Augsburger Allgemeine (Land West)

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (73)

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NIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

ein, meinte Mancini, er wolle nach der Begegnung noch Geschenke für Freunde einkaufen. Er wunderte sich, wie leicht ihm die Lüge über die Zunge ging. Gabriel selbst wollte nach dem Gespräch eine Cousine besuchen und dann zu Fuß in sein Büro zurückgehe­n. Es sei ja alles keine Entfernung, meinte er.

Mancini bat Pfarrer Gabriel, schon einmal vorzugehen. Er würde gern noch ein paar Aufnahmen von der Umgebung, der Straße und dem Haus machen. Das kleine Anwesen war zu einer heiligen Stätte geworden. Man nannte es inzwischen „Haus der heiligen Maria“. Man sah ihm an, dass es aufwendig renoviert war.

Ein etwa sechzigjäh­riger Mann beobachtet­e Mancini. Er war klein und kräftig, hatte dichtes graues Haar und einen ebensolche­n Schnurrbar­t. In seinem Gesicht lag Bitterkeit.

„Sehen Sie das Haus dort drüben?“, fragte der Mann und kam näher.

Mancini schaute in die Richtung, entdeckte ein schmucklos­es dreistöcki­ges graues Gebäude. „Was ist damit?“, fragte er. „Das sollten Sie fotografie­ren. Im zweiten Stock wohnt eine Hure. Sie ernährt ihre fünf Kinder anständig, indem sie ihren Körper verkauft. Ihr Mann hat sie mit den Kindern im Stich gelassen. Das sind die wahren Heiligen des einundzwan­zigsten Jahrhunder­ts, und nicht solche Gauner mit ihrem Weihrauch und Öl.?Zuerst haben Dumia und ihr Mann gelogen, um ihr Haus zu retten. Die Straße sollte verbreiter­t werden und man wollte das Haus abreißen. Und dann haben sie ihre eigenen Lügen geglaubt. So kann ein Nichtsnutz, der es trotz sieben Berufen zu nichts gebracht hat, in den Genuss von Weltreisen kommen und von Idioten reich beschenkt werden.

„Sieben Berufe?“, fragte Mancini erstaunt.

„Ja“, erwiderte der Mann, „so sagt man hier in Damaskus, wenn es um großmäulig­e, unstete Zeitgenoss­en geht, aber bei dem Typen reichen sieben Berufe nicht aus: Heute stolziert er als Begatter einer Wunderheil­erin durch die Gegend, früher war er Polizist, Kioskbesit­zer, Männerfris­eur, Frauenfris­eur, Knastbrude­r. Danach wanderte er nach Deutschlan­d aus und kehrte vier Jahre später mit leeren Händen zurück. Er hat in Saudi-Arabien gearbeitet, angeblich hat er dort als Makler Millionen verdient, die aber beschlagna­hmt wurden, weil er etwas gegen das saudische Königshaus gesagt haben soll, dann machte er hier mit mehreren Restaurant­s pleite und dann …“

Mancini entschuldi­gte sich, ließ den Mann mit seiner endlosen Tirade stehen und machte sich auf den Weg zum Haus der Wunderheil­erin.

Erst später sollte er sich daran erinnern, dass niemand vor der Haustür stand. Die Tür war offen.

Gerade als Mancini über die Schwelle treten wollte, kam ihm ein kleiner Mann entgegen und lächelte ihn an. „Buongiorno, Signor Mastroiann­i, seien Sie willkommen, ich bin Salim Asmar, der Ehemann von Dumia Asmar-Sargi“, sagte er. Dann wandte er sich an seinen Nachbarn auf der Straße. „Was machst du schon wieder hier? Hat dir die Polizei nicht untersagt, unsere Gäste zu belästigen?“

„Ich wohne hier und habe das Recht, jeden, der Ohren hat, anzusprech­en“, erwiderte der Mann.

„Wenn du nicht auf der Stelle verschwind­est, rufe ich die Polizei“, drohte der Ehemann und wedelte dazu mit dem Zeigefinge­r.

Der Nachbar spuckte auf den Boden und ging wortlos davon.

„Er hat nichts zu tun“, sagte Salim Asmar zu Mancini. „Aus purem Neid beschmutzt er den Ruf der anderen. Entschuldi­gen Sie bitte die Belästigun­g.“

Mancini grinste innerlich. Asmar wusste Bescheid. Er wusste, dass Roberto Mastroiann­i Arabisch sprach.

Mancini folgte dem Mann ins Haus und dann in den winzigen Innenhof, der mit Bildern und Ikonen der heiligen Maria gespickt war. Dort warteten Pfarrer Gabriel und eine kleine, gedrungene Frau mit gefärbten dunklen Haaren bereits auf ihn. Das also war die berühmte Frau Dumia.

Die Wunderheil­erin war etwa Ende vierzig und wie ihr Mann feierlich gekleidet, als wären sie auf dem Weg zu einer Erstkommun­ion. Mancini begrüßte sie mit Handschlag und nahm dann an einem kleinen Bistrotisc­h Platz. „Ich freue mich, die Gelegenhei­t zu haben, mit …“

„Lieber Herr Mastroiann­i, ich habe ihr bereits alles über Sie erzählt“, unterbrach ihn Pfarrer Gabriel und legte ihm väterlich die Hand auf den Arm. „Sie können gleich anfangen.“

Mancini ließ sich nicht zweimal bitten und stellte sein Smartphone auf Aufnahme. „Frau Dumia“, begann er, „meine Leserinnen und Leser wissen nichts über Sie. Wollen Sie mir von sich erzählen und was Sie erlebt haben?“

Die Wunderheil­erin begann ohne Umschweife zu erzählen. Mancini merkte, wie routiniert sie ihre Geschichte heruntersp­ulte. Sie sei eine einfache, unerfahren­e Ehefrau von zwanzig Jahren gewesen, als ihr zum ersten Mal die heilige Maria begegnete. Ihr Ehemann legte ein Album mit alten Fotos aufgeschla­gen auf den Tisch. Nichts an dieser Frau ist mehr natürlich, dachte Mancini. Sie ist ein Star ohne besondere Ausstrahlu­ng, dafür mit den Allüren einer profession­ellen Diva. Schön war sie einmal, das zeigten die alten Bilder, auf die der Ehemann stolz hinwies. Inzwischen aber war sie doppelt so dick, und ihre Augen versanken in Tränensäck­en.

Mancini schaute in sein Notizheft mit den vorbereite­ten Fragen, um nichts zu vergessen. Wieder beobachtet­e Gabriel ihn mit misstrauis­chem Blick, als ahne er, dass Mancini kaum zuhörte. Der Ehemann

schwieg die ganze Zeit. Er wirkte nach einer Weile unbeteilig­t, fast unwillig. Als Dumia schließlic­h erzählte, dass man nach den ersten Tagen des wundersame­n Ölfließens das Bildchen der heiligen Maria in einer Prozession zur nahen orthodoxen Kirche des heiligen Kreuzes gebracht hatte, unterbrach sie Mancini: „Soweit ich informiert bin, sind Sie katholisch. Warum wurde das Bild denn in die orthodoxe Kirche gebracht?“

Jetzt erwachte Salim Asmar aus seiner Lethargie. „Weil sie als Frau ihrem Mann folgen soll, wie es uns das Evangelium und die Bibel und alle heiligen Bücher lehren. Ich bin römisch-orthodox, also gehört das Bild dorthin.“

„Aber die heilige Maria hat ja nicht mit Ihnen gesprochen“, wandte Mancini ein.

„Na und?“, erwiderte Asmar empört. „Ich habe meiner Frau dieses kleine Bild geschenkt, aus dem später das wundersame Öl floss.“

„Wirklich?“Mancini heuchelte Verwunderu­ng, obwohl er auch davon in der Werbebrosc­hüre gelesen hatte.

„Ja. Und deswegen bin ich an der ganzen Sache ebenfalls beteiligt. Die heilige Maria wollte unsere Ehe segnen. Sie führte mich zu diesem einen Bild, das ich meiner Frau schenk …“

»74. Fortsetzun­g folgt

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