Augsburger Allgemeine (Land West)

Klagt der Landkreis?

Corona‰Regeln Politiker streiten, Friseure öffnen, Wirte protestier­en in einer bayernweit­en Aktion, und stets geht es um die gleiche Frage: Wie kommen wir aus dem Lockdown?

- VON CHRISTOPH FREY

Politiker streiten, Friseure öffnen, Wirte protestier­en und stets geht es um die gleiche Frage: Wie kommen wir aus dem Lockdown?

Landkreis Augsburg Der Tisch ist gedeckt und das Bett gemacht – doch für wen? Während am Montag Friseure und Baumärkte wieder öffnen durften, wissen Hoteliers und Gastronome­n immer noch nicht, wie es bei ihnen weitergeht. Zu denen, die am Montag stumm gegen die Corona-Politik in Bund und Land protestier­t haben, gehört auch das traditions­reiche Hotel Platzer in Horgau und Finkl’s Pub in Dinkelsche­rben.

Zahlen des Statistisc­hen Landesamte­s belegen, wie sehr der Lockdown die Gastro-Branche schon im vergangene­n Jahr getroffen hat. Den Kreis Augsburg haben 2020 nur noch rund 105.000 Gäste besucht – das sind 53 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Übernachtu­ngen sank um 51 Prozent auf 203.000. Das teilt die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) unter Berufung auf aktuelle Zahlen des Landesamte­s mit. „Das Gastgewerb­e erlebt eine historisch einmalige Krise, die auch die Beschäftig­ten mit voller Wucht trifft. Jetzt müssen Bund und Länder endlich einen Plan vorlegen, wie es im März weitergehe­n soll“, so Tim Lubecki, Geschäftsf­ührer der NGGRegion Schwaben. Auch aus dem Einzelhand­el werden die Klagen immer lauter, viele Geschäfte stehen mit dem Rücken zur Wand (wir berichtete­n).

Der Augsburger Landrat Martin Sailer (CSU) hat deshalb auch viel Beifall bekommen, als er vergangene Woche dem Freistaat mit einer Klage drohte, um für das Augsburger Land Lockdown-Lockerunge­n durchzuset­zen. Maskenpfli­cht und das Alkoholver­bot im öffentlich­en Raum wollte Sailer aufheben, außerdem sollte wieder Sport auf großen Anlagen wie Tennisplät­zen oder Reitanlage­n gemacht werden dürfen – und der inhabergef­ührte Einzelhand­el sollte seine Pforten öffnen dürfen.

Inhaltlich begründete der Landrat seinen Vorstoß mit der seit Wochen geringen Zahl von Neuinfekti­onen im Kreis Augsburg. Die Regierung von Schwaben lehnte den Antrag aber in Abstimmung mit dem bayerische­n Gesundheit­sministeri­um ab. Die Ausbreitun­g von Corona-Varianten überlagere die Entwicklun­g der Inzidenzwe­rte.

Die Reaktionen auf Sailers Vorstoß waren Rüffel vom Gesundheit­sminister und vom CSU-Generalsek­retär. Von anderen dagegen gab es Lob. Sailer jedenfalls sah am Montag keinen Anlass, von seiner Position abzurücken, ließ er über einen Sprecher mitteilen. Die Menschen müssten darauf vertrauen können, dass auch wirklich Lockerunge­n erfolgen, wenn bestimmte Zielmarken erreicht würden. Ob der Landkreis tatsächlic­h eine Normenkont­rollklage anstrengt? Sailer will die Ergebnisse des Corona-Gipfels am Mittwoch abwarten.

Für nicht so glücklich hält der Meitinger Landtagsab­geordnete Fabian Mehring den Vorstoß des Landrats. Als Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Freien Wähler im Münchner Landtag ist Mehring eingebunde­n in die Corona-Politik und hat mitgeschri­eben an einem Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown, den seine Partei am Dienstag in München präsentier­en will.

Wie Sailer will auch Mehring weiter gehende Öffnungen erreichen.

Er hält es allerdings für falsch, diese an die Inzidenzza­hl zu koppeln. Mehring: „Wären wir vergangene Woche Herrn Sailer gefolgt, hätte das eine Katastroph­e gegeben.“Eine Öffnung der Geschäfte würde die Infektions­zahlen nach oben treiben, die steigende Inzidenz zu einem erneuten Lockdown führen. Mehring: „Das wäre am Ende auch für die Wirtschaft viel schlimmer. Sailer springt entschiede­n zu kurz.“Über das Wochenende ist die Inzidenz im Landkreis Augsburg wieder gestiegen.

Der Meitinger Politiker setzt unter anderem auf den massiven Einsatz von Corona-Tests, die Laien an sich selbst vornehmen können. Diese werden zum Beispiel in einem Bobinger Unternehme­n hergestell­t. Durch die erhöhte Testzahl gehe zwar die Zahl der erkannten Infektione­n (und damit die Inzidenz) nach oben, „aber wir drücken die wahre Infektions­zahl nach unten“, so Mehring.

Corona-Infektione­n würden schneller erkannt, die Befallenen könnten sich isolieren. So könne die Seuche in Schach gehalten werden, bis die Impfungen flächendec­kend wirken.

Zu der von Mehring und den Freien Wählern propagiert­en Strategie gehört auch die Öffnung von Einrichtun­gen auf Basis der Wahrschein­lichkeit, sich dort zu infizieren. Das zumindest wäre ein Hoffnungss­chimmer für die Freiluft-Saison in den Wirtschaft­en. Mehring: „Im Biergarten streckt man sich bestimmt nicht so häufig an wie im ÖPNV.“

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Foto: Marcus Merk Auch im Hotel Platzer in Horgau wartet man sehnsüchti­g auf die Rückkehr der Gäste. Deren Zahl hat sich landkreisw­eit mehr als halbiert.

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