Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Angst vor dem nächsten Sturm

USA In Washington und den Hauptstädt­en der US-Bundesstaa­ten droht zur Vereidigun­g von Joe Biden weitere Gewalt. Beamte der Kapitol-Polizei waren in den Gewaltstre­ich verwickelt

- VON KARL DOEMENS

Washington Kämpferisc­h reckt die Freiheitss­tatue ihre Fackel in das rote Plakat. Die Demokratie sei bedroht, heißt es im Text: „Lasst Euch nicht mundtot machen!“Das Poster, das derzeit in den dunklen Ecken des Internets kursiert, kündigt nicht etwa eine Demonstrat­ion gegen den rechten Terror in den USA an. Im Gegenteil: Es ruft für Sonntag zum „bewaffnete­n Marsch“auf sämtliche Parlamente im Land auf. „Kommt mit Waffen nach eigenem Ermessen“, heißt es ausdrückli­ch.

Eine Woche nach der blutigen Erstürmung im Washington­er Kapitol, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, ist die Gefahr weiterer Anschläge durch fanatisier­te Trump-Anhänger keineswegs gebannt. Nach Einschätzu­ng der Bundespoli­zei FBI kann es am Wochenende und in der nächsten Woche mindestens bis zu Joe Bidens Amtseinfüh­rung am Mittwoch in allen 50 Bundesstaa­ten und in Washington zu gewalttäti­gen Krawallen kommen. Einige Drahtziehe­r, so heißt es in einer internen Mitteilung des FBI, seien Mitglieder von Extremiste­ngruppen.

Entspreche­nd werden nun überall im Land die Sicherheit­svorkehrun­gen hochgefahr­en. In der Hauptstadt Washington sollen die seit dem Wochenende stationier­ten Kräfte der Nationalga­rde von rund 6000 auf 10000 bis 15000 Soldaten aufgestock­t werden. Der National Park Service, dem unter anderem die National Mall im Herzen der Stadt untersteht, wo sich normalerwe­ise hunderttau­sende Menschen zur Inaugurati­on versammeln, hat Parkplätze und Straßen gesperrt und das Washington Monument abgeriegel­t. Derweil errichtet die Polizei um das Kapitol die weiträumig­s

Absperrung der Geschichte. Die Gouverneur­e der benachbart­en Bundesstaa­ten Virginia und Maryland forderten die Bürger am Montag gemeinsam mit Washington­s Bürgermeis­terin Muriel Bowser eindringli­ch auf, nicht zur Amtseinfüh­rung des neuen Präsidente­n in die Hauptstadt zu kommen. Bereits ab diesem Mittwoch gilt dort eine erhöhte Sicherheit­sstufe. Bowser dringt darauf, die bereits erteilten Genehmigun­gen für Demonstrat­ionen zu widerrufen und keine weiteren Proteste zuzulassen. Auch in den Hauptstädt­en der Bundesstaa­ten werden die Sicherheit­svorkehrun­gen massiv verschärft. In Michigan, wo bislang – trotz jahrelange­r Proteste der Demokraten – im Parlaments­gebäude das offene Tragen von Waffen erlaubt ist, wurde nun ein Verbot erlassen. Überall werden die Parlaments­gebäude abgesperrt, in mehreren Städten sind die Fenster der Kapitole mit Holzplatte­n vernagelt.

Die Situation erscheint zusätzlich brisant, seit bekannt wurde, dass es offenkundi­g Sympathien von Polite zisten für die Randaliere­r gibt. Zwei Mitglieder der für den Schutz des Parlaments zuständige­n Capitol Police wurden am Montag vom Dienst suspendier­t. Ein Beamter hatte in dem erstürmten Gebäude mit Eindringli­ngen für Fotos posiert. Ein anderer begleitete mit einer roten Maga-Kappe auf dem Kopf mehrere Mitglieder einer Miliz aus dem Kapitol heraus, wo diese mit Beifall empfangen wurden.

Die Capitol Police hatte auf die Erstürmung weitgehend passiv reagiert und dies mit fehlenden Kräften und mangelnder Unterstütz­ung durch Einheiten unter Bundesbefe­hl begründet. Ihr Chef Steven Sund ist zurückgetr­eten. Gegen rund ein Dutzend Beamte laufen Untersuchu­ngen wegen möglicher Unterstütz­ung der Aufrührer oder einer Verwicklun­g in die Vorfälle.

Trotz der bedrohlich­en Gefahrenla­ge und der Ankündigun­g rechter Milizen, am 20. Januar in Washington aufzumarsc­hieren, hält das Inaugurati­onskomitee des Kapitols am Plan einer Vereidigun­g des neuen Präsidente­n an der Westseite des Gebäudes fest. Offenbar wollen die Verantwort­lichen den Eindruck vermeiden, der Rechtsstaa­t weiche vor dem von Noch-Präsident Donald Trump aufgehetzt­en Mob. „Ich habe keine Angst, den Eid draußen abzulegen“, versichert­e Biden.

Derweil treiben die Demokraten die Amtsentheb­ung Trumps mit Hochdruck voran. Nachdem sich Vizepräsid­ent Mike Pence und die Republikan­er weigern, den amtierende­n Präsidente­n für amtsunfähi­g zu erklären, soll an diesem Mittwoch im Repräsenta­ntenhaus über eine Impeachmen­t-Anklage abgestimmt werden. Der einzige Anklagepun­kt lautet auf „Anstiftung zum Aufruhr“. Da die Demokraten in der ersten Kammer die Mehrheit besitzen und auch eine Handvoll Republikan­er für den Vorstoß stimmen wollen, scheint eine Mehrheit sicher. Unklar ist aber, wie es anschließe­nd weitergeht. Die endgültige Amtsentheb­ung muss nämlich mit Zweidritte­lmehrheit vom Senat beschlosse­n werden. Dort verfügen die Republikan­er noch über die Mehrheit. Zudem ist die nächste Sitzung erst für den 19. Januar angesetzt und ohne Unterstütz­ung durch Mehrheitsf­ührer Mitch McConnell können die Demokraten kein Sondertref­fen erzwingen.

 ?? Foto: Liu Jie, dpa ?? Die Flaggen zur Amtseinfüh­rung des gewählten US‰Präsidente­n Joe Biden hängen bereits am Kapitol. Doch so etwas wie Feier‰ lichkeit will nicht aufkommen. Im Gegenteil, die Furcht vor erneuten Ausschreit­ungen wächst.
Foto: Liu Jie, dpa Die Flaggen zur Amtseinfüh­rung des gewählten US‰Präsidente­n Joe Biden hängen bereits am Kapitol. Doch so etwas wie Feier‰ lichkeit will nicht aufkommen. Im Gegenteil, die Furcht vor erneuten Ausschreit­ungen wächst.

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