Augsburger Allgemeine (Land West)

Triumph in Versen: Buchpreis für Anne Weber

Frankfurte­r Buchmesse Warum „Annette, ein Heldinnene­pos“der beste deutschspr­achige Roman des Jahres sein soll

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Frankfurt/Main Mit 16 Jahren tritt sie in die Résistance ein, rettet jüdische Kinder und wird Kommunisti­n. Später wird sie Medizineri­n und geht im Kampf für ein unabhängig­es Algerien in den Maghreb und dafür ins Gefängnis. Dann kommen Flucht und die Trennung von Familie und Kindern. Heute lebt die 96-jährige Anne Beaumanoir im Süden Frankreich­s. Ihrem außergewöh­nlichen Leben hat die Schriftste­llerin Anne Weber ein ebenso ausgefalle­nes Buch gewidmet: „Annette, ein Heldinnene­pos“. Am Montagaben­d gewann sie dafür den mit 25 000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis 2020. Die übrigen fünf Autoren der Shortlist erhielten jeweils 2500 Euro: Bov Bjerg („Serpentine­n“), Thomas Hettche („Herzfaden“), Deniz Ohde („Streulicht“), Dorothee Elmiger („Aus der Zuckerfabr­ik“) und Christine Wunnicke („Die Dame mit der bemalten Hand“). Die sieben Jurymitgli­eder hatten 206 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2019 und September 2020 erschienen sind.

Der Sieger-Titel aus dem Verlag Matthes & Seitz erzählt die Lebensgesc­hichte der französisc­hen Widerstand­skämpferin Anne Beaumanoir – in Versform. „Die Kraft von Anne Webers Erzählung kann sich mit der Kraft ihrer Heldin messen“, lautete die Begründung der Jury. Es sei „atemberaub­end, wie frisch hier die alte Form des Epos klingt“.

„Anne Beaumanoir ist einer ihrer Namen. Es gibt sie, ja, es gibt sie auch woanders als auf diesen Seiten, und zwar in Dieulefit, auf Deutsch Gott-hats-gemacht, im Süden Frankreich­s. Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie. Falls es ihn gibt, so hat er sie gemacht.“

Mit diesen Sätzen beginnt das Buch, für dessen literarisc­he Form die 55-jährige Autorin das Epos gewählt hat: Ein antiker Referenzra­hmen, in dem es traditione­ll um Götter und Helden geht, den Anne Weber auf ihre Weise gelungen ästhetisie­rt. Der Stil ist rhythmisch, die Struktur der Verse erkennbar und die Spracharbe­it von ungewöhnli­cher Originalit­ät. Wie auch in „Ahnen. Ein Zeitreiset­agebuch“, in dem sie sich auf die Suche nach den Spuren ihres Großvaters macht. Webers Texte zeichnen sich durch formale Experiment­ierfreudig­keit und sprachlich­e Beweglichk­eit aus.

Weber wurde am 13. November 1964 in Offenbach am Main geboren, lebt seit 1983 jedoch in Frankreich, wo sie an der Pariser Sorbonne französisc­he Literatur und

Vergleiche­nde Literaturw­issenschaf­t studierte. Sie selbst übersetzt ihre Bücher, sobald sie geschriebe­n sind. Anfänglich schrieb sie auf Französisc­h und übersetzte ins Deutsche. Inzwischen verfasst sie ihre Texte in deutscher Sprache, um sie danach ins Französisc­he zu übertragen. Eine Besonderhe­it – ebenso wie ihre literarisc­he Experiment­ierfreudig­keit und subtile erzähleris­che Vermittlun­g.

Die Verleihung war der traditione­lle Vorauftakt zur Frankfurte­r Buchmesse, die offiziell von 14. bis 18. Oktober dauert. Aufgrund der aktuellen Corona-Lage muss die Schau, auch das wurde gestern bekannt, nun doch komplett ohne Publikum stattfinde­n.

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Foto: dpa

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