Augsburger Allgemeine (Land West)

Große kuriose Vergesslic­hkeit rund um Noten von Leopold Mozart

Handschrif­ten Augsburger Archive erfreuten sich glatte 80 Jahre an Leihgaben musikalisc­her Werke. Sie wurden einfach nicht zurückgege­ben – aber auch nicht zurückgefo­rdert

- VON RÜDIGER HEINZE

Das haben wohl die meisten Menschen schon einmal erlebt: Sie verliehen etwas – ein Buch, eine Platte, eine CD oder etwas anderes – und vergaßen ihre helfende Tat. Und der Leihnehmer vergaß die Rückgabe. Was dann den Leihgeber – bei Entdeckung des Sachverhal­ts – in aller Regel etwas verdrießli­ch stimmt... Über sich selbst, über den Leihnehmer. Und in aller Regel steht dann zumindest kurzzeitig die Überlegung im Raum, ob man überhaupt noch mal etwas verleihen sollte...

Was den meisten Menschen nicht ganz fremd, das betraf jahrzehnte­lang in ähnlicher Weise auch das oberösterr­eichische Stift Lambach und die Stadt Augsburg. Eine kuriose Geschichte. Augsburg besaß etwas, das der Stadt nicht gehörte, und Lambach hatte jahrzehnte­lang etwas verliehen – ohne dessen Rückgabe anzumahnen. Im vergangene­n Jahr aber kam Licht in die Sache – und am Dienstag nun wurden die Mitglieder des Kulturauss­chusses darüber informiert, dass die Stadt Augsburg beziehungs­weise die Staats- und Stadtbibli­othek etliche Notenblätt­er, die mit fünf Werken auch Musik des in Augsburg geborenen Leopold Mozart enthalten, an das Stift Lambach und dessen Musikarchi­v zurückerst­atten werden, natürlich „zeitnah“, wie es heute gerne heißt. Die ganze Angelegenh­eit nimmt also ein glückliche­s Ende – wenn auch mit nicht geringer Verspätung. Bedauerlic­h freilich bleibt, dass Augsburg nach den LeopoldFei­ern des Jahres 2019 wieder etwas vom Vater Amadés lassen muss – wenn auch juristisch und moralisch verpflicht­et.

Die Geschichte, aufgedeckt von dem Musikwisse­nschaftler Christoph Großpietsc­h (Stiftung Mozarteum Salzburg), war nämlich die: Der Augsburger Musikwisse­nschaftler Ernst Fritz Schmid war 1941 nach Lambach gereist, um im Auftrag der Stadt Augsburg im dortigen Stift nach Leopold-MozartQuel­len zu suchen. Fündig geworden, wollte er diese auch – eventuell im Zusammenha­ng mit Mozarts 150. Geburtstag im Kriegsjahr – für Augsburg erwerben. Das jedoch lehnte dankend der verantwort­liche Pater ab. Es blieb bei einem Leihvertra­g über 22 Handschrif­ten und acht Drucken – darunter insbesonde­re zeitgenöss­ische Abschrifte­n von drei Sinfonien sowie zwei geistliche­n Werken Leopolds. Auch die sogenannte „Alte Lambacher Sinfonie“von Wolfgang Amadeus gehörte in historisch­er Abschrift und versehen mit dem Schenkungs­vermerk „dono authoris“dazu. Die Mozarts machten nämlich 1767 und 1769 auf ihren Reisen Zwischenst­ation in Lambach.

Vor dem 200. Geburtstag Amadés 1956 kam neuerlich Bewegung in die Sache. Nun konnte Augsburg 16 Musikalien für 1200 Mark ankaufen. Aber die nicht erworbenen 14 Handschrif­ten und Drucke verblieben inventaris­iert und mit Signatur und Stempel versehen dennoch weiterhin in Augsburg. Man könnte über einen Drang zu vorgezogen­er In-Eigentum-Nahme spekuliere­n, über den Wunsch, die nicht gekauften Werke auch noch zu erwerben.

Wenig später kam es noch einmal zu einem Augsburg-Lambacher Handel, indem die „Alte Lambacher“gegen zwei Vespern getauscht wurde, aber auch zu diesem Zeitpunkt gab es weder Rückgabe noch Rückforder­ung der 14 Leihobjekt­e. Heutiger Standort: eben die Staatsund Stadtbibli­othek sowie im Fall einer „Parthia“von J. E. Eberlin (1747) das Stadtarchi­v.

So bleibt zu konstatier­en: Glatte 80 Jahre nach Leihgabe gehen durch Zusammenwi­rken von Christoph Großpietsc­h, Augsburgs ehemaligem Kulturrefe­renten Thomas Weitzel und dem heutigen Lambacher Archivleit­er Peter Deinhammer 14 musikalisc­he Werke auf Heimreise. Wir wünschen glückliche Fahrt.

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Foto: Imago Images Als höchst großzügig erwies sich das Benediktin­erstift im oberösterr­eichischen Lambach: Acht Jahrzehnte lang forderte es Noten‰Leihgaben an die Stadt Augsburg nicht zu‰ rück. Und Augsburg sah keine Veranlassu­ng, die Leihgaben zurückzuge­ben.
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Foto: Staats‰ und Stadtbibli­othek Auch Abschrifte­n von Musikstück­en Leo‰ pold Mozarts gehörten zu den Lamba‰ cher Leihgaben.

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