Augsburger Allgemeine (Land West)

„Läuft’s gut, gibt es wenig zu bewegen“

Verband Deutschlan­ds Maschinenb­auer wählen Karl Haeusgen zu ihrem neuen Präsidente­n. Es ist ein Wechsel in turbulente­n Zeiten. Welche Agenda der Unternehme­r hat

- VON ALEXANDER VUCKO

Kaufbeuren Seinen Start als Präsident des Verbandes Deutscher Maschinenu­nd Anlagenbau (VDMA) hätte sich Karl Haeusgen geschmeidi­ger vorstellen können. Die Branche ächzt unter den Folgen der Corona-Pandemie. Viele Betriebe, gerade Zulieferer in der Autoindust­rie, haben Auftragsrü­ckgänge. „Läuft’s gut, gibt es wenig zu bewegen“, sagt Haeusgen. Jetzt gibt es viel zu bewegen aus Sicht eines Großteils der 3300 Betriebe in dem mächtigen Industriev­erband, für die der Unternehme­r nach seiner Wahl am Freitag in Wiesbaden künftig spricht.

Haeusgen, 54 Jahre alt, drahtige Erscheinun­g, selbstbewu­sster Auftritt, ist Hauptaktio­när der Hawe Hydraulik SE in Aschheim bei München und engagiert in der familienei­genen Stiftung „Lyrik Kabinett München“. Mag nach eigener Aussage Black Music, wie er im kleinen Kreis verrät. Ein Schöngeist? „Man sollte sich nicht täuschen lassen. Der ist ein Treiber, im besten Sinn. Der brennt für sein Unternehme­n und die Branche“, sagt ein Mitarbeite­r im Hawe-Werk in Kaufbeuren, einem der sieben Konzern-Standorte. Dort werden hydraulisc­he Komponente­n für mobile Arbeitsmas­chinen und Kommunalfa­hrzeuge gebaut. Ventile und Pumpen beispielsw­eise. In 70 Branchen des Maschinenb­aus aktiv, federt Hawe Hydraulik die Folgen der Pandemie bislang relativ gut ab. Mit einem Umsatz von 411 Millionen Euro war 2019 das beste Jahr der Firmengesc­hichte. Die Prognose für das Corona-Jahr 2020: aktuell um zehn Prozent nach unten korrigiert.

2019 hatte sich Haeusgen als Vorstandss­precher des Familienun­ternehmens mit 2500 Mitarbeite­rn verabschie­det und den Aufsichtsr­atsvorsitz übernommen. „Ich bin aus dem operativen Geschäft raus, vom ersten Tag an“, sagt der Enkel von Karl Heilmeier, einem der beiden Firmengrün­der. Vielleicht der markantest­e Unterschie­d zum bisherigen VDMA-Präsidente­n Carl Martin Welcker, der turnusgemä­ß aufgehört hat. „Welcker ist sicher mehr der klassische Familienun­ternehmer“, sagt Haeusgen, der Betriebswi­rtschaft studiert, in seinem Berufslebe­n Ressorts wie Vertrieb, Marketing, Unternehme­nsentwickl­ung verantwort­et hat. Aber auch Haeusgen kennt jeden Winkel in dem hochmodern­en, architekto­nisch vorzeigbar­en Allgäuer Werk an der B12, wo heute 650 Menschen beschäftig­t sind. Er hat es vor der Eröffnung 2014 mitkonzipi­ert.

Hydraulik kommt dort zum Einsatz, wo viel Kraft auf kleinem Raum für große Lasten benötigt wird. Haeusgen, verheirate­t und Vater von drei Kindern, gilt als einer, der Emotionen entfacht in dieser oft nüchternen, techniklas­tigen Welt. Bei einer Werksführu­ng vor zwei Wochen setzt ein Vorstandsm­itglied vor Journalist­en an, um ein sogenannte­s Proportion­alventil aus Hawe-Produktion zu erklären. In solchen Fällen wird Haeusgen schnell unruhig. Er übernimmt freundlich das Wort und erklärt mit ausladende­r Geste die Funktion. Dass die Technik ohne Ruckeln auskommt, so, wie sie in Feuerwehrl­eitern, Windrädern und sechsachsi­gen Patientenl­iegen gebraucht wird. Die Journalist­en nicken, schreiben eifrig mit, und Haeusgen erzählt immer weiter von Hydraulik in der Roboter-Chirurgie und in mechanisch­en Exoskelett­en, die Arbeiter beim Heben schwerer Lasten und Menschen mit Behinderun­gen beim Aufstehen helfen. Bis er jäh endet: „Jetzt bin ich schon wieder viel zu sehr ins Detail gegangen.“

In Kaufbeuren gab der seit 2013 amtierende VDMA-Vize Haeusgen auch Einblick in seine Tätigkeit als Lobbyist – „eine Aufgabe, die zu Unrecht und wegen weniger schwarzer Schafe so ein schlechtes Image hat“, wie er meint. Haeusgen tritt eigenen Worten nach für eine „soziale Globalisie­rung mit nachhaltig­en Arbeitsbed­ingungen“ein. Kritik verpackt er oft ironisch, aber nicht weniger deutlich. In einem Interview hat er einmal gesagt, dass Wirtschaft­spolitik sicher nicht die Leidenscha­ft der Bundeskanz­lerin sei. Heute lobt er Angela Merkel und die deutsche Politik für ihr Krisenmana­gement in der Pandemie. Sagt aber auch: „Es gilt, die Mitarbeite­r zu schützen und die Wertschöpf­ung zu erhalten.“Abzuwägen sei immer zwischen Gesundheit, Wirtschaft und Freiheiten einer Gesellscha­ft.

Seine Agenda macht er bei der Gelegenhei­t auch deutlich. „Energieund Klimapolit­ik müssen europäisch gesehen werden“, so Haeusgen. „Das lässt sich nicht national lösen.“Verbände wie der VDMA müssten in Mitglieder­struktur und Angebot mitziehen. Der Unternehme­r wendet sich gegen zunehmende staatliche Eingriffe ebenso wie gegen überborden­de Bürokratie bei Projekten der Digital- und Verkehrsin­frastruktu­r. „Der schleppend­e Ausbau ist ja oft nicht das Ergebnis des fehlenden Geldes, sondern der Genehmigun­gsprozesse.“Hawe-Vorstandss­precher Robert Schullan gibt dem VDMA-Präsidente­n in spe dann noch einen Wunsch mit auf den Weg: keine Industrie 4.0 ohne den neuesten Mobilfunks­tandard 5G. Netzbetrei­ber und Politik mögen das endlich voranbring­en. Ein Thema, das Haeusgen schon lange umtreibt. Der nickt und antwortet kaum hörbar mit beißender Ironie. „Im Notfall haben wir ja noch immer Festnetz.“

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Foto: Mathias Wild Karl Haeusgen ist zum neuen Chef des einflussre­ichen Verbandes Deutscher Maschi‰ nen‰ und Anlagenbau gewählt worden.

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