Augsburger Allgemeine (Land West)
Welche Strategie ist die richtige?
Corona Im Kampf gegen die Pandemie suchen viele Länder noch nach ihrem Weg. Eine Initiative von 13 Wissenschaftlern favorisiert einen letzten, harten Lockdown
Augsburg Australien, Neuseeland, Finnland, Taiwan: Andere Länder haben den Kampf gegen Corona früher und beherzter geführt als Deutschland. An ihnen nimmt sich auch eine Gruppe von 13 Wissenschaftlern um den Ökonomen Clemens Fuest und die Virologin Melanie Brinkmann ein Beispiel, die mit der Logik der immer neuen und immer längeren Einschränkungen brechen will. Danach sollen die Infektionszahlen durch einen letzten, harten Lockdown gedrückt und mit einer Kombination aus Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen, Tests und Quarantänen niedrig gehalten werden. Das Rezept mit dem plakativen Namen „No Covid“ist im Prinzip eine Kombination verschiedener Strategien, die teils mehr, teils weniger erfolgreich waren:
● 1. Kontrollieren
Hier versuchen die Behörden, die Ansteckungszahlen unter einer bestimmten Schwelle zu halten – in Deutschland sind das die berühmten 50 Neuinfektionen je 100000 Einwohner innerhalb einer Woche. Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, werden die Kontaktpersonen von Infizierten aufgespürt und in Quarantäne geschickt. Steigen die Zahlen dennoch, verhängen die Gesundheitsämter Kontakt- oder Ausgangssperren. In Deutschland allerdings kommen die Labore mit den Tests und die Ämter mit der Nachverfolgung der Kontakte nicht mehr hinterher. Südkorea dagegen ist mit dieser Strategie gut durch die Pandemie gekommen. Allerdings können die Behörden dort mithilfe von Überwachungskameras, Handyund Kreditkartendaten regelrechte Bewegungsprofile ihrer Bürger erstellen und deren Kontakte entsprechend leicht verfolgen – in Deutschland undenkbar. Auch Taiwan, von den 13 Wissenschaftlern mit als Vorbild genannt, setzt neben rigiden Kontrollen bei der Einreise und Quarantäneauflagen auf das Prinzip Überwachung. Unter anderem kontrollieren die Behörden die Mobiltelefone der Menschen in Quarantäne.
● 2. Ausrotten
Wie Deutschland hat auch Neuseeland zunächst auf eine Politik der Eindämmung gesetzt, aber schon früh die Strategie gewechselt und einen harten Lockdown so lange durchgezogen, bis es praktisch keine neuen Corona-Fälle mehr gab. Australien hat ähnlich reagiert und seine Grenzen bereits im März geschlossen. Wichtig für die Moral und den Zusammenhalt der Bürger dort, heißt es im Konzept der NoCovid-Initiative, das unserer Redaktion vorliegt, „war die Existenz eines klaren Wiederöffnungsplans“.
Die Australier hätten die Wirksamkeit ihrer eigenen Anstrengungen erst in Zahlen und später in Form von Lockerungen wahrnehmen können. „Eine solche Roadmap kann man auch für Deutschland zügig erstellen.“Danach würde die Bundesrepublik in grüne und rote Zonen eingeteilt, wobei in den grünen Zonen mit Inzidenzwerten unterhalb von zehn Neuinfektionen je 100000 Einwohner weniger Einschränkungen gelten würden als in Regionen mit hohen Fallzahlen. Die Idee dahinter: Je konsequenter die Behörden in den roten Gebieten vorgehen, desto schneller werden diese grün. Am Ende würden sich die Regionen gegenseitig anstacheln, möglichst wenig Fälle zu haben.
● 3. Impfen
Solange noch nicht genügend Impfstoff vorhanden ist, kann das konsequente Impfen die anderen Strategien nur flankieren, das sehen auch die Autoren des No-Covid-Konzepts so: „Mit den zu erwarteten 25 Millionen Impfungen bis Juni bedeutet das, dass wir bis Juni die Intensivstationen voll und kaum Lockerungen haben werden.“Im Vergleich mit anderen Ländern hinkt Deutschland beim Impfen bisher noch weit hinterher. Israel zum Beispiel hat bereits mehr als 30 Prozent seiner Bevölkerung geimpft, Großbritannien knapp sieben Prozent, in den USA sind es fast vier und in Dänemark drei Prozent. Deutschland dagegen hat erst etwas mehr als 1,4 Prozent geimpft.
Als Beispiel für die Effektivität ihres Konzepts führen die 13 Wissenschaftler das australische Melbourne mit seinen gut vier Millionen Einwohnern an. Innerhalb weniger Wochen seien dort die Inzidenzen von 150 Infizierten je 100000 Einwohner auf zehn gesunken – allerdings zu dem hohen Preis, dass Wirtschaft und Menschen weitgehend isoliert waren und die Stadt in eine Art Dornröschenschlaf gezwungen wurde. Für Deutschland empfehlen die 13 unter anderem das flächendeckende Arbeiten im Homeoffice, das weitgehende Vermeiden von Fahrten im öffentlichen Nahverkehr und unangekündigte Kontrollen der Hygienemaßnahmen in Alten- und Pflegeheimen.
Nicht zu verwechseln ist ihr Konzept mit dem der Initiative „Zero Covid“aus dem linksalternativen Milieu, die für mehrere Wochen alle direkten Kontakte auf ein Minimum reduzieren will, auch am Arbeitsplatz und am besten gleich in ganz Europa. „Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen“, verlangt sie, „müssen geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden.“Das ist sogar der linken tageszeitung zu viel. Für sie ist der Vorschlag eine „halbtotalitäre Fantasie“.