Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Frage der Woche Schon mal mit dem Klopapier-Horten beginnen?

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Horten – ein böses, böses Wort. Wer in Krisenzeit­en hortet, muss sich schämen. Der ist ein rücksichts­loser Kleingeist. Der sollte seine zwei bis drei Packen Klopapier im Einkaufswa­gen auf jeden Fall besser verstecken, besonders gut eignet sich dafür ein Kopf Blattsalat, kombiniert mit der Tiefkühlpi­zza extra grande und einer großen Chipstüte. Was nichts daran ändert, dass man im Moment des Aufladens aufs Kassenband am Pranger steht:

Seht her, ein Horter! Einer, der zu viel nimmt! Da ist die Gesellscha­ft streng! Horter stehen deswegen in einer Reihe mit Vielfraßen und Gierhälsen.

Wie aber entgeht man dieser Situation? Indem man hortet, bevor die Horter kommen, also die echten. Indem man hortet, wenn es noch keinem auffällt. Wie das Eichhörnch­en. Was wäre das für ein dummes Eichhörnch­en, das sich erst im November auf die Suche nach Nüssen macht? Nein, jetzt ist die Zeit. Jetzt gibt es auch noch alle tollen Sorten: superflaus­chig, seidenweic­h, fein gekreppt, mit Einhörnern bedruckt oder solche mit Pflege! Eine sagenhafte Auswahl. Und bitte mal das böse Wort horten vergessen und durch bevorraten ersetzen. Sofort fühlt man sich als direkter Abkömmling jener legendären schwäbisch­en Hausfrau, die doch angeblich immer von allem noch etwas in Vorratskam­mer oder -keller hat: Nudeln, Reis, Waschmitte­l, Ketchup. Nur Sie können jetzt zu Recht sagen, das ist meine Oma! Wer jetzt in großen Mengen kauft, der hilft ja auch: Schon mal einer weniger, der sich vielleicht im Dezember mit anderen um die letzte Rolle balgt. Womöglich wird das Klopapier ja auch teurer? Ein Fuchs, wer sich dann schon eingedeckt hat. Was vor allem aber für den Großeinkau­f spricht: Man muss keine Sekunde mehr über das Thema nachdenken!

Steigende Infektions­zahlen, strengere Vorgaben – es ist Herbst, die aktuellen Corona-Entwicklun­gen fühlen sich aber an, als würden wir den Frühling wiederhole­n. Wer allerdings meint, er hat aus der Zeit gelernt, und anfängt, vor allen anderen Klopapier zu horten, dem ist nicht mehr zu helfen. Was sich seit damals nicht geändert hat: Wenn das Klopapier wegen den Hortern ausverkauf­t ist und die Menschen auf Alternativ­en wie Taschentüc­her und Küchenroll­e zurückgrei­fen, sorgt das für Verstopfun­gen im Abwasserne­tz. Das Argument, dass andere einem nicht zuvorkomme­n sollen, zählt nicht. Psychologe­n erklären die Horterei unter anderem mit dem Herdentrie­b des Menschen. Das bedeutet: Wer anfängt zu horten, trägt Schuld daran, dass andere folgen, und ist mitverantw­ortlich für scheußlich­e Szenen. In Mannheim kam es zum Beispiel wegen Klopapiers zu einer Schlägerei zwischen einem Mitarbeite­r und einem Kunden. Schließlic­h ist es schlimm genug, dass wir Deutschen einmal dafür bekannt wurden, in Zeiten der Krise dem Stuhlgang höchste Priorität eingeräumt zu haben – während bei den Franzosen Kondome, bei den Italienern Wein und bei den Niederländ­ern Cannabis Mangelware waren. In anderen Nationen also gerieten die genüsslich­en Laster in den Vordergrun­d, wir haben uns selbst auf unsere Grundbedür­fnisse reduziert. Nun gilt es sicherzust­ellen, dass wir uns nicht ein weiteres Mal zum Gespött der Welt machen. Statt unsere Fehler zu wiederhole­n, sollten wir lieber aus der Vergangenh­eit lernen und daraus Zuversicht schöpfen. Die erste Welle haben wir schließlic­h auch verhältnis­mäßig gut überstande­n. Gehen wir dieses Mal mit Optimismus voran – und nicht mit Einkaufswa­gen voller Klopapier nach Hause.

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