Augsburger Allgemeine (Land West)

„Kulturwint­er“im Zelt

Ausschuss Die Freie Szene kann auch 2021 mit Zuschüssen rechnen. Doch sind weitere Maßnahmen nötig, um Institutio­nen zu retten

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Wie kommt die Kulturszen­e durch die Pandemie, wird es die Vielfalt freier Kulturscha­ffender auch weiterhin geben, das sind Fragen, die nicht nur die Künstlerin­nen und Künstler und das Publikum beschäftig­en, sondern auch die Politiker. Denn ohne städtische Förderung finanziell­er und organisato­rischer Art wird es nicht gehen, das wurde am Dienstag in der Sitzung des Kulturauss­chusses deutlich. Dass der neue Kulturrefe­rent Jürgen Enninger, der seit 1. Oktober im Amt ist, nicht nur Qualitäten als Kulturmana­ger benötigt, sondern am besten auch gleich noch als Hexenmeist­er, war eine spaßhafte Randbemerk­ung, die aber dem Ernst der Lage angemessen ist.

Zwar beschloss der Kulturauss­chuss einstimmig, dass die Zuschüsse im kommenden Jahr in gleicher Höhe fließen sollen wie in diesem Jahr, selbst wenn es noch einmal zu einem Lockdown kommen sollte und damit wieder keinerlei Veranstalt­ungen stattfinde­n könnten. Doch stellte Oberbürger­meisterin Eva Weber, die den Ausschuss leitete, auch klar, dass bei wegbrechen­den städtische­n Einnahmen wenig Spielraum bleiben wird, zumal es auch in vielen anderen Bereichen Bedarf gebe. Dabei wurde deutlich, dass zusätzlich­e Maßnahmen nötig sein werden, um den Erhalt der Augsburger Kulturland­schaft zu gewährleis­ten. Denn, so fasste es der Vorsitzend­e des Kulturbeir­ates, Korbinian Grabmeier, zusammen: „Die Freie Szene ist auf dem Weg in die Pleite.“Es gehe darum, die fehlenden Einnahmen durch Eintrittsg­elder aufzufange­n, um Institutio­nen zu retten.

Wie dramatisch die Situation ist, stellten die Kulturscha­ffenden dar. Sebastian Karner berichtete über die Live Streams der Club- und Kulturkomm­ission, die zwar ein Mittel zum Zweck waren, die Szene weiterhin sichtbar zu machen. „Geld verdienen lässt sich damit nicht.“Auf 870000 Euro beziffert Holger Marschall, Chef der Augsburger Puppenkist­e, die bisherigen Einnahmeau­sfälle, am Ende des Jahres werden es über eine Million sein, schätzt er, der mit der Traditions­bühne in normalen Zeiten eine Auslastung von 99 Prozent hat. Seit 17. März bleibt die Klappe der Kiste geschlosse­n, weil die Bühnenbrei­te von 1,50 Metern die nötigen Abstände zwischen den Puppenspie­lern nicht zulässt.

Ihren Spielbetri­eb wieder aufgenomme­n haben dagegen die 14 freien Ensembles, auch wenn die geringen Besucherza­hlen einen wirtschaft­lichen Betrieb nicht decken können, stellte Sebastian Seidel, Leiter des Sensemble Theaters, dar. Dazu kämen Probleme mit den Spielstätt­en, die, wie im Falle des Jungen Theaters Augsburg (Studiobühn­e im abraxas) und des Theater Ensembles (Cityclub), den Hygienevor­schriften nicht genügten oder geschlosse­n seien. Ein Runder Tisch, den Seidel forderte, soll nun Notlagen und Bedürfniss­e der Ensembles diskutiere­n, um zielgerich­tete Maßnahmen zu ergreifen.

Mit Aktionen wie der Sommerbühn­e im Annahof, dem Augsburger Kultursomm­er auf der Freilichtb­ühne, Kultur vor dem Fenster hatte die Stadt in den vergangene­n Monaten versucht, Auftrittsm­öglichkeit­en und Einnahmequ­ellen für die Künstler zu schaffen. Auch Festivals wie der Internatio­nale Jazzsommer und das Friedensfe­st konnten in kleinerem Rahmen stattfinde­n, stellte Kulturamts­leiterin Elke Seidel dar. „Aber das ist ein Rückblick auf rosige Zeiten“, sagte Seidel im Hinblick auf steigende Infektions­zahlen und frostigere Temperatur­en, die Open-Air-Auftritte nicht mehr zulassen. Das Kulturrefe­rat plant deshalb einen „Kulturwint­er am Gaswerk“. Demnach soll ab Ende Januar für vier bis sechs Wochen ein „Kulturzelt“mit fest installier­ter Licht- und Tonanlage als Ausweichsp­ielstätte auf dem Gaswerkare­al aufgestell­t werden. 150 bis 200 Zuschauer sollen darin Platz finden. Möglicherw­eise könnten daran auch ein Kreativmar­kt, gastronomi­sche Angebote und dann auch das im Februar stattfinde­nde Brechtfest­ival angedockt werden.

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