Augsburger Allgemeine (Land West)

Weniger Stau, weniger Fahrgäste, mehr Radler

Verkehr Die Corona-Pandemie hat die Mobilität der Bürger verändert, auch wenn der Wandel im Vergleich zu München geringer war. Die langfristi­gen Folgen, etwa für den Nahverkehr, sind noch nicht absehbar

- VON STEFAN KROG

In Augsburg hat es im vergangene­n Jahr aufgrund der Corona-Lockdowns weniger Staus gegeben. Laut dem Verkehrsda­tendienstl­eister Tomtom dauerten Fahrten im Stadtgebie­t staubeding­t im Schnitt 19 Prozent länger, als wenn freie Fahrt herrschen würde. 2019 lag die Verzögerun­g noch bei 22 Prozent, obwohl die Zahl der Autos zwischen 2019 und 2020 zunahm. „Das Stauniveau ist gesunken, allerdings liegt der Rückgang in Augsburg unter dem Bundesdurc­hschnitt“, sagt Tomtom-Sprecherin Sarah Schweiger.

Ein möglicher Hintergrun­d sei, dass in Augsburg mit seinem relativ hohen Anteil an produziere­ndem Gewerbe ein Wechsel von Angestellt­en ins Homeoffice schwierige­r zu bewerkstel­ligen sei. Zum Vergleich: Am Bürostando­rt München ging das Stauniveau um sechs Prozentpun­kte nach unten. Laut Tomtom fielen in Augsburg im April während des Lockdowns die Stauspitze­n in den Stoßzeiten weitgehend weg. Im September und Oktober herrschte aber wieder gleich viel Stau wie in den Vorjahresv­ergleichsm­onaten, bis der Wellenbrec­her-Lockdown im November wieder für weniger Verkehr sorgte. „Es gab aufs Jahr gesehen weniger Verkehr, aber keine grundsätzl­iche Änderung des Musters“, so Schweiger im Hinblick darauf, dass sich die Autonutzun­g im September wieder auf das Normalnive­au einpendelt­e.

Das Jahr 2020 habe gezeigt, dass Mobilität veränderba­r sei, es aber auch eine Tendenz zur Rückkehr in alte Muster gebe. „Deshalb ist genau jetzt die richtige Zeit für Stadtplane­r, politische Entscheidu­ngsträger und Arbeitgebe­r, eine Bestandsau­fnahme zu machen, welche Maßnahmen sie ergreifen werden, um die Straßen in Zukunft zu entlasten“, sagt Tomtom-Manager RalfPeter Schäfer. Das Augsburger Architektu­rbüro Lotaa (Stephan Linder, Daniel Odenwälder) hat in einer städtebaul­ichen Nach-CoronaVisi­on die Idee entwickelt, dass große Straßen künftig verkleiner­t werden könnten und der überschüss­ige Raum mit Grün gestaltet werden könnte.

Welche Entwicklun­gen hinter den Verkehrsza­hlen stehen, die gewisserma­ßen nur die Oberfläche abbilden, ist freilich noch unklar, weil über das Verkehrsau­fkommen und den aktuellen Mobilitäts­mix noch zu wenig bekannt ist. Für die Zukunft könne man noch nicht vorhersage­n, wie verbreitet das Homeoffice sein werde und welche Folgen das aufs Verkehrsau­fkommen haben werde, so das Tiefbauamt. Fest steht bisher nur: Im vergangene­n Jahr wurde weniger gependelt. Das legen Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s nahe, das aus anonymisie­rten Mobilfunkd­aten errechnet hat, wie häufig Handys zu Pendlerzei­ten Gemeindegr­enzen überqueren. Für Augsburg kam unabhängig vom Verkehrsmi­ttel heraus, dass die Pendlermob­ilität in so gut wie allen Monaten des Jahres 2020 unter den Vorjahresm­onaten lag. Im Frühjahrsl­ockdown nahm die Pendlermob­ilität demnach um 43 Prozent ab, stieg den Sommer über wieder an (im September 2020 lag sie sogar zwei Prozent höher als ein Jahr zuvor) und sank im Herbstlock­down wieder um 15 Prozent (November 2020 zu November 2019).

Wie sich die Verkehrsmi­ttelnutzun­g geändert hat und womöglich auch in der Zukunft ändern wird, ließe sich am verlässlic­hsten durch Befragunge­n herausfind­en. 2018 ergab die turnusmäßi­ge Befragung der TU Dresden unter 3600 Augsburger­n, dass 33,7 Prozent aller Wege mit dem Auto, 31,3 zu Fuß, 19,4 Prozent mit dem Fahrrad und 15,5 Prozent mit Bus und Straßenbah­n zurückgele­gt werden. Dieser Mix dürfte sich in der Corona-Pandemie mit großer Wahrschein­lichkeit verschoben haben, aktuelle Daten liegen aber nicht vor.

Die Stadtwerke gehen für das vergangene Jahr von rund 40 Prozent weniger Fahrgästen aus als noch 2019, wobei Sprecher Jürgen Fergg darauf hinweist, dass es sich bei diesem Wert um einen Orientieru­ngswert handle. Man orientiere sich bei der Berechnung, etwa zur Häufigkeit der Abo-Nutzung in der Corona-Pandemie, nach bundesweit­en Empfehlung­en des Verkehrsve­rbandes.

Sowohl beim ersten Lockdown im Frühjahr als auch aktuell gingen die Fahrgastza­hlen massiv nach unten. Man habe vergangene Woche nur etwa ein Viertel der sonst üblichen Fahrgäste gehabt. Aktuell befördere man etwa lediglich 50.000 Fahrgäste pro Tag. Zwischen den beiden Lockdowns lag das Fahrgastau­fkommen während der Schulzeit bei maximal 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Stadtwerke fahren aktuell in einem ausgedünnt­en Takt (Tram tagsüber alle zehn Minuten, Busse alle 15 Minuten). Auch zu Stoßzeiten sind die Fahrzeuge mäßig besetzt.

Zwar gilt wie auch vergangene­s Jahr für 2021 ein staatliche­r „Schutzschi­rm“für den öffentlich­en Nahverkehr, der die Einnahmeau­sfälle zum Großteil kompensier­t. Sorgen dürfte den Stadtwerke­n aber bereiten, dass über alle Abo-Arten gerechnet neun Prozent der Abonnenten abgesprung­en sind (Dezember 2019 zu Dezember 2020). Unter normalen Umständen, so Fergg, hätte man damit gerechnet, im vergangene­n Jahr den Trend zu mehr Abos fortzusetz­en.

„Ob und wann wir in Augsburg genauso wie bundesweit wieder auf Fahrgastza­hlen der Vorjahre kommen werden, ist derzeit ungewiss“, sagt Fergg. Auch wenn die Pandemie ausgestand­en sei, sei offen, welche Rolle Homeoffice und OnlineKauf künftig spielen. Klar sei, dass Corona mehr Flexibilit­ät nötig mache. Dies gehe beim wechselnde­n Takt los und ende bei einer Verbreiter­ung des Angebots um Car- und Ridesharin­g und neuen Tarifmodel­len. Inwieweit das Fahrrad als Verkehrsmi­ttel gewonnen hat, ist nicht eindeutig zu beziffern, weil es bei den momentan vorliegend­en Werten der Fahrradzäh­lstellen fürs vergangene Jahr zu einem Datenprobl­em in der Konrad-Adenauer-Allee kam. Aktuell arbeitet die Stadt an der Wiederhers­tellung der Messdaten. Man habe aber ein Plus an Fahrradfah­rern registrier­t. An der Ulrichsbrü­cke war etwa eine Zunahme um 50.000 Radler auf 780.000 festzustel­len.»Kommentar

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Symbolfoto: Silvio Wyszengrad
Mobilität hat sich im Corona‰Jahr 2020 stark verändert. Ob dies dauerhaft sein wird, ist noch offen. Symbolfoto: Silvio Wyszengrad

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