Augsburger Allgemeine (Land West)
Zurück aus dem Eis
Forschung Monatelang war die „Polarstern“in der Arktis unterwegs. Nun ist die Expedition zu Ende. Was die Forscher erreichen wollten und wie eine junge Frau aus Bayern das Abenteuer erlebte
Augsburg/Bremerhaven Mit dem Beginn eines neuen Tages endet das Abenteuer. Als am Montagmorgen die Sonne über Bremerhaven aufgeht und den Himmel in ein zartes Rosa taucht, gleitet die „Polarstern“über das stille, dunkle Wasser der Außenweser in den Hafen. 389 Tage war das Forschungsschiff unterwegs – eine Expedition der Superlative, die es so noch nicht gegeben hat.
Das Schiff driftete mit dem Meereis durch die zentrale Arktis und sammelte Daten, die die Klimaforschung revolutionieren sollen. Messungen wurden in bis zu vier Kilometern Tiefe vorgenommen, ein Ballon zeichnete bis in einer Höhe von etwa 35 Kilometern Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit auf. Und dieser Aufwand kostete einiges: Das Budget der Expedition betrug mehr als 140 Millionen Euro.
Eine junge Frau aus Bayern war Teil dieses Abenteuers. Mehr als drei Monate verbrachte die gebürtige Augsburgerin Laura Schmidt an Bord der „Polarstern“, seit Ende August ist sie zurück. Am Montag, als der Eisbrecher in den Hafen einfährt, sitzt Schmidt mit einigen anderen Teilnehmern der Expedition auf einem Begleitboot, um das Schiff willkommen zu heißen. „Die ,Polarstern‘ wiederzusehen ist der Wahnsinn“, sagt Schmidt im Gespräch mit unserer Redaktion am Telefon.
Im September 2019 war das Forschungsschiff des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts von Norwegen aus in die Arktis aufgebrochen. Wissenschaftler aus 20 Ländern, die während der Expedition mit dem Namen „Mosaic“mehrfach ausgewechselt wurden, hatten es sich zum Ziel gesetzt, die komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean und dem Leben zu erforschen – und zwar über einen vollen Jahresverlauf hinweg.
Die Ergebnisse seien ein einmaliger Datenschatz, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und kündigte an, zusätzliche zehn Millionen Euro für die Auswertung der Daten zur Verfügung zu stellen, um möglichst schnell erste Ergebvorliegen zu haben. „Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschland Vorsorge gegen Klimaveränderung zu treffen und effektiv dem Klimawandel entgegenzuwirken“, sagte die CDU-Ministerin. Forscher machen seit längerem darauf aufmerksam, dass die Arktis eine Art Frühwarnsystem für Klimaveränderungen sei – sie habe sich in den vergangenen Jahrzehnten von allen Erdregionen am stärksten erwärmt.
Mitte Mai hatte sich Laura Schmidt auf den Weg in die Arktis gemacht, um Teil dieses gigantischen Forschungsprojekts zu sein. Die studierte Geografin arbeitete im Logistik-Team – und als Eisbärenwächterin. Wagte sich ein Bär zu nahe ans Schiff heran, musste Schmidt ihn vertreiben. Der Abschied vom Schiff sei ihr schwergefallen, erzählt sie. „Es war schmerzhaft. Denn viele Menschen, die mir ans Herzen gewachsen sind, blieben an Bord.“Schmidt und ihre Kollegen, die das Schiff im August verließen, wurden von einem russischen Eisbrecher abgeholt, nach etwa zwei Wochen waren sie wieder in Deutschland – und in der Sonne. „Es war in der Arktis fast immer neblig und kaum sonnig. Das hat einen schon ziemlich mürbe gemacht.“Dabei war es im arktischen Sommer 24 Stunden lang hell. Schmidts Kollegen, die während der Wintermonate an Bord waren, mussten mit der ständigen Dunkelheit klarkommen. Rund 150 Tage lang dauerte die Polarnacht, in der die Sonne nicht über den Horizont stieg. Und dann war da natürlich noch die Kälte: Am 10. März fiel die Temperatur auf minus 42 Grad.
Für Laura Schmidt war der einnisse schneidendste Moment der, an dem die Eisscholle auseinanderbrach. Die Scholle, auf der die Wissenschaftler so lange gearbeitet hatten, erreichte im Sommer den Eisrand östlich von Grönland. Ende Juli zerbrach sie in viele Teile, damit endete ihr typischer Lebenszyklus. Um das noch fehlende letzte Puzzlestück zu erfassen – das Gefrieren des Eises am Ende des Sommers – stieß die Expedition danach noch weiter nach Norden vor.
Expeditionsleiter Markus Rex ist glücklich über den Erfolg der Forschungsreise – gibt sich aber auch sehr nachdenklich: „Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt. Im Sommer war es von der Wärme selbst direkt am Nordpol völlig aufgeschmolzen und erodiert.“Wenn man die Klimaerwärmung nicht sofort und massiv bekämpfe, werde das arktische Eis im Sommer bald verschwunden sein – mit unabsehbaren Folgen für Wetter und Klima. Auch bei uns.