Momente des Triumphs, aber auch der Tragik. Das hat eine Augsburgerin inspiriert, ein Buch über diese ungewöhnliche Frau zu schreiben. Der Titel: „Eine Schwimmerin verändert die Welt.“
Es ist kein Zufall, dass sich die Augsburger Anwältin und Autorin Anne-Kathrin Kilg-Meyer für diesen literarischen Stoff entschieden hat. Vielmehr war es das Ergebnis einer gezielten, umfassenden Recherche. Kilg-Meyer kann als Spezialistin gelten, wenn es um Biografien über besondere Frauen geht. In ihrem ersten Werk beschrieb sie den Scheidungskrieg zwischen Albert und Mileva Einstein - aber nicht aus der Sicht des weltberühmten Physikers, sondern aus der Perspektive seiner ersten Frau, einer begabten Physikerin, die gegen ihren Ehemann schwer zu kämpfen hatte. In Fall Einstein gab es für Juristin
Kilg-Meyer Berührungspunkte zu ihrem eigenen Beruf. Sie ist Anwältin mit dem Schwerpunkt Familienrecht.
Jetzt entschloss sich die Augsburgerin, die Ausnahmesportlerin Trudy Ederle in den Mittelpunkt ihres neuesten Werkes zu stellen. Diesmal spielte etwas anderes eine wichtige Rolle. Kilg-Meyer entdeckte im Internet das historische Foto mit den jubelnden Massen in New York und war sofort fasziniert. Sie fragte sich: „Warum bekommt eine Schwimmerin so große Aufmerksamkeit, dass ihr zwei Millionen Menschen zujubeln?“
Eine Antwort dürfte in dem wechselvollen Leben der US-amerikanischen Ausnahmeschwimmerin liegen. Es war der 6. August 1926, als Trudy Ederle ihren großen Traum wahr machte. Als erste Frau durchquerte sie den Ärmelkanal von Frankreich nach England. Die 20-Jährige legte 21 Meilen im eiskalten Wasser zurück, mitten durch stark befahrene Schifffahrtswege, Quallen und gefährliche Strömungen. Sie schaffte es in 14 Stunden und 34 Minuten. Ederle stellte einen Rekord für die bis dahin schnellste Durchquerung des Ärmelkanals auf.
einen Schlag war sie die damals wohl berühmteste Sportlerin der Welt, auch wenn sie als Schwimmerin schon vorher sehr bekannt war – etwa als Olympiasiegerin von 1924 und mehrfache Weltrekordhalterin.
„Trudy war eine Ausnahmeerscheinung“, sagt Autorin KilgMeyer, und das in vieler Hinsicht. Amerikanische Frauen waren in den 1920er Jahren vor allem Hausfrau, Mutter und Anhängsel ihres Ehemannes. Sie schwammen eher nicht, und wenn, dann nur in voluminösen Wollkostümen mit Rüschen. War ein Badekleid zu kurz, rief das schon mal die Polizei auf den Plan. Trudy Ederle ließ sich als junge Frau von solchen gesellschaftlichen Konventionen nicht beirren. Für die Überquerung des Ärmelkanals, die ihr erst im zweiten Anlauf gelang, entwickelte sie selber eine wasserdichte Schwimmbrille und einen zweckmäßigen zweiteiligen Schwimmanzug. Es war wohl der erste Bikini, auch wenn diese Revolution in der Bademode später einem Franzosen zugeschrieben wurde.
Autorin Kilg-Meyer beeindruckt an Ederle aber auch, dass sie eine von Männern dominierte Sphäre des Sports revolutionierte und mit ihrer
Pioniertat viele jüngere Frauen weltweit zu mehr Selbstbewusstsein anspornte. Dabei hatte Ederle seit ihrer Kindheit selbst mit einigen Problemen zu kämpfen, besonders mit ihrer zunehmenden Schwerhörigkeit.
Die neue Biografie liest sich fast wie ein Roman. „Ich habe versucht, mich ganz in Trudy hineinzuversetzen“, sagt Kilg-Meyer. Besonders intensiv schildert sie die 14 Stunden, in denen sich die Schwimmerin durchs Meer kämpfte, und das teilweise unter Lebensgefahr. In solchen Passagen erlaubt sich die Autorin ein wenig literarische Freiheit. Ansonsten legt sie, ganz Anwältin, großen Wert auf Fakten.
Ihre Recherchen führten sie über Internet bis in die USA und wieder zurück nach Deutschland. Sie wühlte sich durch Archive großer Zeitungen, wie der New York Times, und stieß auf die Tonaufnahme einer Zeitzeugin in Baden-Württemberg. Die Ederles hatten in ihrer Familie deutsche Verwandte, die sie immer wieder besuchten. Else Ederle aus Bissingen schilderte einem Reporter der Heimatzeitung, wie ihre Cousine Trudy als Kind 1914 in einem deutschen DorfweiAuf her schwimmen lernte und nicht, wie häufig angenommen, in Amerika. „Damit konnte ich die Legendenbildung in den USA ein wenig korrigieren“, freut sich Kilg-Meyer. Wichtig war ihr auch, Ederles Leben aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten. „Ihr Erfolg war ein Produkt von Ausdauer, Konzentration auf den Sport und guten Förderern.“
Die Schwimmerin, die als erste den Ärmelkanal bezwang, ist in den USA bis heute unvergessen. Sie gilt als eine Ikone des Sports. Die neue Biografie erscheint zu einer Zeit, in der die Geschichte von Trudy Ederle auch zum Stoff für einen Hollywood-Film geworden ist. Unter dem Titel „Young Woman and the Sea“soll er in den kommenden Monaten in die Kinos kommen. KilgMeyer sagt, falls sie durch das Hollywood-Drama mehr Aufmerksamkeit für ihr neues Buch bekommen sollte, wäre das perfekt. Am wichtigsten sei ihr aber etwas anderes: „Schreiben ist mein Hobby, das mir sehr viel gibt.“
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Zum Buch Gertrude Trudy Ederle, Eine Schwimmerin verändert die Welt, Verlag Eriks Buchregal, Kellinghusen.