Augsburger Allgemeine (Land West)
Mobbing wegen Corona
Ulmer Psychiater warnt vor psychischen Folgen für Kinder
Ulm Der Ulmer Professor Jörg Fegert sieht die Gefahr, dass mit dem Coronavirus infizierte Schüler in ihrer Klasse als Sündenböcke abgestempelt werden. Eine solche Stigmatisierung könne zu einer erheblichen psychischen Belastung durch Scham und Ausgrenzung führen.
Fegert ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Uniklinikums Ulm. Er empfiehlt Schulen, Eltern und Kinder möglichst nicht erst im Ernstfall über das Vorgehen im Fall von Corona-Infektionen zu informieren. Lehrer könnten in Gesprächen deutlich machen, dass Schüler, die aus einer Quarantäne zurückkehren, ganz normal und ohne Schuldzuweisung in der Klasse aufgenommen werden müssen. Falls es zu Mobbing-Fällen komme, hätten Mitschüler einen größeren Einfluss als Lehrer und könnten gegen die Herabsetzung einstehen.
Wenn Schüler angesichts der Corona-Krise psychische Probleme bekämen, sei das für Lehrer schwer zu erkennen. Kinder und Jugendliche könnten sich unter dem Vorwand von Erkältungssymptomen leicht vor dem Schulbesuch drücken. Es sei wichtig, die Häufigkeit von Fehltagen im Auge zu behalten.
Zu Beginn des Lockdowns, berichtet Fegert, hätten manche Kinder und Jugendliche den Besuch in der Klinik aus Angst vor einer Ansteckung verschleppt – auch trotz zunehmender Lebensmüdigkeit. Inzwischen beobachte er auch, dass das Infektionsrisiko Teil paranoider Vorstellungen werde. Etwa in Zwangsvorstellungen in Bezug auf Händewaschen.
Fegert kennt nach eigenen Angaben keine Studie, die einen Anstieg von Diagnosen wie Belastungsstörungen oder Traumafolgestörungen im Zusammenhang mit Corona für Deutschland zeigt. Durch seine internationale Vernetzung bekomme er aber auch andere Einblicke. In Italien beispielsweise hätten viele Kinder Schuldgefühle gehabt, ihre später verstorbenen Großeltern womöglich bei Besuchen infiziert zu haben, erzählt er von Gesprächen mit Kollegen von dort. „Wir sollten die jetzige Situation nicht dramatisieren, gleichwohl aber aufmerksam auf Kinder und Jugendliche und ihre Bedürfnisse achten“, folgert Fegert.