Augsburger Allgemeine (Land West)
Die tolle Knolle ist eine Mimose
Landwirtschaft Im Sommer will sie es nicht heiß und trocken. Im Winter braucht sie Dunkelheit und Sauerstoff. „Die Kartoffel ist eine Mimose“, sagt der Bobinger Landwirt Marcus Fischer. Er erklärt, wie in diesem Jahr die Ernte abläuft
Bobingen Wenn sie auf den Tisch kommt, dann ist sie relativ einfach zu haben. Doch bis dahin führt die Kartoffel ein sehr eigensinniges Leben. Wer mit der tollen Knolle richtig umgehen will, braucht Erfahrung und Fingerspitzengefühl - so wie Landwirt Marcus Fischer aus Bobingen. In den vergangenen Tagen haben er und seine Helfer rund 1600 Tonnen aus dem Boden geholt. Bei der Ernte packen alle mit an. „Die Kartoffel ist eine Frucht mit Familienanschluss“, sagt Fischer. Sieben Tage lang geht es rund, bis der Ertrag von 30 Hektar im Lager ist.
Auf dem Feld im Norden der Stadt fährt Simon Mayr mit dem 240-PS-starken Traktor auf und ab. Im Schlepptau hat der junge Landwirt den sogenannten Roder, also das Erntegerät. Mit dem gelben Stahlkoloss namens Keiler werden die Kartoffeln aus dem Boden geholt, gesiebt und vom gröbsten Schmutz befreit. GPS steuert das Gespann bei einer Geschwindigkeit von fünf Stundenkilometern zentimetergenau über das Feld.
Das Gerät hatte sich schon bei der Auspflanzung die genaue Position
In der Halle herrscht eine Temperatur von 8 Grad
der Reihen gemerkt. Neben der modernen Technik begeistert Simon Mayr, der auch selbst Kartoffeln anbaut, die Vielfalt seiner Arbeit: Er muss das Wetter im Blick haben, die Böden kennen und die Logistik abstimmen. Außerdem braucht er Feingefühl: Ist der Roder nicht richtig eingestellt, dann kann er die Kartoffeln beschädigen, was unter dem Strich weniger Geld bedeutet. Apropos Preisabzüge: Die wird es bei vielen Landwirten auch wegen eines Virus geben, der das Kraut befällt. Das passiert immer. Nur in diesem Jahr ist er wegen der Witterung ausgeprägter als sonst. Kartoffeln bekommen sogenannte Wachstumsrisse, sie haben also keine homogene Form mehr und eignen sich damit zum Beispiel nicht mehr optimal für die Pommes-Produzenten. Die sind auch Hauptabnehmer der Bobinger Kartoffeln. Doch bis die in Stäbchen geschnitten werden, ist es noch ein langer Weg.
Sobald der sogenannte Bunker des Roders gefüllt ist, lädt Simon Mayr die empfindliche Fracht auf Hänger. So kommen die Kartoffeln dann in die Lagerhalle von Marcus Fischer. Das Gebäude schaut von außen unspektakulär aus. Ist es aber nicht. Denn es besitzt ein ausgeklügeltes Lüftungssystem. Wenn die Kartoffeln in den Winterschlaf gehen, brauchen sie eine kontinuierliche Temperatur von acht Grad sonst verlieren Kartoffeln ihre Spannung, schrumpeln und treiben aus. Das Wichtigste für den Schönheitsschlaf ist aber die Dunkelheit.
Damit die Kartoffeln nicht zu viel Gewicht verlieren, brauchen sie eine hohe Luftfeuchtigkeit. Und regelmäßig Sauerstoff. Der strömt über im Boden versenkte Kanäle durch die über vier Meter hohen Kartoffelberge. Dreimal am Tag wird gelüftet: Der automatische Klimacomputer misst alle Parameter und öffnet dann entsprechend mehrere Lüftungsklappen am Gebäude.
In den ersten Wochen nach der Ernte muss Landwirt Fischer, der seine Kartoffeln (auch rote und blaue) und weitere Produkte im Bobinger Hofladen verkauft, regelmäßig kontrollieren. Ein gutes Näschen ist gefragt. Marcus Fischer riecht in der Lagerhalle sofort, wenn
etwas mit seinen Kartoffeln nicht stimmt. Je nachdem muss er dann nachsteuern. „Sie braucht am Anfang viel Zuwendung, fast wie ein Kind.“Erwachsen wird die Kartoffel dann über den Winter, ehe sie in die Fabrik kommt und irgendwann als Pommes auf dem Tisch landet.