Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Skulpturen des Jubilars gehören zu Neusäß

Wilhelm Spitzers künstleris­che Arbeit in Detailtreu­e und Reichtum an Materialie­n bestimmen noch heute viele Blickfänge in der Stadt. Wie es dem Künstler an seinem großen Ehrentag geht

- VON JUTTA KAISER‰WIATREK

Neusäß Politik und Kultur waren sein Leben. Auf beiden Ebenen war der Name Wilhelm Spitzer lange Jahre mit der Stadt Neusäß eng verbunden. Am 23. Januar feiert der Alt-Stadtrat seinen 100. Geburtstag. Spitzer ist ein echter Neusässer, geboren im heutigen Stadtteil Ottmarshau­sen, wo er bis vor Kurzem noch wohnte. Wilhelm Spitzer erlernte den Beruf des Kunst- und Bauschloss­ers von der Pike auf. „Während man im Sommer auf dem Bau arbeitete, widmete man sich im Winter der Schmiedeku­nst“, erzählte er einmal.

In dieser Zeit lernte er alle Arbeitsmat­erialien sowie deren fachgerech­te Bearbeitun­g bis ins Detail kennen, und dies kam ihm schließlic­h bei seiner künstleris­chen Arbeit sehr zugute. Nach den Kriegsjahr­en bei der Marine und drei Jahren in französisc­her Gefangensc­haft kehrte er 1948 in seine Heimat zurück. Drei Jahre später heiratete er, baute sein Elternhaus aus und wurde Vater zweier Töchter.

Bis zum Eintritt in die Rente arbeitete er als Kessel-Tank-Behälterba­uer in einer Molkereipr­oduktefirm­a in Ottmarshau­sen. In den 60erund 70er-Jahren engagierte sich Spitzer in der Kommunalpo­litik seines Heimatorts. Von 1972 bis 1978 war er als Parteilose­r und später der SPD angehörend Mitglied im Ottmarshau­ser Gemeindera­t, anschließe­nd bis 1996 Stadtrat von Neusäß.

„Viel ist passiert in dieser Zeit, und es gab zahlreiche harte Diskussion­en“, erinnerte sich Spitzer anlässlich seines 90. Geburtstag­s, vor allem an aufregende Zeiten während der Gebietsref­orm und der Eingemeind­ung. Aber auch Themen rund um das Trinkwasse­r waren damals wichtige Diskussion­spunkte. „Dabei ging es aber immer nur um die Sache“, war dem Alt-Stadtrat wichtig, denn das Menschlich­e durfte bei Spitzer nie verloren gehen. „Erst stritt man um die politische Meinung, danach traf man sich auf ein Bier.“

In seiner Freizeit hatte Spitzer sich weiterhin der erlernten Kunstschlo­sserei gewidmet. Unzählige Lampen, Leuchten, Kupferstic­he sowie seine bekannten, lebensgroß­en Figuren zeugten in seinem Haus und Garten in Ottmarshau­sen davon. Auch in manchem Privatgart­en sowie an verschiede­nen exponierte­n Stellen der Stadt Neusäß findet man seine Kunstwerke wie etwa den „Pampers-Rollschuhl­äufer“, der den Eingang zum ehemaligen Keimfarben-Gelände an der Georg-Odemer-Straße belebt, oder die Brunnenfig­ur „Stelzenläu­fer“, die in Ottmarshau­sen steht.

Seine detailgetr­euen Figuren aus verschiede­nen Materialie­n, oft kombiniert mit Gegenständ­en, die zuvor eine völlig andere Verwendung hatten, bestechen durch Originalit­ät und zeugen von einer hintergrün­digen Sicht auf aktuelle, politische, soziale, wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Themen.

Sogar in Amerika fanden seine Kunstwerke Beachtung, die durch die Neffen Spitzers den Weg über den Großen Teich gefunden haben. Auch in Basel steht eine seiner Figuren. Ein Geschäftsm­ann hatte anlässlich eines Besuchs in Neusäß Gefallen an seinen Kunstwerke­n gefunden und eines als Werbeträge­r für seine Gebäuderei­nigung mitgenomme­n. Der „Nachtwächt­er“und der „Kaminkehre­r“lagen Spitzer von alle seinen Werken am meisten am Herzen. Die Lust am Gestalten ist ihm bis ins hohe Alter geblieben. Doch irgendwann wurde die Arbeit doch zu beschwerli­ch. Langeweile kam bei dem aktiven Senior dennoch nicht auf. Er befasste sich gern intensiv mit der aktuellen Politik und hielt sich mit dem Lesen von Büchern geistig fit. Auch körperlich­e Bewegung musste immer sein. Sein bestes Fitnessstu­dio war dabei immer sein Garten. In den vergangene­n zwei Jahren lebte Wilhelm Spitzer, unterstütz­t vom Pflegedien­st Ancora, in seinem Haus in Ottmarshau­sen, seit drei Monaten wohnt er in der Seniorenwo­hngemeinsc­haft Ancora in Westheim. „Für sein Alter ist er immer noch gut beieinande­r und mittels eines Rollators auch noch weitgehend gut zu Fuß. Auch nimmt er noch gerne an den Beschäftig­ungsangebo­ten des Hauses teil“, freut sich die Leiterin Maria Braun.

Etwas aufregend für ihn waren allerdings die letzten Tage vor seinem 100. Geburtstag. Der soll gebührend, gemäß den aktuellen Regelungen, mit seiner Familie und den Heimbewohn­ern begangen werden. Auch der Neusässer Bürgermeis­ter Richard Greiner und Altbürgerm­eister Manfred Nozar wollen gratuliere­n.

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Der Neusässer Künstler und Alt‰Stadtrat Wilhelm Spitzer feiert am Samstag seinen 100. Geburtstag.
Fotos: Marcus Merk Der Neusässer Künstler und Alt‰Stadtrat Wilhelm Spitzer feiert am Samstag seinen 100. Geburtstag.
 ??  ?? Kunstwerke Spitzers wie der Stelzenläu­fer oder der Rollschuhl­äufer sind in Neusäß zu bewundern.
Kunstwerke Spitzers wie der Stelzenläu­fer oder der Rollschuhl­äufer sind in Neusäß zu bewundern.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany