Augsburger Allgemeine (Land West)

„Sölden wird der Gradmesser“

Viktoria Rebensburg ist jetzt Sport-Rentnerin. Mit Corona habe ihr Rücktritt nichts zu tun

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Sölden Der alpine Saisonstar­t in Sölden war jahrelang die erste Chance für Viktoria Rebensburg, 31, auf das Podest zu fahren. Nach dem überrasche­nden Rücktritt der Olympiaund 19-maligen Weltcupsie­gerin fehlt dem DSV die wichtigste Erfolgsfah­rerin nun beim ersten Rennen am Wochenende im Ötztal.

Wie geht es Ihnen als junge Ski-Rentnerin kurz vor Sölden? Rebensburg: Mir geht es gut. Ich genieße meine neue Freiheit ohne den ganzen Stress und Druck aus dem Weltcup. Ich habe nun Zeit für die Dinge, die sonst nie oder kaum möglich waren. Ich weiß noch nicht, wie es mir am Samstag beim Weltcup-Auftakt geht, aber momentan herrscht bei mir eine extreme Vorfreude und Neugier, wie das Rennen abläuft und wer gewinnt.

Was erwartet die Sportler in diesem Corona-Winter?

Rebensburg: Das kann wohl niemand genau voraussehe­n. Wichtig ist, dass Sölden ein schönes Rennen wird und die Abläufe gut funktionie­ren, sodass es keine negativen Schlagzeil­en gibt. Sölden wird daher der Gradmesser für die nächsten Rennen sein. Wenn da alles funktionie­rt, dann ist das ein gutes Zeichen für die weitere Saison. Wichtig ist, dass überhaupt Rennen stattfinde­n. Aber die Saison wird definitiv anders als die bisherigen. Für die Athleten, die um Disziplin- und Gesamtwert­ungen mitfahren, wird das oberste Gebot sein, gesund zu bleiben, denn mit einem positiven Test droht man. zwei Wochen auszufalle­n und kann in der Zeit keine Punkte einfahren.

Haben die Corona-Ungewisshe­iten Ihren Rücktritt beeinfluss­t? Rebensburg: Nein, bei meiner Entscheidu­ng war Corona überhaupt kein Thema. Mir ging es darum, wie ich mich fühle, wie es mir geht und ob ich noch die hundertpro­zentige Überzeugun­g habe, vorne mitzufahre­n. Das war einfach nicht mehr da.

Wer wird sportlich dominieren? Die langjährig­e Dominatori­n Mikaela Shiffrin (die wegen einer Rückenverl­etzung den Start in Sölden verpasst), Herausford­erin Petra Vlhova oder die starken Italieneri­nnen um Weltcup-Gesamtsieg­erin Federica Brignone? Rebensburg: Ich denke, das werden die Kandidatin­nen sein. Bei Mikaela bin ich gespannt: Das Thema Rücken kenne ich aus eigener Erfahrung.

Um erfolgreic­h zu sein, ist es sehr wichtig, dass der Körper in einer guten Verfassung und Balance ist. Aber ich denke, dass Mikaela definitiv wieder ganz vorn dabei sein wird. Dann ist die Frage, wie Fede (Brignone) nach ihrem großen Triumph über den Sommer gekommen ist. Alice Robinson ist extrem stark im Riesenslal­om unterwegs. Mit Petra muss man immer rechnen, und dann gibt es vielleicht auch eine Überraschu­ngsfahreri­n, die jetzt noch niemand auf dem Zettel hat.

Lange lag der Fokus auf Ihnen. Wo werden sich die DSV-Fahrerinne­n im Jahr eins nach Rebensburg einordnen? Rebensburg: Jetzt können die Mädels den nächsten Schritt machen. In der Abfahrt liegen die größten Podiums-Hoffnungen bei Kira Weidle. Sie hat die letzte Saison bewiesen, dass sie sich in den Top Ten festgesetz­t und kontinuier­lich ihre Leistung gebracht hat. Ich bin mir sicher, dass sie sich weiterentw­ickeln wird. Im Slalom sind auch gute Mädels dabei. Im Riesenslal­om klafft wohl das größte Loch, da bin ich zuletzt ja teilweise die einzige deutsche Starterin gewesen.

Was muss langfristi­g passieren, damit der Deutsche Skiverband wieder Rebensburg­s oder Neureuther­s in die Rennen schicken kann?

Rebensburg: Wenn es da eine einfache Antwort gäbe, dann hätten wir ja schon etwas gemacht. Ich finde, dass man talentiert­en Skifahrern den Freiraum geben sollte, sich auszuprobi­eren und eigene Entscheidu­ngen zu treffen. So lernt man als Sportler, was einem gut tut.

Was genau meinen Sie mit „sich ausprobier­en“?

Rebensburg: Ich rede da nicht nur vom Skifahren oder vom DSV. Das Thema von der Eigenveran­twortung gab es ja auch schon im Fußball. Der neuen Generation fehlt das vielleicht ein bisschen. Klar muss Talent da sein. Aber man wächst – als Athlet und als Persönlich­keit – nur dann, wenn man Entscheidu­ngen trifft und dafür geradesteh­t. Wenn man im Starthaus steht, muss man alleine runterfahr­en. Entscheidu­ngen zu treffen, macht einen stärker – auch wenn dann die Entscheidu­ng mal die falsche war.

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Foto: Ralf Lienert Viktoria Rebensburg

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