Augsburger Allgemeine (Land West)
Klagt der Landkreis?
CoronaRegeln Politiker streiten, Friseure öffnen, Wirte protestieren in einer bayernweiten Aktion, und stets geht es um die gleiche Frage: Wie kommen wir aus dem Lockdown?
Politiker streiten, Friseure öffnen, Wirte protestieren und stets geht es um die gleiche Frage: Wie kommen wir aus dem Lockdown?
Landkreis Augsburg Der Tisch ist gedeckt und das Bett gemacht – doch für wen? Während am Montag Friseure und Baumärkte wieder öffnen durften, wissen Hoteliers und Gastronomen immer noch nicht, wie es bei ihnen weitergeht. Zu denen, die am Montag stumm gegen die Corona-Politik in Bund und Land protestiert haben, gehört auch das traditionsreiche Hotel Platzer in Horgau und Finkl’s Pub in Dinkelscherben.
Zahlen des Statistischen Landesamtes belegen, wie sehr der Lockdown die Gastro-Branche schon im vergangenen Jahr getroffen hat. Den Kreis Augsburg haben 2020 nur noch rund 105.000 Gäste besucht – das sind 53 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Übernachtungen sank um 51 Prozent auf 203.000. Das teilt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf aktuelle Zahlen des Landesamtes mit. „Das Gastgewerbe erlebt eine historisch einmalige Krise, die auch die Beschäftigten mit voller Wucht trifft. Jetzt müssen Bund und Länder endlich einen Plan vorlegen, wie es im März weitergehen soll“, so Tim Lubecki, Geschäftsführer der NGGRegion Schwaben. Auch aus dem Einzelhandel werden die Klagen immer lauter, viele Geschäfte stehen mit dem Rücken zur Wand (wir berichteten).
Der Augsburger Landrat Martin Sailer (CSU) hat deshalb auch viel Beifall bekommen, als er vergangene Woche dem Freistaat mit einer Klage drohte, um für das Augsburger Land Lockdown-Lockerungen durchzusetzen. Maskenpflicht und das Alkoholverbot im öffentlichen Raum wollte Sailer aufheben, außerdem sollte wieder Sport auf großen Anlagen wie Tennisplätzen oder Reitanlagen gemacht werden dürfen – und der inhabergeführte Einzelhandel sollte seine Pforten öffnen dürfen.
Inhaltlich begründete der Landrat seinen Vorstoß mit der seit Wochen geringen Zahl von Neuinfektionen im Kreis Augsburg. Die Regierung von Schwaben lehnte den Antrag aber in Abstimmung mit dem bayerischen Gesundheitsministerium ab. Die Ausbreitung von Corona-Varianten überlagere die Entwicklung der Inzidenzwerte.
Die Reaktionen auf Sailers Vorstoß waren Rüffel vom Gesundheitsminister und vom CSU-Generalsekretär. Von anderen dagegen gab es Lob. Sailer jedenfalls sah am Montag keinen Anlass, von seiner Position abzurücken, ließ er über einen Sprecher mitteilen. Die Menschen müssten darauf vertrauen können, dass auch wirklich Lockerungen erfolgen, wenn bestimmte Zielmarken erreicht würden. Ob der Landkreis tatsächlich eine Normenkontrollklage anstrengt? Sailer will die Ergebnisse des Corona-Gipfels am Mittwoch abwarten.
Für nicht so glücklich hält der Meitinger Landtagsabgeordnete Fabian Mehring den Vorstoß des Landrats. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Münchner Landtag ist Mehring eingebunden in die Corona-Politik und hat mitgeschrieben an einem Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown, den seine Partei am Dienstag in München präsentieren will.
Wie Sailer will auch Mehring weiter gehende Öffnungen erreichen.
Er hält es allerdings für falsch, diese an die Inzidenzzahl zu koppeln. Mehring: „Wären wir vergangene Woche Herrn Sailer gefolgt, hätte das eine Katastrophe gegeben.“Eine Öffnung der Geschäfte würde die Infektionszahlen nach oben treiben, die steigende Inzidenz zu einem erneuten Lockdown führen. Mehring: „Das wäre am Ende auch für die Wirtschaft viel schlimmer. Sailer springt entschieden zu kurz.“Über das Wochenende ist die Inzidenz im Landkreis Augsburg wieder gestiegen.
Der Meitinger Politiker setzt unter anderem auf den massiven Einsatz von Corona-Tests, die Laien an sich selbst vornehmen können. Diese werden zum Beispiel in einem Bobinger Unternehmen hergestellt. Durch die erhöhte Testzahl gehe zwar die Zahl der erkannten Infektionen (und damit die Inzidenz) nach oben, „aber wir drücken die wahre Infektionszahl nach unten“, so Mehring.
Corona-Infektionen würden schneller erkannt, die Befallenen könnten sich isolieren. So könne die Seuche in Schach gehalten werden, bis die Impfungen flächendeckend wirken.
Zu der von Mehring und den Freien Wählern propagierten Strategie gehört auch die Öffnung von Einrichtungen auf Basis der Wahrscheinlichkeit, sich dort zu infizieren. Das zumindest wäre ein Hoffnungsschimmer für die Freiluft-Saison in den Wirtschaften. Mehring: „Im Biergarten streckt man sich bestimmt nicht so häufig an wie im ÖPNV.“