Augsburger Allgemeine (Land West)
Was Ludwig Frank in Auschwitz erlebte
Jüdisches Museum Die Schilderungen des Augsburgers sind gerade in ihrer Sachlichkeit erschütternd
„In der Mitte des Ankunftsplatzes stand ein Kastenwagen mit grossem aufgemaltem roten Kreuz. Die Lastwagen mit den Ungluecklichen setzten sich inzwischen in Bewegung und den Schluss der Kolonne bildete dieser Rote Kreuz-Wagen, der nichts anderes als die Gasbomben fuer die Vergasung enthielt. Kein Mensch hatte natürlich davon eine Ahnung, im Gegenteil, durch die Anwesenheit des R.K.-Wagens hielt man sich etwas geborgen“. Die Sätze schildern eine Ankunft im Konzentrationslager Auschwitz und stammen aus einem Bericht des Augsburgers Ludwig Frank, den dieser, nachdem er 1945 befreit wurde, verfasst hatte. Für seine Familie und Freunde, um die Schrecken der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschine an die Nachwelt weiterzugeben.
„In seiner Sachlichkeit und Distanz ist dieser Bericht eines der erschütterndsten Dokumente, die ich kenne“sagt Barbara Staudinger, die Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben. Ihr fielen die sieben eng beschriebenen Seiten in die Hände, als sie zu einem anderen Thema im Archiv von Gernot Römer forschte. Der ehemalige Chefredakteur unserer Zeitung hat sich über Jahrzehnte mit der Geschichte der Juden in Schwaben beschäftigt und dazu eine umfangreiche Sammlung an Zeitzeugnissen und Dokumenten zusammengestellt, die er dem Jüdischen Museum Augsburg überließ. Sofort, so Staudinger, sei ihr aufgefallen, dass es sich dabei um ein für das Museum besonderes Dokument handle. „Berichte wie diesen haben wir in Augsburg bisher nicht gehabt“, erklärt Staudinger.
Ludwig Frank selbst war im Jüdischen Museum bisher ein unbeschriebenes Blatt. Nur so viel ist inzwischen bekannt: 1900 in Augsburg in eine jüdische Familie geboren, wurde er während des Novemberpogroms 1938 verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. 1939 wurde er entlassen, mit der Auflage, Deutschland den Rücken zu kehren. Er ging zu seinem Bruder nach Lyon. Bei einem Fluchtversuch in die Schweiz 1942 wurde er an die Gestapo verraten und nach Auschwitz deportiert. Nach der Befreiung kehrte Ludwig Frank nach Lyon zurück, von dort aus ging er ins saarländische Völklingen, wo er 1983 starb. Begraben ist er auf dem jüdischen Friedhof in Lyon. Immer wieder sei er nach dem Krieg auch bei befreundeten Familien in Augsburg zu Gast gewesen, weiß Barbara Staudinger inzwischen. Ebenso, dass er im Eichmann-Prozess eine Zeugenaussage machte, die Barbara Staudinger im Archiv des Konzentrationslagers Auschwitz gefunden hat.
In dem Bericht schildert Ludwig Frank die Umstände seiner Flucht aus Frankreich und seiner Verhaftung mit der anschließenden Deportation nach Auschwitz. Sehr genau und nüchtern beschreibt er die Zustände im Lager, berichtet in Details über das Leid und die Qualen der Menschen und weiß doch, dass er die tatsächlichen Vorgänge nur lückenhaft wiedergeben kann: „Und so liesse sich über Scheusslichkeiten, die in der Welt einzig dastehen, ein ganzes Buch schreiben.“
Aus seinem Bericht geht auch hervor, dass Frank als Schreiber im Theresienstädter Familienlager tätig war. Deshalb habe er so genauen Einblick in das Schicksal der Insassen gehabt, sagt Staudinger. So kann er über die Ankunft von Augsburger Juden in Auschwitz berichten und sie zum Teil sogar namentlich benennen. 107 Menschen seien damals deportiert worden. Wer den Transport überlebt habe, sei nach wenigen Tagen im Lager gestorben. Ludwig Frank überlebte das Grauen trotz seines schon fortgeschrittenen Alters von über 40 Jahren krank und ausgezehrt. ⓘ Lesung