Augsburger Allgemeine (Land West)
Unter lauter Opportunisten
seiner aus sechs größeren und weiteren kleineren Parteien bestehenden Koalition. Als weiterhin stärkste parlamentarische Kraft besetzt die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung vier Ministerien, der 34 Jahre alte Außenminister Luigi Di Maio blieb im Amt. Die rechte Lega stellt drei Regierungsmitglieder, ebensoviele Posten erhielten die Sozialdemokraten sowie Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi. Wie lange halten es diese bislang in offenem Konflikt koexistierenden Kräfte in einem Bündnis aus? Das ist nun die große Frage in Italien.
Auch wenn Draghi sein Regierungsprogramm noch schuldig ist, sind die Prioritäten ob der Pandemie und ihrer Folgen klar. Der Premier bestätigte Gesundheitsminister Roberto Speranza (Linkspartei Leu) im Amt: Im Umgang mit der Pandemie setzt Draghi also auf Kontinuität. Neben der Impfkampagne liegt der Schwerpunkt auf der Koordination und der Verteilung der EU-Hilfsgelder: Bis Ende April ist in Brüssel ein schlüssiger Ausgaben-Plan vorzulegen. Vier parteilose Experten bilden den Kreis, der unmittelbar mit der Verwendung der bis zu 209 Milliarden Euro befasst sein wird. Wirtschaftsminister Daniele Franco hat langjährige Erfahrung als Spitzenfunktionär bei der italienischen Zentralbank und im staatlichen Verwaltungsdienst, er gilt als Intimus des Ex-EZB-Chefs. Als Minister für technologische Innovation wurde Ex-Vodafone-Manager Vittorio Colao vereidigt, der für die Vorgängerregierung bereits einen Plan zur Verwendung der EU-Milliarden erarbeitet hatte. Dritter im Bunde ist der Physiker Roberto Cingolani, der das Umweltministerium in eine Behörde für die „ökologische Wende“umbauen soll. Als Minister für Infrastruktur und Verkehr amtiert der frühere Leiter des Statistikinstituts Istat, Enrico Giovannini. Der Premier behielt das Portfolio für Europaangelegenheiten für sich. Die wichtigsten Kontakte nach Brüssel koordiniert Draghi mit seinen exzellenten Kontakten also selbst.
Kritik wurde bereits laut, da im Kabinett von 23 Ministerien nur acht von Frauen besetzt sind. Darunter sind die bisherige parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese sowie die neue Justizministerin Marta Cartabia, frühere Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Besonders in der Fünf-Sterne-Bewegung rumort es: In einer Urabstimmung hatten die Mitglieder am Donnerstag den Weg für die Regierung freigemacht. Die politische Ausrichtung des Kabinetts aber stößt vielen an der Parteibasis nun auf. Bei der Vertrauensabstimmung im Senat wird deshalb mit bis zu 40 Nein-Stimmen aus den Reihen der Fünf Sterne gerechnet.
Italien, die EU und die Finanzmärkte können fürs Erste aufatmen. Nach dem politischen Außenseiter und Rechtsprofessor Giuseppe Conte führt mit Mario Draghi nun ein international anerkannter Fachmann die Geschicke der Regierung in Rom. Er hat für die Schlüsselpositionen Experten um sich geschart, sein Vertrauensvorschuss ist groß. Vergessen wird darüber leicht, dass Draghi nicht als Alleinherrscher Entscheidungen treffen kann, sondern auf (zu?) viele Koalitionäre angewiesen ist. Beim Eintritt in die Große Koalition sind die Parteien wohl weniger dem Appell des Staatspräsidenten zur nationalen Einheit gefolgt, sondern weil der Schritt politisch opportun war.
Doch die Fliehkräfte sind schon heute zu groß, um langfristig stabiles Regieren zu gewährleisten. Zu sehen ist das an der Fünf-SterneBewegung, die vor der Spaltung steht. Die Sterne haben ihr letztes Tabu gebrochen: Nach Bündnissen mit Lega und Sozialdemokraten sind sie nun auch mit Silvio Berlusconi in einer Regierung, also der Figur, die die Gründung der Sterne mit auslöste. Der noch größere Unsicherheitsfaktor ist Lega-Chef Matteo Salvini, dessen Ziel die Nachfolge Draghis als Premier ist.
So werden die Unwägbarkeiten der Pandemie für Draghi zum Schlüssel des Erfolgs: Je schwieriger die Corona-Lage wird, desto mehr ist politische Stabilität gefragt. Bekommt die Regierung die Pandemie dagegen bald und gut in den Griff, dürfte auch ihr Ende näher rücken. So paradox es klingen mag.