Augsburger Allgemeine (Land West)

„Es war ein eiskalter Ehrenmord“

Justiz Im Mordprozes­s gegen Nabi S., der im Gögginger Asylheim ein Blutbad angerichte­t hatte, findet der Staatsanwa­lt in seinem Plädoyer deutliche Worte. Er fordert für den Angeklagte­n lebenslang­e Haft

- VON KLAUS UTZNI

Für Staatsanwa­lt Michael Nißl war die Tat ein „eiskalter Ehrenmord, ausgeführt mit menschenve­rachtender Kälte“. Für den Tod seines 15 Jahre alten Schwagers müsse der Angeklagte deshalb lebenslang in Haft, forderte er am Montag in seinem Plädoyer vor dem Schwurgeri­cht. Was am 4. April 2020 in der Asyleinric­htung Haus Noah in Göggingen geschah, bezeichnet der Ankläger als „Blutbad“. Denn der 30-jährige Afghane Nabi S. habe nicht nur seinem Schwager „fast den Kopf abgeschnit­ten“.

Er habe auch seine Schwiegerm­utter, den Schwiegerv­ater und zwei Schwägerin­nen mit einem „Schlachter­messer“teils schwer verletzt. Der Verteidige­r des Angeklagte­n, Jörg Seubert, hielt den Messerangr­iff gegen den 15-Jährigen infolge von Notwehr für gerechtfer­tigt. Er plädierte in den anderen Anklagefäl­len lediglich auf gefährlich­e Körperverl­etzung.

Mit den Plädoyers, dem „letzten Wort“des Angeklagte­n und dem psychiatri­schen Gutachten von Dr. Fabian Lang ging der seit Dezember terminiert­e Prozess auf die Ziellinie. Das Urteil wird die Kammer unter Vorsitz von Sabine Konnerth am Dienstag, 2. März, 14.30 Uhr, verkünden. Wie mehrfach berichtet, ist der Afghane des Mordes und des versuchten Mordes in vier Fällen angeklagt. Laut Anklage hatte sich die 23-jährige Ehefrau im November 2019 nach einem angeblich jahrelange­n Martyrium mit ihrem fünfjährig­en Sohn vom Ehemann getrennt und war zu ihrer Familie nach Augsburg gezogen. Dies soll für den Angeklagte­n das Motiv gewesen sein, seine Ehefrau und deren Familie zu töten.

Da sich seine Frau mit dem kleinen Sohn zur Tatzeit in einer Nachbarwoh­nung aufhielt, griff der Angeklagte, so die Ermittlung­en, Mutter, Vater und zwei Geschwiste­r seiner Frau an und verletzte sie mit einem Küchenmess­er (Klinge: 21,5 Zentimeter) teils schwer. Als der 15-jährige Sohn der Familie in den Raum trat, brachte der Angeklagte ihm den Ermittlung­en zufolge zwei Halsschnit­te bei, der Jugendlich­e starb sofort. Nabi S. hatte sich damals widerstand­slos festnehmen lassen. Danach soll er, so Staatsanwa­lt Michael Nißl, „geradezu beglückt und beseelt“gewesen sein. Die Angaben des Angeklagte­n im Prozess, er habe bei dem Messerangr­iff gegen seinen Schwager quasi in Notwehr gehandelt, bezeichnet­e der Ankläger als „Einlassung mit zynischem SatireChar­akter“. Der 30-Jährige habe seine „gekaufte Frau“als Leibeigene, als sein Eigentum gesehen, sie deshalb jahrelang misshandel­t und schon lange zuvor bei einer möglichen Trennung mit dem Tode bedroht.

Als seine Frau dann ausgezogen war, habe er den Entschluss gefasst, seine Ehefrau und deren Familie zu töten. Er habe seinen 15-jährigen Schwager geradezu exekutiert, weil er der einzige männliche Nachkomme der Familie seiner Frau war. Rechtlich qualifizie­rte Nißl die Tötung des jungen Mannes als Mord, den Angriff auf die Schwiegerm­utter als versuchten Mord, die Verletzung einer Schwägerin als versuchten Totschlag und die Attacken auf den Schwiegerv­ater und einer zweiten Schwägerin als gefährlich­e Körperverl­etzung. Insgesamt forderte er lebenslang­e Haft und die Festsetzun­g der besonderen Schwere der Schuld. Diesem Strafantra­g schlossen sich die anwaltlich­en Vertreter der Familie, Marion Zech und Roland Aigner, an. Der 15-jährige Schwager sei regelrecht hingericht­et worden, sagte Nebenkläge­rin Zech. „Und sein Vater hat dies mit ansehen müssen. Das sind Bilder, die der Familie nie aus dem Kopf gehen werden.“Anwalt Aigner kritisiert­e vor allem das Verhalten des Angeklagte­n im Prozess.

Verteidige­r Jörg Seubert kam zu einer völlig anderen rechtliche­n Einordnung des blutigen Geschehens. Die Aussagen der Zeugen der Familie zum Kerngesche­hen gingen massiv auseinande­r, seien zum Teil nicht nachvollzi­ehbar. Sein Mandant habe das Geschehen nicht geplant, habe sich mit seinem Schwiegerv­ater zu einer Aussprache treffen wollen. Es sei dabei zu einer körperlich­en Auseinande­rsetzung gekommen, bei dem der Angeklagte auch von einem Schlag getroffen worden sei. Die Verletzung der vier Familienan­gehörigen seiner Frau sei lediglich als gefährlich­e Körperverl­etzung einzuordne­n. Der tödliche Schnitt am Hals des 15-jährigen Schwagers sei durch Notwehr gerechtfer­tigt gewesen. Denn der junge Mann habe seinen Mandanten seinerseit­s mit einem Messer angegriffe­n. Keinesfall­s, so Anwalt Seubert, seien Mordmerkma­le erfüllt. „Es handelt sich auch um keinen Ehrenmord. Mein Mandant hat nicht nach einem solchen Ehrenkodex gelebt.“Die Frage nach der Strafhöhe wegen der Fälle von gefährlich­er Körperverl­etzung ließ der Verteidige­r offen. In seinem „letzten Wort“sagte der Angeklagte über einen Dolmetsche­r lediglich: „Ich bedauere es sehr.“

Vor den Plädoyers hatte der psychiatri­sche Gutachter Dr. Fabian Lang den Angeklagte­n für voll schuldfähi­g erklärt. Dieser habe in keiner Affektsitu­ation gehandelt, das Tatgescheh­en sei nicht impulsiv gewesen. Der Angeklagte könne freundlich und zuvorkomme­nd sein, zeige anderersei­ts aber einen Mangel an Reue, an Schuldgefü­hlen und an Verantwort­ung. Eine Schuld mindernde Persönlich­keitsstöru­ng sei nicht erkennbar.

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Foto: Stefan Puchner (Archivfoto) Der Staatsanwa­lt forderte lebenslang­e Haft und die Festsetzun­g der besonderen Schwere der Schuld gegen den Angeklagte­n.

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