Augsburger Allgemeine (Land West)
Bushido und sein Schattenmann
Justiz Der Prozess, in dem der Rap-Star als Zeuge auftritt und seinem früheren Manager schwere Vorwürfe macht, bietet teilweise bizarre Einblicke in die Verflechtungen von Musikern mit Größen der Halb- oder Unterwelt. Und für manche Medien beste Unterhalt
Berlin Bushido ist vieles: Deutschlands bekanntester Rapper, glänzender Selbstvermarkter, zeitweiliger Liebling von Politik und feiner Gesellschaft, Ex-Praktikant im Bundestag, strafrechtlich aber auch kein unbeschriebenes Blatt. Und jetzt womöglich auch noch Rekordzeuge im ehrwürdigen Neobarockgebäude des Landgerichts in BerlinMoabit. So glaubt jedenfalls der Vorsitzende Richter im Prozess gegen Bushidos Ex-Manager Arafat A.-Ch., der Interpret sei „der längste Zeuge, der jemals in einer Hauptverhandlung ausgesagt hat“. Und der Jurist meint nicht die Körpergröße. Bereits mehr als 20 Verhandlungstage dauert das Verfahren nun schon. Beim jüngsten Termin kann Bushido, der bürgerlich Anis Ferchichi heißt, kaum gerade stehen. „Hexenschuss“, sagt er kurz.
Seine bisherigen Ausführungen vor dem Gericht beschreiben regelmäßige Beobachter als ausufernd, überbordend, detailreich und manchmal widersprüchlich. Es geht etwa darum, welche Rolle die sexuelle Beleidigung von Müttern im Rap-Geschäft spielt, wer bei den harten Jungs zu Hause die Hosen anhat und um eine Männerfreundschaft, die offenbar zum Albtraum wurde. Nicht alles trägt direkt zur Klärung der Vorwürfe gegen A.-Ch. bei, von denen ohnehin unklar ist, wie stichhaltig sie letztlich zu beweisen sind.
Trotzdem ist das Interesse riesengroß. Doch wegen der Corona-Pandemie gibt es nur wenige Zuschauerund Presseplätze; sie sind fast immer belegt. Nicht nur die Kriminalreporter seriöser Medien verfolgen den Prozess, sondern auch die
Vertreter der Regenbogenblätter und der Rap-Fanpresse sind an jedem Verhandlungstag da. In manchen Internetportalen steht die jeweils neueste Folge des BushidoSpektakels längst nicht mehr dort, wo die „normalen“Gerichtsberichte zu finden sind. Sondern im Unterhaltungsressort.
Dabei geht es im Prozess eigentlich um einen Vorfall vom Januar 2018. Damals will Bushido seine langjährige Geschäftsbeziehung zu A.-Ch. beenden. Doch der denkt offenbar nicht daran, den Rap-Star ziehen zu lassen, der ihm seit Jahren Millioneneinnahmen beschert. Laut Staatsanwaltschaft fordert der angebliche Clan-Boss eine Millionenzahlung als „Ablöse“und weitere Beteiligungen an den Musikgeschäften für 15 Jahre. Bei einem Gespräch, so die Anklage, sei Bushido eingesperrt, massiv bedroht, beschimpft und verletzt worden. A.-Ch. soll den Künstler mit einer halb gefüllten Wasserflasche geschlagen und einen Stuhl nach ihm geworfen haben. So lauten die Anklagepunkte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung.
Mitangeklagt als Gehilfen oder Mittäter sind drei Brüder A.-Ch.s im Alter von 39, 42 und 49 Jahren. Bushido, im Prozess Nebenkläger, und seine Familie stehen seit dem Vorfall unter Personenschutz. Die Beschuldigten befinden sich auf freiem Fuß, kommen stets akkurat frisiert in Designerklamotten und dicken Daunenjacken zur Verhandlung, den Kaffeebecher aus Pappe lässig in der Hand.
Der Prozess bietet bizarre Einblicke in die Verflechtungen von Musikern mit Größen der Halb- oder Unterwelt. Ein Phänomen, das alles andere als neu ist. Schon von Sängerlegende Frank Sinatra heißt es, dass er von Beginn seiner Karriere an enge Kontakte zur italoamerikanischen Cosa Nostra gepflegt habe. Seine mafiösen Freunde sollen ihm mitunter handfest dabei geholfen haben, aus schlechten Verträgen herauszukommen.
solcher Vorgang markiert auch den Anfang seiner eigenen „Zwangsehe“, so nennt es Bushido heute, mit dem 43-jährigen Arafat A.-Ch. Bushido ist ab Ende der 1990er Jahre immer erfolgreicher als sogenannter Gangsta-Rapper. Doch mit seiner Plattenfirma Aggro Berlin gerät er in Streit um Vermarktungsrechte und Vertragsbedingungen, will sich von ihr lösen. Ganz einfach ist das aber nicht, das Label pocht auf geltende Abmachungen.
So sucht Bushido Hilfe in den Reihen der berühmt-berüchtigten palästinensischstämmigen Berliner Großfamilie A.-Ch. Teile der Familie werden von den Ermittlungsbehörden der Organisierten Kriminalität zugerechnet, etliche männliche Mitglieder sind wegen Schutzgelderpressung, Raubüberfällen, Drogenund Waffenhandel oder Diebstahl bekannt. Ebenso spielen Angehörige des Clans eine wichtige Rolle in der Rotlichtszene der Hauptstadt. Auf ihr Konto gehen Gewalt- und Körperverletzungsdelikte. Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht „mafiöse Strukturen“eindeutig vorhanden.
Arafat A.-Ch. gilt als Führungsfigur des Familienverbandes, weist die Bezeichnung „Clan-Chef“aber energisch zurück. Er gibt an, als Unternehmer von Vermietung und Verpachtung zu leben. Im Vergleich zu manchen Verwandten hat er die Gerichte bislang eher weniger beschäftigt. 2019 wurde er wegen Körperverletzung und Bedrohung verurteilt. Er hatte einem Hausmeister einen Kopfstoß verpasst und ihm zwei Finger in die Augen gedrückt. Grund: Der Mann habe ihn nicht gegrüßt. Auch als A.-Ch. rund 15 Jahre zuvor dabei hilft, sich von der Plattenfirma Aggro Berlin zu lösen, geht er offenbar nicht eben zimperlich vor. Nach Darstellung von Aggro Berlin sind Bushido, Arafat A.-Ch. und sechs weitere Männer, einer davon mit einem machetenartigen Messer, im Mai 2004 ins Studio gekommen. Unter Schlägen und Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben seien die Manager zur Unterschrift unter die Auflösungsverträge gezwungen worden.
Was genau passiert ist, bleibt unklar, Bushido bestätigt aber mehrEin fach, dass A.-Ch. ihn dabei unterstützt hat, sich von Aggro Berlin zu lösen. Fortan ist A.-Ch. sein Manager und Beschützer, sein „Rücken“, wie es in der Szene heißt. Der Künstler gerät damit vom Regen in die Traufe, auch wenn er jahrelang eher von einer wunderbaren Männerfreundschaft schwärmt.
Das Duo investiert in Immobilien, zeitweise wohnt es auf einem gemeinsamen Grundstück im biederen brandenburgischen Kleinmachnow, jeder in seiner Villa. Doch Bushido muss 30 Prozent seiner Einnahmen an den Clan-Mann abBushido geben, erteilt diesem eine Art Generalvollmacht für alle seine Geschäfte und Konten. „Was er gesagt hat, wurde gemacht“, sagt der Musiker aus. Und auch, dass A.-Ch. völlig willkürlich Rechnungen geschrieben, oft auch 50 Prozent oder mehr seiner Einnahmen verlangt habe. Insgesamt sollen mehr als neun Millionen Euro an ihn geflossen sein. Eine Gegenleistung, so Bushido vor Gericht, sei praktisch nicht erfolgt. Die Rolle solcher Hintermänner im Rap-Business sei es, in Hinterzimmern Probleme mit anderen Hintermännern zu lösen. Von Musik habe A.-Ch. keine Ahnung gehabt.
In Bushidos Aussagen geht es immer wieder um das komplizierte Gefüge zwischen den Künstlern und ihren jeweiligen Beschützern. Welcher Rapper mit welchen Clan- oder Rockergrößen koaliert und gegen andere Szenegrößen stänkert, ist nachwachsender Rohstoff für die Fan-Medien. Bushido etwa hat unter anderem mit den Rappern Sido, Fler oder Kay One „Beef“am Laufen. So heißt der Streit, der über eine ausgefeilte Beleidigungslyrik, das „Dissen“, ausgetragen wird.
Wie das funktioniert, darum geht es an einem der früheren Prozesstage. Sido sagt sinngemäß, dass die sexuelle Beleidigung der Mutter des jeweiligen Gegners quasi normal sei. Als A.-Ch. ihm allerdings gedroht habe, er werde nacheinander seine – bereits verstorbenen – Eltern, dann seine Frau und Kinder und schließlich ihn selbst „f...en“, da sei dies eine sehr ernst zu nehmende Drohung gegen das Leben seiner Familie gewesen. Gemeint sei dabei ganz sicher nicht der „körperliche Akt“, erklärt er dem Gericht. Angst habe er gehabt, so Bushido, sich nicht mehr getraut, dem Geschäftspartner zu widersprechen. „Er hat mich in der Mitte durchgebrochen wie einen Zahnstocher.“
Treibende Kraft hinter der endgültigen Lossagung von A.-Ch. ist, wie im Prozess mehrfach deutlich wird, Bushidos Frau Anna-Maria. Die Ehe des Rap-Königs mit der Schwester der Popsängerin Sarah Connor gleicht einer Achterbahnfahrt zwischen häuslicher Gewalt und Liebesschwüren. Der Rapper kokettiert im Verfahren mit der dominanten Rolle seiner Frau. AnnaMaria habe nicht nur in finanziellen Dingen das Sagen. Als im Publikum Gelächter aufkommt, sagt er: „Alle machen immer auf harte Kerle, aber zu Hause hat die Frau die Hosen an.“Auf Drängen Anna-Marias jedenfalls wandte sich Bushido schließlich an die Ermittlungsbehörden und fürchtet sich nun vor der Rache des Ex-Managers.
Für den sind viele Aussagen im Prozess äußerst unangenehm. Mal geht es um Schusswaffen bei Konzerttouren, mal um Schwarzgeld bei Klub-Auftritten. Sagt Bushido die Wahrheit, hat der Clan-Mann auch darauf gedrängt, dass durch die Verträge seine Ansprüche auf Wohngeld nicht gefährdet werden. Offenbar bezieht der Manager, der bevorzugt AMG-Mercedes fährt, diese staatliche Sozialleistung.
Im Gegenzug versuchen die Anwälte des Angeklagten regelmäßig, die Glaubwürdigkeit des Rap-Stars in Zweifel zu ziehen – was ihnen in Ansätzen auch immer wieder gelingt. Schließlich ist auch der Künstler wegen diverser Vergehen aktenkundig: Körperverletzung, Steuerhinterziehung, Versicherungsbetrug. Mehrfach wurde er wegen Beleidigung
Arafat A.Ch. verachtet den Rapper offensichtlich
Bushidos Geschichte hat einen Schönheitsfehler
verurteilt. Auch seine Liedtexte stehen immer wieder im Mittelpunkt von Kontroversen, denn sie verherrlichen nach Meinung von Kritikern oft Gewalt und soziale Verwahrlosung, würdigen Frauen oder Homosexuelle herab. Einzelne Stücke stehen gar auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften.
Unbestritten ist, dass Bushido mit Alben wie „Vom Bordstein bis zur Skyline“oder „Staatsfeind Nr.1“große kommerzielle Erfolge feierte und zum Liebling der Klatschpresse avancierte: Er schreibt eine Art Autobiografie, die Produzent Bernd Eichinger verfilmt; Bushido spielt darin sich selbst. Der Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen bekommt den Musikpreis Echo und einen Bambi für Integration. Er sucht und findet die Nähe zur Politik, trifft Horst Seehofer beim Münchner Filmball, 2012 absolviert er ein Praktikum beim CDU-Parlamentarier Christian von Stetten im Bundestag. Dabei plaudert er auch mit dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Bei Festivals und Auftritten in Fernsehshows stets im Schlepptau: Arafat A.-Ch., der Schattenmann.
Er und seine mitangeklagten Brüder schweigen vor Gericht meist, drücken ihre Verachtung für Bushido aber immer wieder durch Lachen oder Kopfschütteln aus.
Im Prozess geht es jetzt erst einmal weiter mit den Aussagen Bushidos. Andere Zeugen seien bis April nicht eingeplant, sagt eine Sprecherin des Gerichts. Bushido, der begnadete Selbstvermarkter, kündigt derweil eine Amazon-Doku an, bei der es, natürlich, um sein Leben geht. Doch die Geschichte, die er schon vor Gericht so ausführlich erzählt – von einem, der die Geister, die er rief, erfolgreich vertreibt, sich von Verstrickungen befreit und die Fesseln der Abhängigkeit abstreift – hat einen Schönheitsfehler: Nach dem Bruch mit A.-Ch. hat Bushido einen neuen „Beschützer“. Es ist Issa R., der Chef eines nicht minder berüchtigten deutsch-arabischen Familienclans.