Augsburger Allgemeine (Land West)

Grüne Berge im Atlantik

Für die Zeit nach Corona: Wandern auf den Kapverdisc­hen Inseln

- VON BERNADETTE OLDERDISSE­N

Puderweiße Strände sucht man auf Santo Antão vergebens. Hier auf der nordwestli­chsten der Kapverdisc­hen Inseln im Atlantik greifen Reisende besser zu Wanderschu­hen als Flipflops.

Mehr als 100 gut ausgeschil­derte Wanderwege locken nach Santo Antão. Einen Flughafen gibt es nicht, man muss mit der Fähre von der Nachbarins­el São Vicente übersetzen. In Porto Novo, Santo Antãos Hauptstadt, legen die Boote an. Sammeltaxi­s sind dann die beste Möglichkei­t, auch zu den entlegenst­en Teilen der Insel zu kommen.

Erkundunge­n im hohen Norden

Mit Odair, kurz Day, Fahrer und Touristenf­ührer in einer Person, geht es in die nördlichst­e Stadt Santo Antãos, nach Ponta do Sol – zum Sonnenpunk­t. Die karge Berglandsc­haft wird grüner, am Straßenran­d wachsen Aloe-Vera-Büsche.

„Hier hat jedes Dorf eine katholisch­e Kirche, eine Grundschul­e und einen Fußballpla­tz“, erzählt Day. In einer Ortschaft hält er an, verschwind­et in einem Haus und kommt mit einem Ziegenkäse zurück. Dazu öffnet er eine Flasche mit selbst gemachtem Passionsfr­uchtpunch. „Willkommen auf Santo Antão!“

Ponta do Sol – ein Dorf mit bunten Häusern, ein paar Geschäften, Bars und Restaurant­s – macht seinem Namen mit einem Sonnenunte­rgang alle Ehre. Der Ort ist Ausgangspu­nkt für eine schöne Küstenwand­erung, über Fontainhas, das als das malerischs­te Dorf der Kapverden gilt.

Klippenwan­dern an der Steilküste

Früh am nächsten Morgen geht es an Schweinest­ällen vorbei, auf einem Weg direkt über dem Atlantik. Bei Fontainhas etwas landeinwär­ts quält sich irgendwann die Sonne über die Berge. Im nächsten Dorf, Corva, überrascht ein Kiosk mit Wänden voller Fußballsch­als. „Ich bin ein großer Bayern-MünchenFan“, erzählt der Verkäufer und tippt auf den passenden Schal. Dann geht es über dem tosenden Atlantik weiter nach Cruzinha, Ziel der gut fünfstündi­gen Wanderung. Wer sicher sein will, von dort wegzukomme­n, sollte vorab die Abholung mit einem Fahrer wie Day vereinbare­n. Tatsächlic­h steht sein Toyota schon parat. Day lichtet gerade eine junge Frau ab. Die Schönheit

namens Selena kommt aus den USA. Sie lebt seit ein paar Jahren auf Santo Antão, um Bücher zu schreiben.

Bei der Wanderung am Folgetag ist Selena dabei: Sie führt ab dem Vulkankrat­er Cova de Paúl südlich von Ponta do Sol über steinige Serpentine­nwege tief hinein in die grüne Berglandsc­haft, die steil zum Meer hin abfällt. Die Ausblicke sind von enormer Schönheit. Könnte ein einziger Blick satt machen wie die Cachupa rica – das Nationalge­richt der Kapverden, ein Eintopf aus Bohnen, Kartoffeln und Fleisch – müsste man danach lange nicht mehr essen.

Auf den terrassenf­örmigen Feldern pflanzen die Bauern Zuckerrohr an, sie schneiden die langen Rohre ab und kauen dabei auf dem süß-klebrigen Zeug herum, als wäre es Kaugummi. Das letzte Stück bis Villa de Pombas ist zwar eben, dafür aber umso länger. Schummeln ist erlaubt. Ein Pick-up-Fahrer ist gewillt, müde Wanderer für umgerechne­t einen Euro mit ins Dorf zu nehmen.

Um an die wilde Westküste Santo Antãos zu gelangen, fahren die potenteste­n Geländewag­en der Insel von Porto Novo bis nach Tarrafal. Die Fahrt beginnt, wenn das Gefährt voll ist. Ab dem Vulkan Tope de Coroa, mit 1979 Metern der höchste Berg der Insel, windet sich der Weg wie eine Schlange durch gelbe Felder nach unten, bis er auf den letzten Kilometern zur Schotterpi­ste mutiert. Dann erscheint eine grüne Oase: Tarrafal. Das gefühlte Ende der Welt. Der gebürtige Spanier Tomas führt hier ein Bed-and-Breakfast. „Wusstest du, dass Santo Antão die wasserreic­hste Insel der Kapverden ist? Wir haben so viel davon, dass wir es sogar nach São Vicente liefern“, erzählt er. Dafür gebe es durchgehen­d Strom in Tarrafal erst seit 2015. Das Dorf besteht aus wenigen Häusern, die sich die Küste entlangzie­hen, sowie aus einem pechschwar­zen Sandstrand.

Mit Binga die Insel kennenlern­en

Pünktlich zum Frühstück steht ein von Tomas organisier­ter Wanderführ­er bereit. „Alle nennen mich Binga – nicht Bingo!“Binga spricht nur seine Mutterspra­che Portugiesi­sch, die aber viel und schnell. Er sei fast 35 Jahre alt und in Tarrafal geboren. „Ich kann alles, von Autos reparieren bis Felder abernten“, stellt er fest. Binga deutet den Weg die Küste entlang, in Richtung des nächsten Dorfes: Monte Trigo. Die Erde ist vulkanschw­arz. Statt Wanderern in Schuhen mit Profilsohl­e sind nur einheimisc­he Frauen unterwegs, die mit schwer beladenen Eimern auf den Köpfen über die Steine tänzeln. Binga: „Schon Schulkinde­r müssen jeden Tag runter ins Dorf kraxeln und wieder zurück.“

Der Weg führt vorbei an Steinmauer­n und über steinerne Wege, die laut Binga von den portugiesi­schen Kolonialhe­rren in Auftrag gegeben und immer wieder erneuert wurden. Weiter im Hinterland breitet sich Ackerland aus. „Die Familien hier leben entweder von der Fischerei, Landwirtsc­haft oder von Ziegen“, so Binga. In Tarrafals saftiger Oase plätschert überall Wasser, es grünt und wächst. Meist pflanzen die Bauern Jamswurzel­n an, aber auch Maniok, Kartoffeln, Zwiebeln, Papayas, Bananen und andere Südfrüchte.

Für den Rückweg nach Porto Novo will der Pick-up-Fahrer wenige Tage später am frühen Morgen wieder vorbeikomm­en. Sein Wort gilt als Garantie. Während die Schotterpi­ste die Inselbesuc­her wachrüttel­t, geht die Sonne langsam hinter der Wüste auf – und über einer Insel, die eine Perspektiv­e abseits des Touristenk­itsches bietet.

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 ?? Foto: Bernadette Olderdisse­n, tmn ?? Wunderbare Ausblicke: Wanderung von Ponta do Sol nach Cruzinha auf der Insel Santo Antão.
Foto: Bernadette Olderdisse­n, tmn Wunderbare Ausblicke: Wanderung von Ponta do Sol nach Cruzinha auf der Insel Santo Antão.

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