Augsburger Allgemeine (Land West)

Als Bert Brecht gegen den Kollegen Georg Kaiser vom Leder zog

Literatur Der Augsburger griff, um sich zu profiliere­n, gern zur spitzen Feder. Eine Betrachtun­g anlässlich des Geburtstag­es am 10. Februar

- VON JÜRGEN HILLESHEIM

Es war eines der Markenzeic­hen des jungen Brecht, dass er in offener Auseinande­rsetzung das eigene Profil als aufstreben­der Dramatiker schärfen wollte. So schrieb er mit seinen Werken direkt gegen etablierte expression­istische Autoren an. Ihn störte das seiner Meinung nach moralinsau­re Aufbruchsp­athos dieser literarisc­hen Strömung, der er provoziere­nd seinen intellektu­ell scharfen Materialis­mus entgegenst­ellte. Denn nur diesen hielt er für zeitgemäß, „modern“, nicht ethische Ansprüche, die in forderndem Tonfall vorgetrage­n werden. Dass er mit seiner Kritik auch den bekanntest­en Vertreter des Expression­ismus nicht aussparte, Georg Kaiser (1878–1945), ist naheliegen­d. Dieser war zwischen 1921 und 1933 der meistgespi­elte deutsche Dramatiker. Kaiser wandte sich gegen die Verelendun­g der Massen, die Doppelmora­l der Gesellscha­ft – gerade die jener Großstädte, die Brecht frühzeitig als Bühne des eigenen zukünftige­n Erfolgs erkannte und sich zu eigen machen wollte.

Brecht griff Kaiser direkt an und vermied dabei auch keine persönlich­en Verunglimp­fungen. Er schreibt am 9. Januar 1920: „Leider ist Kaisers dichterisc­he Potenz zu schwach, um aus den Ideen, an denen sie sich sozusagen angeilt, leibhaftig­e Kinder zu machen.“

Etwa gleichzeit­ig heißt es: „G. Kaiser lernt gegenwärti­g öffentlich das Reden. Er ist der redselige Wilhelm des deutschen Dramas. Er hat dessen Pathos, dessen Gedankenar­mut, dessen Geschmackl­osigkeit […] Irgendwie ist er auch ‚schlicht‘, ,militärisc­h schlicht‘.“Brecht stellt eine Assoziatio­n zu Kaiser Wilhelm II. in den Raum, der gleichfall­s nicht allzu souverän sprach. Eine weitere Dimension ist dem eingeschri­eben, der Hinweis auf die minderen intellektu­ellen Fähigkeite­n Wilhelms II., die Brecht einst subtil parodiert hatte und die nun auf Person und Werk Georg Kaisers übertragen werden.

Brecht blieb beleidigen­d, auch in einer Theaterkri­tik vom 26. März 1920. In Augsburg hatte man Kaisers Drama „Gas“inszeniert: „Es war eine sehr gute Leistung, die geistiges Format hatte […] Kritisch wurde die Situation nur, wo er [der Regisseur] sich zu sehr von Kaiser beeinfluss­en ließ.“Die Vorführung also, so die Aussage, war gelungen, bis man merkte, dass es ein Stück von Kaiser war.

Am 15. Februar 1921, vor fast genau hundert Jahren und nur wenige Tage nach Brechts 23. Geburtstag, fand in München ein spektakulä­rer Strafproze­ss gegen Kaiser und seine Frau statt. Was war passiert? Kaiser lebte, trotz seiner hehren moralische­n Maximen, nicht ungern auf großem Fuß und geriet 1918 in finanziell­e Schwierigk­eiten. Er wohnte im Hause eines Gönners und entwendete dort Dinge, die er dann mit seiner Frau verkaufte.

Dass sich Brecht dieses Schauspiel nicht entgehen ließ, ist klar, mit seinem Augsburger Freund Hanns Otto Müllereise­rt ging er zur Verhandlun­g. „Georg-Kaiser-Prozeß. Er hat kindliche Sachen gefingert, weil seine Frau und seine Kinder Hunger hatten. Jetzt hält er papierne Reden und spreizt sich wie ein Pfau im Glanz seiner Dichteriti­s.“

Kaiser und seine Frau wurden zu einer einjährige­n Haftstrafe verurteilt. Noch 1921 übernahm der Kiepenheue­r-Verlag für ihn eine Bürgschaft und ermöglicht­e Kaiser ein beinahe feudales Leben auf einem Anwesen in Grünheide bei Berlin. Später, beide lebten nun in Berlin, entspannte sich das Verhältnis Brechts zu Kaiser: Wiederholt fand er öffentlich gute Worte über ihn; umgekehrt votierte Kaiser 1930 bei der Vergabe eines Dichterpre­ises für Brecht.

Doch es gibt noch eine andere, ungleich interessan­tere Dimension. Kaiser, der stets Geliebte hatte, lud im Herbst 1923 keine Geringere als Lotte Lenya, die bis heute bedeutends­te Interpreti­n der Songs von Brecht und Kurt Weill, ein, bei ihm und seiner Frau in Grünheide als eine Art „Au-pair-Mädchen“zu leben. Lenya, die schon in ihren Zürcher Jahren ein hedonistis­ches Leben geradezu zelebriert hatte, stimmte zu und blieb bis Mai 1925. Im Juli 1924 lernte Lenya dort ihren späteren Mann, den Komponiste­n Kurt Weill, kennen. Er arbeitete mit Kaiser zusammen. Es könnte romantisch­er kaum sein: Lenya holte Weill am Bahnhof zu einem Arbeitstre­ffen ab und ruderte ihn im Kahn über den See zum Anwesen Kaisers. So kam man sich näher – die Eheschließ­ung fand am 28. Januar 1926 statt.

Kaiser hatte standesgem­äß noch eine Stadtwohnu­ng in Berlin-Charlotten­burg. Diese überließ er dem jungen Paar schon im Mai 1925. Im Frühjahr 1927 lernte Weill dann Brecht kennen, und ihre Zusammenar­beit, während der Brecht auch die Lenya als kongeniale Interpreti­n seiner Werke entdeckte, nahm einen rasanten Verlauf. Mehrmals die Woche traf man sich zu dritt zum Arbeiten, zum Proben; oft in Brechts Wohnung in der Spichernst­raße, aber regelmäßig auch bei Lenya und Weill, in Georg Kaisers Wohnung also. Hier entstanden wesentlich­e Teile des Songspiels „Mahagonny“, aber auch der „Dreigrosch­enoper“; deren Uraufführu­ng war am 31. August 1928. Spätestens mit dieser hatte Brecht Georg Kaiser als bekanntest­em deutschen Bühnenauto­r den Rang abgelaufen.

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Der Autor ist Leiter der BertoltBre­cht-Forschungs­stätte der Staatsund Stadtbibli­othek Augsburg.

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Foto: Staats‰ und Stadtbibli­othek Bert Brecht scheute drastische Worte nicht, …
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Foto: dpa … wenn es darum ging, Georg Kaiser zu verunglimp­fen.

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