Augsburger Allgemeine (Land West)

Puppen geben alten Songs neuen Dreh

Brechtfest­ival Pavarotti singt die Kinderhymn­e und Kohl von der Wirkung des Geldes. Suse Wächters „Helden des 20. Jahrhunder­ts“lassen mit Brechtlied­ern aufhorchen

- VON BIRGIT MÜLLER‰BARDORFF

Mit einem Gesichtsau­sdruck, der von staunendem Glück spricht, steht Luciano Pavarotti in der Alten Försterei, dem Fußballsta­dion des Bundesligi­sten Union Berlin, und schmettert die Worte „Anmut sparet nicht noch Mühe“ins ArenaRund. Die Schneefloc­ken, die um ihn herum wirbeln, geben der Szenerie etwas Irreales – und das ist es ja auch: Startenor Luciano Pavarotti ist längst tot, und in seinem Smoking die Kinderhymn­e von Bertolt Brecht singend wirkt er im Fußballsta­dion wie ein Fremdkörpe­r. Noch dazu ist dieser Pavarotti nur circa 60 Zentimeter groß und aus Schaumstof­f und Gips.

Neben ihm steht im schwarzen Steppmante­l und mit schwarzer Baskenmütz­e seine Schöpferin, die Puppenmach­erin und -spielerin Suse Wächter. Ihre Kunst nennt sie Animation, denn das hat, vom lateinisch­en Wort „Anima“kommend, etwas mit Geist und Seele zu tun, und so versteht die Berlinerin sich auch: Sie haucht ihren Wesen Leben ein, indem sie sie beseelt.

Wie sie dies macht, ist derzeit beim digitalen Brechtfest­ival zu sehen in der Reihe „Helden des 20. Jahrhunder­ts singen Brecht“. In einem oder mehreren Kurzfilmen je Abend gibt Wächter bekannten ebenso wie seltener gehörte Liedern des Dichters einen neuen Dreh: Helmut Kohl singt, durchs Regierungs­viertel fahrend, „Das Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“, Gott sitzt im Turm der Gethsemane-Kirche und sinniert „Die Welt gefällt mir nicht mehr“, und Rosa Luxemburg haucht am Landwehrka­nal sehr berührend die „Ballade vom ertrunkene­n Mädchen“– Kontrastpr­ogramm zu den Brecht/ Weill-Liederrevu­en, die man schon oft zu hören und zu sehen bekam.

„Es ist etwas Künstliche­s, das scheinbar lebt.“So beschreibt Suse Wächter die Magie, die von ihren Figuren ausgeht. Mit dieser Art der Verfremdun­g sei sie ja auch „ganz nah bei Brecht“und seiner Vorstellun­g von Theater, sagt die Berlinerin bei einem Telefonges­präch. Dazu gehört auch, dass man sie als Spielerin und ihren Abstand zu der Rolle immer wahrnimmt. Fasziniere­nd sind Wächters Puppen, die in ihrer Wohnung am Prenzlauer Berg entstehen, vor allem aber in ihrer Ambivalenz des Gesichtsau­sdrucks, in dem Changieren zwischen freundlich und gefährlich oder, wie bei der Brecht-Figur, zwischen Weisheit und Arroganz. „Seine leicht geschlosse­nen Augen drücken beides aus, und ich muss mit meinem Spiel das eine oder das andere hervorkitz­eln“, sagt Suse Wächter.

Die Kurz-Videos, die sie für das Brechtfest­ival aufgenomme­n hat, sind ein „Ableger“, wie sie es nennt, aus einer dreistündi­gen Vorstellun­g. 2003 hatte sie in Zusammenar­beit mit den Festivalle­itern Jürgen Kuttner und Tom Kühnel „Helden des 20. Jahrhunder­ts“, einem Reigen von prägenden Figuren der Geschichte, für die Bühne herausgebr­acht. Inspiriere­n ließ sich Wächter dazu vom indischen HeldenEpos „Mahabharat­a“, das sie in Indonesien mehrfach als Puppenspie­l sah. Das Programm ist mittlerwei­le abgespielt, aber immer wieder kämen Figuren und Episoden daraus zum Einsatz, berichtet die deutschlan­dweit gefragte Puppenmach­erin und -spielerin. Als Jürgen Kuttner nun anregte, einige dieser Figuren mit Brechtlied­ern auftreten zu lassen, habe sie erst einmal geschluckt, gesteht sie. Der Anspruch, der sich mit diesen Songs verbinde, auch die Abgedrosch­enheit einiger Evergreens hätten sie abgeschrec­kt. Aber dann war doch der Reiz, es noch einmal mit Brecht aufzunehme­n und die Not, nicht live spielen zu können, sich auf das für sie neue Medium Film einlassen zu müssen, haben Wächter Türen für ihre Neugier und Kreativitä­t geöffnet, damit die Puppen ihre Live-Magie im Film entfalten können.

Ja, und auch mit der Abgedrosch­enheit mancher Songs ist Suse Wächter dann ganz gut zurechtgek­ommen. Den Eindruck hat man, wenn sie in amüsiertem Ton erzählt, wie sie Mäckie Messers HaifischSo­ng in einer „wüsten Performanc­e“mit Yoko Ono in japanische­r Sprache inszeniert hat. Beim Brechtfest­ival ist dieser Clip allerdings nicht zu sehen. Aber wer weiß, vielleicht lassen sich die Festivalma­cher ja zu einem Bonustrack im nächsten Jahr hinreißen. Glaubt man den begeistert­en Kommentare­n im Chat des Livestream­s, würden sich viele Zuschauer freuen.

Livestream des Brechtfest­ivals ab 19.30 Uhr unter www.brechtfest­ival.de

 ?? Foto: Tobias Kruse, Ostkreuz ?? Puppenspie­lerin Suse Wächter mit ihren „Helden des 20. Jahrhunder­ts“, von denen nun einige Brecht‰Songs zum Besten geben.
Foto: Tobias Kruse, Ostkreuz Puppenspie­lerin Suse Wächter mit ihren „Helden des 20. Jahrhunder­ts“, von denen nun einige Brecht‰Songs zum Besten geben.

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