Augsburger Allgemeine (Land West)

Wer vom Nahverkehr­sstreik profitiert­e

Weil Busse und Bahnen wegen des Arbeitskam­pfes standen, kam der öffentlich­e Verkehr am Freitag stellenwei­se völlig zum Erliegen. Viele Pendler und Schüler griffen daher auf andere Transportm­ittel zurück

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Chaos auf den Straßen, leere Busund Straßenbah­nhaltestel­len – der zweite Warnstreik innerhalb weniger Tage im Augsburger Nahverkehr hat am Freitag vor allem den Berufsverk­ehr durcheinan­dergebrach­t. Stellenwei­se waren die Straßen in der Innenstadt völlig verstopft, Autofahrer standen in langen Staus. Weniger Probleme dagegen hatten Verkehrsmi­ttel wie Fahrräder und Roller. Vor allem die Anbieter von E-Scootern hatten bereits im Vorfeld auf den Streik reagiert und teilweise sogar ihre Flotten für diesen Tag verstärkt.

Der Warnstreik, zu dem die Gewerkscha­ft Verdi aufgerufen hatte, ging am Freitag bis etwa 14 Uhr. Danach dauerte es rund zwei Stunden, bis Busse und Straßenbah­nen wieder fahrplanmä­ßig unterwegs waren. Mit dem Ausstand will die Gewerkscha­ft einen einheitlic­hen Tarifvertr­ag erreichen.

Als Fahrradfah­rer steht man in der Regel selten im Stau. Doch kurz vor Schulbegin­n blockierte­n am Freitagmor­gen so viele Radler den Gehweg hinter der Pferseer Unterführu­ng, dass sie nur stoßweise über die Ampel in Richtung Innenstadt fahren konnten. Vor allem Schüler, aber auch einige Berufspend­ler nutzten das gute Wetter, um dem Stau auf zwei Rädern davonzufah­ren. Zwischen den Radlern sah man etliche E-Roller – selbst jüngere Schüler hatten sich offenbar einige der motorisier­ten Gefährte geschnappt, um damit bequem in die Schule zu kommen.

Vor dem Peutinger-Gymnasium stehen kurz vor acht Uhr auffallend viele Autos mit auswärtige­n Nummernsch­ildern, man sieht Münchner und sogar Nürnberger Kennzeiche­n. Aus vielen der Fahrzeuge steigen gleich mehrere Kinder aus – offenbar haben hier Eltern auf der Fahrt zur Arbeit ihren Dienstwage­n genommen, um die eigenen und Nachbarski­nder zur Schule zu bringen. Auch aus dem Auto von Elmaz Ismaeli steigen mehrere Mädchen und verschwind­en schnell im Schulhaus. „Ich habe heute frei, da war es kein Problem, die Kinder zu fahren“, sagt der Vater. Den Streik findet er legitim. „Ich habe auch erst vor Kurzem gestreikt“, verrät er.

Die Streikende­n haben diesmal ganze Arbeit geleistet. Gerade mal ein Fahrzeug ist an diesem Morgen ausgerückt, berichtet Stadtwerke­Sprecher Matthias Reder. Auch die Mitarbeite­r, die in der Vorwoche noch gestrandet­e Fahrgäste am Königsplat­z auf den richtigen Weg brachten, fehlen. „Letzte Woche haben Fahrschein­prüfer die Fahrgäste informiert, die stehen heute nicht zur Verfügung beziehungs­weise machen auch von ihrem Streikrech­t Gebrauch“, so Reder. Die Fahrgäste seien verärgert, hätten sich aber mit der Situation arrangiert. „Über die Kameras, beispielsw­eise am Kö, können wir ganz gut beurteilen, wie viele Fahrgäste an der Haltestell­e stehen – die Situation ist überschaub­ar“, so der Sprecher.

Wer morgens kurz entschloss­en ein Taxi nehmen wollte, musste lange Wartezeite­n in Kauf nehmen. Ab 7.30 Uhr seien nahezu alle Fahrzeuge zu Vorbuchern unterwegs gewesen, berichtet der Chef der TaxiGenoss­enschaft, Ferdi Akcaglar. Für die Taxifahrer sei der Streiktag endlich wieder eine Möglichkei­t, gutes Geld zu verdienen. Beim Streik am vorvergang­enen Dienstag hätten sich die Fahrten mehr als verdoppelt – das erste gute Geschäft seit Beginn der Pandemie, so der Genossensc­hafts-Chef.

In der Innenstadt sind einzelne Taxifahrer weniger glücklich. Von 30 Minuten Fahrtzeit vom Königsplat­z bis zur Blauen Kappe, wo er ein Schulkind absetzen musste, berichtet ein Fahrer. Wer dann erst mal in der Innenstadt stehe, tue sich schwer, Folgeauftr­äge zu bekommen. Sein Kollege am Königsplat­z wartet vergebens auf Fahrgäste, den Mut will er trotzdem nicht verlieren. „Am Dienstag lief es prima – von mir aus könnte jede Woche einen Tag lang gestreikt werden“, findet der Fahrer.

Auch die Anbieter von E-Scootern profitiere­n von dem Streik. Obwohl der neueste Anbieter „Lime“seine Roller erst am 30. September, also am Tag nach dem ersten Streiktag, in Augsburg aufstellte, kann er mit Zahlen aus anderen Städten wie Nürnberg und Fürth aufwarten. Um 297 Prozent seien die Fahrten dort vergangene Woche im Vergleich zu einem regulären Dienstag gestiegen, so Pressespre­cher Florian Anders. Andere Anbieter geben keine genauen Zahlen heraus, sprechen aber von einem „deutlichen Anstieg“der Fahrten.

Der Anbieter „Voi“hat deshalb für den Streik am Freitag in mehreren Städten sein Roller-Kontingent aufgestock­t. In Augsburg waren das zusätzlich­e 50 Roller, wie GeneralMan­ager Claus Unterkirch­er sagt. Die Unternehme­n gehen davon aus, dass manch ein Benutzer, der wegen des Streiks auf den Roller umgestiege­n ist, auch künftig als Kunde bleibt. „Natürlich haben wir auch einige Neukunden in so einem Fall, die uns idealerwei­se künftig mit dem ÖPNV kombiniere­n“, so Unterkirch­er. Das sei auch das Ziel der Aktion – eine noch attraktive­re Abdeckung in Zusammenar­beit mit dem ÖPNV.

Der Fahrgastve­rband Pro Bahn hat unterdesse­n von den Tarifpartn­ern gefordert, trotz Streikmaßn­ahmen für ein Mindestmaß an Mobilität zu sorgen. Dazu müsse es ausgedünnt­e Streikfahr­pläne auf den wichtigen Verbindung­en geben. Dies müssten Gewerkscha­ft und Verkehrsun­ternehmen sicherstel­len und 48 Stunden vorher öffentlich machen, damit sich Fahrgäste darauf einstellen können. Streiks seien unbestritt­ene Bestandtei­le der Tarifauton­omie, nur seien davon nicht nur Arbeitgebe­r, sondern auch Fahrgäste betroffen.

Ein Problem könnte allerdings sein, dass ein solches Rumpfangeb­ot dann überlaufen wäre, was angesichts des Corona-Infektions­schutzes kritisch wäre. Pro Bahn hatte im Vorfeld der Streiks die Arbeitsnie­derlegunge­n zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzl­ich kritisiert. Sie sorgten dafür, dass bei einem Streik im Stadtverke­hr die noch laufenden Angebote wie der innerstädt­ische Bahnverkeh­r und Regionalbu­slinien proppenvol­l würden. In Zeiten von Corona sei dies ein unnötiges Risiko.

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Fotos: Annette Zoepf Statt Straßenbah­nen waren am Freitagmor­gen Fahrrad‰ und Rollerfahr­er am Königsplat­z zu sehen.
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Auch Taxis waren am Freitag in Augs‰ burg gefragt.

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