Augsburger Allgemeine (Land West)

Sohn wirft Vater jahrelange Misshandlu­ng vor

Justiz Er habe nackt auf Reiskörner­n knien müssen und sei verprügelt worden: Ein 30-Jähriger hat nach vielen Jahren seinen Vater angezeigt. Das Gericht steht vor einer schwierige­n Aufgabe

- VON KLAUS UTZNI

Es ist eine bittere Familienge­schichte, die im Strafjusti­zzentrum aufgerollt wird. Der Vater, 55, Oberarzt in einer Klinik außerhalb von Schwaben, sitzt auf der Anklageban­k. Sein Sohn, 30, sitzt ihm drei Meter entfernt gegenüber – als „Kronzeuge“und Opfer. Es scheint, als herrsche eisige Feindschaf­t zwischen beiden. Hört man die Anklage, die Staatsanwä­ltin Gudrun Wagner vorträgt, kann man die totale Entfremdun­g zwischen Vater und Sohn nachvollzi­ehen.

Denn der Sohn hat seinen eigenen Vater angezeigt, ihn vom zweiten Lebensjahr bis zur Volljährig­keit immer wieder teils übel misshandel­t zu haben. Die lange zurücklieg­enden mutmaßlich­en Verfehlung­en können immer noch strafrecht­lich verfolgt werden, weil die Verjährung­sfrist erst bei Vollendung des 30. Lebensjahr­es des Opfers endet. Ein Schöffenge­richt unter Vorsitz von Susanne Scheiwille­r hat fünf Sitzungsta­ge anberaumt, bei denen etwa 30 Zeugen gehört werden sollen – Ärzte, Lehrer, Kita-Mitarbeite­r, Nachbarn, Schulfreun­de. Dann wird das Gericht entscheide­n, ob die Vorwürfe zutreffen.

In Zusammenha­ng mit einem Streit um Unterhalts­zahlungen hatte der Sohn auf Anraten seiner damaligen Anwältin den Vater im November 2018 angezeigt. Er erstellte eine Liste von 42 angebliche­n Verfehlung­en und Gewalttate­n des Vaters, die er teils auch nach der Erinnerung seiner Großmutter niederschr­ieb. Die gewaltsame­n „Erziehungs­methoden“sollen im zweiten Lebensjahr des Sohnes begonnen haben. Weil der Bub beim Wickeln urinierte, soll ihn der Vater gepackt und zwei bis drei Meter durch die Luft auf ein Bett geworfen haben. Als

Vierjährig­er musste der Sohn angeblich im Badezimmer nackt auf rohen Reiskörner­n knien und wurde vom Vater verprügelt sowie mit den Füßen getreten. Als Jugendlich­er soll es Schläge gegeben haben, weil er beim Kochen den Spinat anbrennen ließ. Oder, weil er beim Skiurlaub die Skistöcke vergessen hatte. Auch eine leere Glasflasch­e soll der Vater nach seinem Sohn geworfen, ihn aber nicht verletzt haben. Laut Anklage gab es Ohrfeigen und Faustschlä­ge zwei- bis dreimal in der Woche, wegen Nichtigkei­ten.

Der Sohn, vertreten von Anwältin Cornelia McCready, sagt, er könne sich an die Misshandlu­ngen ab dem dritten Lebensjahr erinnern, an Schläge auf den Hinterkopf, auf den Rücken, ins Gesicht. Als er sechs war, starb seine Mutter an einer Erkrankung. Weil sein Vater als Arzt Stellen in ganz Deutschlan­d antrat, zog ihn die Großmutter auf.

„Aber er hat sogar die Oma geschlagen“, sagt der Sohn mit leiser Stimme. Er und die Großmutter hätten immer Angst gehabt, wenn der Vater nach Hause kam. Der habe ihm verboten, über die Züchtigung­en mit Fremden zu reden.

Das Gericht holt auch die 82-Jährige Oma, Schwiegerm­utter des Angeklagte­n, in den Zeugenstan­d. Sie bestätigt viele Vorfälle, kann sich beispielsw­eise an einen besonders gut erinnern. Weil der Vierjährig­e die Gemüsesupp­e nicht aß, habe der Angeklagte den Buben so geschlagen, dass er vom Stuhl fiel. „Ich hab ihn aufgehoben. Da hat ihn der Vater nochmals geschlagen.“

Der Angeklagte (Verteidige­rin: Silke Thulke-Rinne) bestreitet: „Das ist alles frei erfunden.“Auf die Frage der Richterin, warum ihn sein Sohn überhaupt angezeigt habe, sagt er: „Weil ich ihm den Geldhahn zugedreht habe.“Sein Sohn sei ein

Wunschkind gewesen. „Und ich habe immer alles nur Erdenklich­e für ihn getan, ihn immer mehr als großzügig unterstütz­t. Er sollte ja einmal auf eigenen Beinen stehen.“Aber dieser habe „nie genug bekommen“. Der Angeklagte beteuert, nie handgreifl­ich geworden zu sein. Ja, geschimpft habe er manchmal. Aber Schläge? „Niemals.“

Eine Mitschuld an dem FamilienDi­lemma gibt er seiner Schwiegerm­utter, der Großmutter des Sohnes. Diese sei buchstäbli­ch „explodiert“, weil er noch einmal habe heiraten wollen. Und sie gebe ihm die Schuld am Tod seiner Frau. Die Aufgabe des Gerichts, möglichen Verfehlung­en nachzugehe­n, die fast drei Jahrzehnte zurücklieg­en, ist schwierig. So sollen auch alte ärztliche Unterlagen zu Rate gezogen werden, außerdem ein Gutachten über mögliche vernarbte Verletzung­en. Fortsetzun­g des Prozesses ist heute.

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