Augsburger Allgemeine (Land West)
Ist Herrlich noch der Richtige?
Die Erfolglosigkeit des FC Augsburg mündet zwangsläufig in eine Trainerdiskussion. Warum Zweifel am Verbleib des 49-Jährigen angebracht sind
Wenn Heiko Herrlich vor einem Spiel Auskünfte erteilt, so fällt im Verlauf des Gesprächs häufig ein Satz. Sinngemäß sagt der Trainer des FC Augsburg dann, er und seine Mannschaft würden das Bestmögliche versuchen. Nun bringen Bundesligafußballer allgemein inneren Antrieb und Ehrgeiz mit, sonst wären sie nie in den elitären Kreis der Berufsfußballer aufgenommen worden. Doch um Bestmögliches nicht nur zu versuchen, sondern auch zu erreichen, genügt nicht allein die Motivation. Fußball bleibt ein Mannschaftssport, in dem individuelle Stärken gebündelt werden und so ihre Wirkung entfalten. Als Dirigent sorgt der Trainer für ein wohlklingendes Zusammenspiel.
Augsburgs Herrlich orchestriert dieser Tage viel, im Einklang befindet sich allerdings wenig. Stattdessen schräge Töne und ein wenig befriedigendes Gesamtkunstwerk. Der FC Augsburg steckt in einer ausgewachsenen Krise, drei Punkte in den vergangenen sechs Partien liefern den statistischen Beleg. In der Saisonphase vor Weihnachten zeigten die Spieler meist unansehnlichen Fußball, der auf destruktiver Defensivtaktik fußte. Weil der FCA jedoch schicksalsträchtige Begegnungen mit direkten Konkurrenten gegen den Abstieg für sich entschied, hatte Herrlich schlagkräftige Argumente auf seiner Seite. Der Zweck heiligte die Mittel, der Abstand zur Abstiegszone war mitunter größer als der zu den europäischen Startplätzen. Nach dem Jahreswechsel holte der Bundesligist zwar noch bedeutsame Erfolge gegen Köln und Union Berlin, doch am negativen Trend änderte sich nichts. Augsburg enttäuscht nun nicht mehr nur spielerisch, ebenso bleiben die Ergebnisse aus.
Erfolglosigkeit mündet zwangsläufig in eine Trainerdiskussion. FCA-Sportchef Stefan Reuter mühte sich nach dem 0:2 gegen Wolfsburg, Debatten um Herrlich im Keim zu ersticken, wirklich einfangen konnte er diese nicht mehr. Für die kommenden beiden Partien in Leipzig und gegen Leverkusen garantierte Reuter seinem Trainer den Job, doch wer weiß, zu welchen Schritten er sich genötigt sieht, sollten sich die Augsburger weiterhin chancenlos präsentieren. Schon gegen Wolfsburg hätte die Niederlage weit höher ausfallen können. Womöglich spricht FCAPräsident Klaus Hofmann ein Machtwort. Die biederen Auftritte der vergangenen Wochen können dem emotionalen Entscheider nicht gefallen haben, als Ziel waren eine sorgenfreie Saison und spielerische Fortschritte ausgegeben worden. Stattdessen sieht es derzeit danach aus, dass der FCA auf die Schwäche der anderen vertrauen muss.
Seit einem Jahr wirkt Herrlich in Augsburg. Und noch ist schwerlich festzustellen, wofür er eigentlich steht. Bei seinem Antritt stellte er attraktiven Fußball mit reichlich Torchancen in Aussicht. Im Widerspruch steht das Praktizierte: verteidigen und mit einer Torchance treffen. In der vergangenen Saison mag Herrlich diese Herangehensweise verziehen worden sein, schließlich bestimmte der Verbleib in der Liga das Handeln. Doch auch in der laufenden Saison, nach personellen Umbauten und wochenlanger Vorbereitungsphase im Sommer, stellte sich keine Verbesserung ein. Dass Herrlich gegen die Schwergewichte der Liga, gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig, zurückhaltend agieren lässt – verständlich. Nicht aber, dass auch gegen Köln, Bielefeld, Bremen oder Mainz gebollwerkt wird. Statt positiv zu überraschen, kommt der Saisonverlauf einem Rückschritt gleich. Grauer kann eine Maus kaum sein. Der VfB Stuttgart und Union Berlin machen vor, wie die Handschrift eines Trainers aussehen kann.
Bislang hat Sportchef Reuter keinen adäquaten Ersatz für Markus Weinzierl gefunden. Dieser einte defensive Stabilität mit Struktur in Spielaufbau und Offensive. Weder Dirk Schuster, Manuel Baum, Martin Schmidt noch Herrlich vermochten es, den FCA dauerhaft weiterzuentwickeln und in die obere Tabellenhälfte zu hieven. Nach einem Jahrzehnt der Erstklassigkeit darf das der Anspruch sein.
Noch hält Reuter schützend seine Hand über Herrlich. Wohl wissend, dass eine weitere Trainerentlassung auf ihn selbst zurückfallen würde. Doch ist Reuter überzeugt, Herrlich bleibt der richtige Trainer, so begründet sich der Misserfolg im Spielerkader. Und auch den hat Reuter zu verantworten.
Saisonverlauf kommt einem Rückschritt gleich