Augsburger Allgemeine (Land West)
Was hat Trump vor?
USA Vier Jahre lang hat er weltweit das Nachrichtengeschäft dominiert. Doch nun, nach dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol, gräbt sich der Noch-Präsident im Weißen Haus ein. Vertraute befürchten gefährliche Kurzschlusshandlungen in den letzten Amtsta
Washington Immerhin: Die Mauer ist fertig. Bloß steht sie nicht an der Grenze zu Mexiko. Zweieinhalb Meter hoch ist der Metallzaun, der neuerdings mehrere Blocks der Innenstadt abriegelt. Dahinter sind ein Park und eine Straße verschwunden. Selbst der Black-Lives-MatterPlatz, wo im Sommer Tausende gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrierten, ist nicht mehr zugänglich. Durch das Gitter kann man viele Polizisten und eine weitere Absperrung sehen. Mehr als hundert Meter entfernt steht das Weiße Haus.
Knapp eine Woche nach dem blutigen Sturm auf das Kapitol herrscht Ausnahmezustand in Washington. Mehr als 6000 Nationalgardisten sind angerückt. Viele Geschäfte sind wieder mit Holzplatten verrammelt, und überall entstehen neue Barrikaden. Doch das mit Abstand am besten gesicherte Bauwerk ist ausgerechnet das, in dem sich der Anstifter der Putschisten versteckt.
Nur allzu gerne wüsste man, was Donald Trump derzeit treibt. Früher hat man das öfter mitbekommen, als einem lieb war, wenn alle paar Minuten das Handy wegen eines neuen Tweets brummte. Doch seit der Präsident vom Kurznachrichtendienst Twitter verbannt wurde, herrscht eine surreale Stille.
Auf einem Videoclip konnte man ihn am Donnerstag das letzte Mal für zweieinhalb Minuten sehen. Trump klang nicht wie Trump, als er eine friedliche Übergabe der Amtsgeschäfte zusagte. Seither muss man sich auf offizielle Verlautbarungen verlassen. „Der Präsident arbeitet von früh am Morgen bis spät am Abend. Er führt viele Telefonate und Gespräche“, meldet die Pressestelle ernsthaft.
Vielen, die den Mann im Oval Office lange kennen, erscheint die Ruhe unheimlich. Sie glauben, dass er seinen Amts- und Bedeutungsverlust als traumatische Kränkung empfindet. „Trump ist gerade völlig überwältigt von seinen Gefühlen. Er ist zu keinem rationalen Gedanken fähig“, sagt Tony Schwartz, der einst als Ghostwriter das erfolgreichste Buch des Milliardärs („The Art of the Deal“) verfasste. In seinen letzten Tagen, warnt der frühere Weggefährte, stelle Trump eine „tödliche Gefahr“dar.
Auch Anthony Scaramucci, der Kurzzeit-Kommunikationschef des Präsidenten, sagt düster „schlimme Sachen“voraus und mahnt: „Nehmt das ernst!“Laut Verfassung endet Trumps Amtszeit in acht Tagen. Aber: „Jeder Tag kann eine Horrorshow für Amerika bringen“, fürchtet Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses. Die Lage ist unberechenbar. Am Montagabend heißt es etwa plötzlich aus dem US-Außenministerium: Die Trump-Regierung setzt Kuba wieder auf die Terrorliste. Der Schritt dürfte die Bemühungen der künftigen Regierung erschweren, die Annäherung der Nachbarstaaten wieder aufzunehmen.
So schnell wie möglich wollen die Demokraten den Commander-inChief aus dem Amt entfernt sehen. Am Montag haben sie bereits im US-Repräsentantenhaus eine Resolution eingebracht, um ein zweites Impeachmentverfahren gegen den abgewählten Präsidenten einzuleiten. Die Demokraten kontrollieren das Repräsentantenhaus und können mit ihrer Mehrheit den Anklagepunkt gegen den Präsidenten beschließen. Dem Vernehmen nach ist eine Abstimmung noch in dieser Woche geplant. Anschließend müsste sich der Senat damit befassen. Zwar steht in den Sternen, ob es tatsächlich zu einer Amtsenthebung durch den Senat kommt. Aber am Ende dieser Woche könnte Trump der erste US-Präsident der Geschichte sein, der zweimal mit dem Ziel der Amtsenthebung vom Parlament angeklagt wurde.
Norbert Röttgen, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und Kandidat für den CDU-Vorsitz, am Montag unserer Redaktion: „Der amtierende Präsident hat sich als Brandstifter gegen die amerikanische Demokratie betätigt. Einen stärkeren Grund, ihn aus dem Amt zu entfernen, kann ich mir nicht vorstellen.“Er halte das Amtsenthebungsverfahren aus zwei Gründen für richtig: „Weil das angegriffene Parlament für die Geschichtsbücher gegen dieses Verhalten vorgehen muss. Und zweitens, weil Donald Trump nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren kann, wenn die Amtsenthebung gelingt.“
Am Sonntag hatte Bundesaußenminister Heiko Maas den Amerikanern eine engere Zusammenarbeit im Kampf für die Demokratie angeboten. „Wir sind bereit, mit den USA an einem gemeinsamen Marshallplan für die Demokratie zu arbeiten“, sagte der SPD-Politiker. „Wir dürfen den Feinden der liberalen Demokratie keinen Raum geben. Das gilt nicht nur in den USA, sondern genauso bei uns in Deutschland und Europa.“
Die neuerliche Demütigung dürfte Trumps Stimmung kaum heben. Amerikanische Medien berichten aus dem Umfeld des Präsidenten, dass dieser weiter von seinem Wahlsieg überzeugt sei und an ein Komplott glaube. Er sei isoliert wie nie zuvor und tobe ungehalten über den vermeintlichen Verrat seiner einstigen Verbündeten. Trump zeige das „Verhalten eines Monsters“, zitiert die Washington Post gar einen Mitarbeiter des Weißen Hauses. Anrufe von außen, berichtet das Wall Street Journal, nehme der Präsident kaum noch entgegen.
Der Kontrast zum vergangenen Mittwoch könnte schärfer kaum sein. Da stand Trump berauscht vom Jubel seiner Anhänger hinter einem Rednerpult südlich des Weißen Hauses und peitschte seine Fans auf. „Unser Land hat genug“, rief er wie ein Revolutionsführer aus: „Wir werden es nicht länger hinnehmen!“Im Kongress sollte gerade die Wahl von Joe Biden zum Präsidenten bestätigt werden. „Wenn ihr nicht wie der Teufel kämpft, werden wir kein Land mehr haben“, schickte Trump die Meute auf den Marsch zum Parlamentsgebäude.
Der Mob mit roten Kappen, Konföderiertenfahnen und Baseballschlägern nahm den Aufruf wörtlich. Inzwischen aufgetauchte Videos zeigen, mit welcher hasserfüllten Brutalität der teils rechte Pöbel Fenster eintrat, Beamte physisch attackierte, gezielt nach Vizepräsident Mike Pence und Parlamentschefin Pelosi fahndete und einen Polizisten mit Stöcken und Fahnenstangen zu Tode prügelte.
Wie Nero beim Brand von Rom saß Trump nach Schilderungen von Augenzeugen zwei Meilen entfernt vor einem Bildschirm im Weißen Haus und sah sich das Ganze an. Der Präsident sei „betäubt von dem Spektakel“gewesen, weil die Menge für ihn kämpfte, berichtet die Washington Post. Trump machte keinen Versuch, seinen Stellvertreter Pence, der vom Secret Service eilig in einen Schutzraum gebracht worden war, im Kapitol telefonisch zu erreichen. Auch seither hat er mit ihm nicht gesprochen.
„Das sind Dinge, die passieren, wenn unseren großartigen Patrioten ein heiliger Erdrutschsieg kurzerhand brutal entrissen wird“, twitterte Trump um 18 Uhr. Der Tweet wurde kurz darauf gelöscht. Zwei Tage später verbannte der Kurznachrichtendienst seinen wohl prominentesten Kunden mit 89 Millionen Followern für immer von der Plattform. Trump soll ausgerastet sein, als er von der Entscheidung erfuhr. Mit Twitter hat er nicht nur sein größtes Sprachrohr verloren, mit dem er Minister feuerte, anderen Staaten den Krieg androhte und den weltweiten Nachrichtenzyklus beherrschte. Es diente dem Präsidenten auch zur Selbstbestätigung.
Die New York Times-Reporterin Maggie Haberman, eine der besten Kennerinnen des früheren RealityTV-Stars, beschreibt anschaulich, wie Trump lustvoll die rasche öffentliche Aufnahme seiner Posts in den Nachrichten-Einblendungen der Kabelsender verfolgte: „Für einen Mann in den Siebzigern, der öfter die emotionale Entwicklung eisagt nes Kleinkinds zeigt und für den Aufmerksamkeit ein Suchtmittel ist, gab es nichts Besseres als die schnelle Belohnung seiner Tweets.“
Nicht nur diese Befriedigung hat Trump nun verloren. Aus Sorge um ihren Ruf wenden sich viele Vertraute von ihm ab. Zwei langjährige Ministerinnen haben zusammen mit einer Reihe von Top-Beamten gekündigt, und bei den verbliebenen Mitarbeitern im Weißen Haus herrscht Endzeitstimmung. Das Bündnis des Präsidenten mit zwei seiner loyalsten Vollstrecker – Vizepräsident Pence und Senatsmehrheitsführer Mitch McConnell – scheint unheilbar zerrüttet.
Auch sonst steht der aus eigener Sicht größte Regierungschef aller Zeiten vor einem Scherbenhaufen. Durch seine Schuld ist bei der Wahl in Georgia die Mehrheit im Senat verloren gegangen. Die republikanische Partei befindet sich am Rande einer Spaltung. Die Demokraten können die wichtigsten Trump-Gesetze rückabwickeln. Und selbst die Geschäftsmarke des Milliardärs ist in Gefahr: Am Sonntag zog der amerikanische Golf-Verband sein Major-Turnier 2022 von Trumps Golfplatz in Bedminster ab. Das ist ein schwerer Schlag für das Firmenimperium des Clans, das ein Drittel seines Umsatzes mit seinen 17 Golfplätzen rund um den Globus macht.
Noch ist unklar, wie Trump mit seinem jähen Absturz umgeht. Wird er seine nach wie vor treuen Anhänger zu einem weiteren Putschversuch ermutigen? Wird er in wilder Wut vielleicht gar irgendwo einen Krieg anzetteln? Ausschließen kann das niemand.
Schon raten erste Sicherheitsexperten, die Vereidigung von Joe Biden am 20. Januar besser in einen geschlossenen Raum zu verlegen. Parlamentschefin Pelosi hat mit General Mark Milley, dem höchsten Vertreter des Militärs in den USA, über Vorsichtsmaßnahmen gesprochen, um „einen instabilen Präsidenten davon abzuhalten, eine militärische Feindseligkeit zu beginnen oder die Codes zu erlangen, um einen Nuklearschlag auszulösen“. Beruhigend klingt das nicht.
Der offizielle Kalender des Präsidenten ist luftig. An diesem Dienstag wird sich Trump zum ersten Mal wieder in der Öffentlichkeit zeigen. Bei einer Reise an die mexikanische Grenze will er sich für seine Abschottungspolitik gegen Migranten feiern. Am Donnerstag will er dann Bill Belichick, den Trainer der Football-Mannschaft New England Patriots, mit der Freiheitsmedaille auszeichnen. Beobachter rechnen zudem mit einem Gegenschlag des Präsidenten gegen die Tech-Konzerne, von denen er sich um seine Stimme gebracht fühlt. Gleichzeitig sucht Trump fieberhaft nach einer neuen medialen Plattform. Doch das ist nicht so einfach, nachdem Apple, Google und Amazon fürs Erste dem rechtslastigen Onlinedienst Parler den Saft abgedreht haben.
Auch mit seiner eigenen Zukunft dürfte sich Trump beschäftigen. In den letzten Tagen wird eine Welle von Begnadigungen für Freunde und die Familie erwartet – möglicherweise auch für ihn selbst. Ob ein solcher Persilschein in eigener Sache tatsächlich gilt, ist freilich unter Verfassungsrechtlern höchst umstritten und müsste wohl vom Supreme Court geklärt werden.
An der Vereidigung von Joe Biden am Mittwoch kommender Woche will Trump nicht teilnehmen. Amerikanische Medien spekulieren, dass er schon am Vortag nach Palm Beach flüchtet. Auf seinem dortigen Anwesen Mar-a-Lago will er wohl künftig leben. Dort wird er freilich öfter unüberhörbar an den Amtsverlust erinnert werden: Die luxuriöse Anlage zwischen dem Atlantik und einer Lagune liegt genau in der Einflugschneise des Flughafens von Palm Beach. Wenn sich Trump hier als Präsident aufhielt, wurden die donnernden Maschinen aus Sicherheitsgründen eigens umgeleitet. Nach dem 20. Januar dürften sie wieder den direkten Weg nehmen.
Demokraten dringen auf eine Amtsenthebung
Jetzt auch noch ein schwerer Schlag fürs GolfGeschäft