Augsburger Allgemeine (Land West)
Goldfinger: Debakel für die Staatsanwaltschaft
Das spektakuläre Verfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung wird eingestellt. Die Angeklagten müssen nicht einen Cent zahlen. Dafür könnte den Freistaat dieses Prozessende noch viel Geld kosten
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Augsburg Es hat sich früh abgezeichnet, dass dieses Strafverfahren ganz anders werden könnte. Am Morgen des 17. Januar 2018 stand eine Augsburger Oberstaatsanwältin mit einem Durchsuchungsbeschluss bei dem Münchner Steuerexperten Martin H. vor der Haustür. Während manch einer angesichts solch massiver Staatsgewalt dem Nervenzusammenbruch nahe ist, empfing H. die Strafverfolgerin sinngemäß mit den Worten, mit ihr rede er gar nicht, da sie nicht sein intellektuelles Niveau habe.
Es waren wohl Szenen wie diese, die die Atmosphäre im GoldfingerVerfahren schnell vergiftet haben. Außerdem ging es ja um sehr viel. Vor allem um sehr viel Geld. Mit bis zu einer Milliarde Euro wurde der Steuerschaden für den Fiskus beziffert, der durch die Modelle der Rechtsanwälte und Steuerberater Martin H., 49, und Diethard G., 47, entstanden sein soll. Auf der einen Seite standen zwei ausgewiesene Steuerexperten, die in der inzwischen aufgelösten Münchner Kanzlei AFR Ideen entwickelten, wie Reiche möglichst viel Steuern sparen können. Auf der anderen Seite stand eine Augsburger Staatsanwaltschaft,
die in ganz Deutschland den Ruf hat, besonders hart gegen vermeintliche Straftäter vorzugehen. Es war früh abzusehen, dass diese Konstellation am Ende wohl zu einer bitteren Niederlage für eine der beiden Seiten führen würde.
Nun ist es so weit, und es hat die Staatsanwaltschaft erwischt. Acht Jahre Ermittlungsarbeit hat sie in den Goldfinger-Fall gesteckt. Etliche Steuerfahnder waren damit befasst. Und obwohl der Bundesfinanzhof Anfang 2017 urteilte, dass Goldfinger-Modelle grundsätzlich unter bestimmten Voraussetzungen rechtens sind, rückten die Ermittler Anfang 2018 zu einer Großrazzia in über 200 Wohn- und Geschäftshäusern in Deutschland aus. Sie beschlagnahmten massenhaft Daten und beantragten in der Folge mehrere Haftbefehle. Sieben Rechtsanwälte und Steuerberater kamen in U-Haft. Der Vorwurf: Sie sollen ein Steuerhinterziehungsmodell ausgearbeitet und an mehr als 100 Millionäre vertrieben haben. Kurz vor Weihnachten 2018 wurden die Anklagen zugestellt. Im November 2019 startete der Pilotprozess vor der 10. Strafkammer des Augsburger Landgerichts gegen Martin H. und Diethard G.
Vieles schien wie immer zu laufen. Und am Ende sollte eine saftige Verurteilung der Steuerhinterzieher stehen. Doch es kam anders. Der Staatsanwaltschaft ist es während des gesamten Prozesses nicht gelungen, ihre Vorwürfe zu belegen. Sie wollte ein Urteil mit Signalwirkung erzielen, aber sie hat keine gute Figur gemacht und traf zudem auf Angeklagte und eine Verteidigerriege, die mit dem Münchner Steuerstrafrechtler Richard Beyer an der Spitze zu allem entschlossen war.
Und so muss die Augsburger Staatsanwaltschaft jetzt eine ihrer schlimmsten Schlappen in einem großen Wirtschaftsstrafverfahren hinnehmen. Der GoldfingerProzess wird eingestellt. Und zwar wegen Geringfügigkeit nach Paragraf 153 der Strafprozessordnung. bedeutet, die Angeklagten müssen nicht einen Cent Strafe oder Geldauflage zahlen. Darauf haben sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger in den vergangenen Wochen seit Anfang Dezember hinter verschlossenen Türen in zähen Verhandlungen geeinigt.
Das Ergebnis ist für die Angeklagten fast wie ein Freispruch. Für die Staatsanwaltschaft ist es sogar fast noch schlimmer. Es besteht keine Möglichkeit, das umstrittene Goldfinger-Thema vom Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen, weil es kein Urteil gibt. Und sie kann sich nicht einmal wie bei einem Freispruch darauf herausreden, dass das Gericht die ihrer Meinung nach falsche Ansicht vertritt. Denn das Besondere an der Verfahrenseinstellung ist, dass die Staatsanwaltschaft ihr selbst zustimmen muss. Die Anklagebehörde musste also ihre eigene Niederlage aktiv besiegeln.
Am Ende gab es wohl keine andere Möglichkeit mehr. In hohen bayerischen Justizkreisen wuchs zunehmend der Ärger über das Augsburger Verfahren und dessen Außenwirkung. Nach Recherchen unserer Redaktion wurde die Zustimmung zur Verfahrenseinstellung auch nicht allein in Augsburg entschieden, sondern musste mit der Generalstaatsanwaltschaft in München und dem Justizministerium abgestimmt werden. Das ist auch der Grund dafür, dass die bereits vor Weihnachten erzielte Einigung nicht schneller umgesetzt wurde. Generalstaatsanwalt und Ministerium wollten diese Lösung gründlich prüfen. Aber am Ende überwog bei den Verantwortlichen offensichtlich doch der Wunsch, dass der Prozess mit all seinen negativen Schlagzeilen ein Ende hat.
Dafür waren sie offenbar auch bereit, eine weitere dicke Kröte zu schlucken: Der Freistaat Bayern wird Martin H. und Diethard G. nach dem langen und harten Strafverfahren eine Entschädigung zahDas len müssen. Um diesen Punkt hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung lange ohne ein Ergebnis gerungen. Die Lösung ist nun, dass das Gericht in seinem Beschluss auflisten wird, für welche Ermittlungshandlungen den Angeklagten eine Entschädigung zusteht. Die Betroffenen können diese dann nach dem Strafentschädigungsgesetz (StrEG) beantragen. Die Summe dürfte am Ende wahrscheinlich im Millionenbereich liegen. Für jeden der beiden Rechtsanwälte aus München.
Die zwei Steuerexperten hatten bereits millionenschwere Klagen gegen den Freistaat vorbereitet, auf die sie nun im Gegenzug verzichten wollen. Sie wollten sogar einzelne Staatsanwälte in Großbritannien privat verklagen. Die Kosten des Verfahrens müssen sie bei diesem Ausgang ohnehin nicht tragen, die gehen zulasten der Staatskasse und damit der Steuerzahler.
Und auch auf anderen Ebenen wird es weitergehen. Die Staatsanwaltschaft hat bereits weitere rund 20 Anklagen vorgelegt. Darunter sind auch Menschen, die nur als Investoren gelten. Mehr als 100 Einkommensmillionäre haben Geld in Goldfinger-Strukturen gesteckt, zum Beispiel drei ehemalige Augsburger Geschäftsleute, die nach dem
Sieben Anwälte saßen für Monate in UHaft
Angeklagter will jetzt Verteidiger werden
Verkauf ihrer Medizinfirma Millionen investiert haben. Es ist schwer vorstellbar, dass in den anderen Verfahren andere Ergebnisse als im Pilotprozess herauskommen, wenngleich die Staatsanwaltschaft offenbar noch darauf hinarbeitet, dass die weiteren Beschuldigten teils hohe Geldauflagen zahlen sollen.
Die haben dazu natürlich keine Lust mehr. Und nun gibt es eine kuriose Entwicklung: Die ehemaligen Angeklagten und Steuerexperten Martin H. und Diethard G. werden zu Verteidigern. Mit der Erfahrung ihres erfolgreichen Strafprozesses im Rücken beginnen sie, andere Goldfinger-Beschuldigte zu vertreten. H. hat bereits ein erstes Mandat für einen Prozess am Amtsgericht Augsburg. Wenn man sich all die Animositäten und Sticheleien aus dem jetzigen Verfahren vor Augen führt, steckt da viel Zündstoff drin. Denn H. trifft auf alte Bekannte. Die Staatsanwaltschaft wird wohl dieselben Staatsanwälte schicken, die auch die Anklage in seinem Prozess vertreten haben.