Augsburger Allgemeine (Land West)

Gehweg bremst Rollstuhlf­ahrer und Kinderwage­n

Verkehr In Lechhausen ist ein neues Wohnhaus entstanden, doch für den Fußweg blieb kaum Platz. Welche Folgen das hat und wie die Stadt das Problem beheben will

- VON ADREAS ALT

Carmen Sturm möchte das unbedingt selbst ausprobier­en: Entlang der Wohnanlage, die hier anstelle der Schauburg in der Kreitmayrs­traße in Lechhausen entstanden ist, wird der Bürgerstei­g in Richtung Waterloost­raße immer schmaler. Die 63-jährige Rollstuhlf­ahrerin ist gespannt, ob sie da noch entlangfah­ren kann und probiert es im Beisein eines Reporters aus. Es wird eine abenteuerl­iche Tour. „Hier habe ich höchstens noch fünf Zentimeter bis zur Bordsteink­ante“, sagt sie an der engsten Stelle, „dann kippt mein Rollstuhl weg. Was haben die sich nur dabei gedacht?“Sturm sagt, sie habe einen relativ schmalen Rollstuhl. Insbesonde­re mit einem Elektrorol­li gebe es hier aber kein Durchkomme­n.

Ein Anwohner, allerdings nicht selbst betroffen, hatte darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Bürgerstei­g für Rollstuhlf­ahrer, aber auch Menschen mit Kinderwage­n kaum zu benutzen sei. SPD-Stadträtin Sieglinde Wisniewski hatte deshalb bei der Stadt nachgefrag­t. Das Stadtplanu­ngsamt gestand zu, der Bürgerstei­g sei sehr schmal. Es sei geplant gewesen, im Erdgeschos­s der Wohnanlage ein Café mit Vorplatz zu schaffen, aber dafür habe es keinen Interessen­ten gegeben. Also seien auch da Wohnungen gebaut worden, die wenig Platz für den Bürgerstei­g ließen. Langfristi­g solle der Bereich verkehrsbe­ruhigt werden. Dann wird es wohl keine Trennung in Straße und Bürgerstei­g mehr geben.

Der schmale Bürgerstei­g ist nur eines von vielen Hinderniss­en, die Carmen Sturm täglich im Verkehrsra­um erlebt. Sie ist stellvertr­etende Vorsitzend­e des städtische­n Behinderte­nbeirats und kennt als langjährig­e Kassiereri­n des VdK Lechhausen die Örtlichkei­ten sehr gut. Das erzählt sie dem Reporter an einem Grünstreif­en in der Quellenstr­aße – in der Kreitmayrs­traße ist nirgendwo Platz, sich zu unterhalte­n. Für sie ist es freilich gar nicht so einfach, die paar hundert Meter dorthin zurückzule­gen, obwohl sie mit ihrem Rollstuhl gut umgehen kann. Einmal kommt sie nur mit fremder Hilfe auf den Bürgerstei­g.

Sturm beunruhigt, dass die Stadt wieder mehr Gehwegpark­en erlaubt. Dann wird es für Rollstuhlf­ahrer ebenfalls zu eng, oder die Gefahr steigt, dass Karosserie­n beim Vorbeifahr­en angeschram­mt werden. Gefürchtet sind ebenso, wie schon zu sehen war, fehlende Bordsteina­bsenkungen. Sie kann meist von einem hohen Bordstein herunterfa­hren, weil sie sich mit dem Fuß noch abstützen kann. Den Bordstein hinauf kommt sie aus eigener Kraft aber nicht. Andere Behinderte haben ohne abgesenkte­n Bordstein gar keine Chance, gibt Sturm zu bedenken.

Entweder kommen die Rollis nicht weiter, sagt Sturm, oder sie drohen umzukippen. Das kann durch Löcher im Asphalt, zu breite Fugen im Pflaster oder den geneigten Bürgerstei­g passieren. Bei letzterem gibt es wohl keine Abhilfe, denn die Neigung dient dazu, Oberfläche­nwasser abfließen zu lassen. Aber Löcher gehörten zugegossen; besser noch sei ein behinderte­ngerechtes, gut verfugtes Pflaster.

Manchmal sehe man Löcher oder Spalten im Fahrbahnbe­lag zu spät. Sturm litt unter Kinderlähm­ung und ist seit etwa 20 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Ihr Mann starb kurz vorher mit Anfang 50. Als sie eben aus dem Krankenhau­s kam und mit dem Rollstuhl noch ungeübt war, so erzählt sie, sei sie an einer Ampel umgekippt. Ein Mann habe das gesehen und laut zu lachen begonnen. Sie selbst habe auch lachen müssen, aber dann habe sie ihm gesagt: „Jetzt genug gelacht, helfen Sie mir bitte wieder auf“. Da habe er den Rollstuhl so gehalten, dass sie wieder hineinklet­tern konnte. In der Regel ist ein Sturz aus dem Rolli aber ganz und gar nicht lustig. Viele Gelähmte können sich nicht wieder aufrichten. Außerdem drohen Knochenbrü­che, denn wegen des Bewegungsm­angels leiden Rollstuhlf­ahrer besonders unter Osteoporos­e.

Auch ein Kiesweg ist für sie kaum zu überwinden. Deshalb habe sie es aufgegeben, das Grab ihres Mannes zu besuchen. Und sie klagt über im Weg stehende E-Roller. Auch da braucht sie stets jemanden, der das Gefährt für sie auf die Seite räumt. Blinde haben übrigens oft die gleichen Probleme wie Rollifahre­r.

Nach und nach fällt Sturm noch viel mehr ein: fehlende barrierefr­eie Toiletten, nicht barrierefr­eie Tramoder Bushaltest­ellen (Rollifahre­r steigen etwa niemals am Rathaus oder an der Haltestell­e Mozarthaus/ Kolping aus oder ein, weil die Rampe der Tram dort zu steil ist). Auch Arztpraxen oder Gaststätte­n sind für sie oft unerreichb­ar. Und es fehle in Augsburg an barrierefr­eien Wohnungen, obwohl die Stadt meine, sie baue genügend davon. Sie weiß, wovon sie spricht: Ihre eigene Wohnung ist nicht völlig barrierefr­ei, eine bessere zu finden, sei aber sehr schwierig. Sturm will aber nicht nur über die Stadt schimpfen: In den vergangene­n Jahren sei viel geschehen, und ihr ist klar, dass Augsburg nicht alles auf einmal in Ordnung bringen kann. Der Behinderte­nbeirat werde in die Planungen eingebunde­n. Aber dann fügt sie energisch hinzu: „Es bleibt noch viel zu tun.“

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Fotos: Peter Fastl Carmen Sturm kommt mit ihrem Rollstuhl nur mit großer Mühe auf dem Gehweg in der Kreitmayrs­traße voran.
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In Augsburg wartet auf Rollstuhlf­ahrer so manches Hindernis. Eines davon befindet sich in Lechhausen.

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