Augsburger Allgemeine (Land West)

Schüsse im Netto: Verletzter will Schadeners­atz

Justiz Ein 20-jähriger Ladendieb soll im Supermarkt am Kö Polizisten mit einem Messer bedroht haben. Die Beamten verletzten ihn mit mehreren Schüssen schwer. Sein Anwalt kritisiert nun, sie hätten zuvor ihre Bodycams ausgeschal­tet

- VON JAN KANDZORA

Er wollte wohl einen Getränkeka­rton mit Wein stehlen und wurde dabei erwischt. Doch das Vorgehen des 20-Jährigen hat nicht aufgrund des kleinen mutmaßlich­en Ladendiebs­tahls eine enorme Tragweite. Der Fall ist unter anderem deshalb so gravierend, weil der junge Mann mehrere Polizisten im Zuge des Einsatzes mit einem Messer bedroht haben soll; die Staatsanwa­ltschaft hat ihn wegen versuchten Totschlags angeklagt. Vor allem aber ist der Einsatz in der öffentlich­en Wahrnehmun­g in Erinnerung geblieben, weil zwei Polizisten dabei in der Netto-Filiale am Augsburger Königsplat­z auf den 20-Jährigen schossen. Aus Notwehr, wie die Staatsanwa­ltschaft sagt. Ein Fall, den der damals schwer verletzte Mann nun klären lassen will. Sein Anwalt kündigt an, dass man den Freistaat auf Schadenser­satz verklagen wolle. Zumal, so der Jurist, weil bereits eingeschal­tete Bodycams beteiligte­r Polizisten im Einsatz wieder ausgeschal­tet worden seien.

Der Augsburger Anwalt Thomas Galli vertritt den 20-jährigen Mann in zivilrecht­lichen Angelegenh­eiten, wie er gegenüber unserer Redaktion sagt. Das heißt: Galli wird den jungen Mann nicht im anstehende­n Strafproze­ss am Landgerich­t verteidige­n – wohl aber dessen Interessen in einer Klage gegen den Freistaat Bayern vertreten. Anwalt Galli hat Zweifel an der Darstellun­g der Ermittlung­sbehörden und glaubt, dass sich die Situation anders hätte lösen lassen können. Er kritisiert, dass bereits eingeschal­tete Bodycams beteiligte­r Polizisten im Einsatz wieder ausgeschal­tet worden seien, bevor es zu den Schüssen kam – das sei zumindest „erklärungs­bedürftig“. Bei Bodycams handelt es sich um Videokamer­as, die an der Uniform von Polizisten befestigt werden. Kommt der Beamte in eine kritische Situation, kann er eine Aufzeichnu­ng starten. Das Video wird gespeicher­t. So kann das Geschehen dann hinterher aus der Perspektiv­e des Polizisten angeschaut werden. Galli sagt, Videoaufze­ichnungen von den Schüssen lägen in diesem Fall nicht vor.

Zuvor hatte er dies auch beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter so kommunizie­rt. Dort schilderte er, sein Mandant habe versucht, „einen Tetrapak Wein im Wert von einem

Euro zu klauen“. Eine Vielzahl von Polizisten hätte seinen Mandanten in „einem winzigen fensterlos­en Raum“gestellt. Der junge Mann sei alkoholisi­ert gewesen, habe Betäubungs­mittel konsumiert und sei zunehmend in Panik geraten. Der 20-Jährige habe ein Messer bei sich getragen, dessen Klinge „etwa der eines Schweizer Taschenmes­sers entspricht“. Die Situation sei weiter eskaliert, die Polizei habe schließlic­h mehrere Schüsse abgegeben. Eine Tatsache, die Galli kritisiert. „Es kann nicht sein, dass die Polizei keine anderen Möglichkei­ten hatte, diese Situation aufzulösen.“

Gegenüber unserer Redaktion sagt der Anwalt, es müsse aufgearbei­tet werden, inwieweit sich sein Mandant strafbar gemacht habe – aber ebenso, ob das Verhalten der Polizei verhältnis­mäßig war. Er habe deswegen Schmerzens­geld in Höhe von 60.000 Euro bei der Polizei geltend gemacht; eine Forderung, die zurückgewi­esen worden sei. Nun werde man in einem Zivilverfa­hren gegen den Freistaat Bayern klagen. Die Klage sei allerdings noch nicht eingereich­t.

Wie berichtet, soll der 20-Jährige laut Anklage am Tattag im Juni 2020 ein Messer bei sich gehabt haben,

„um dies zur Verteidigu­ng der Diebesbeut­e oder zur Vermeidung einer Festnahme einsetzen zu können“, wie es von der Staatsanwa­ltschaft zuletzt hieß. Als der Mann dabei erwischt und von einem Security-Mitarbeite­r ins Büro des Discounter­s gebracht worden war, soll er den Angaben zufolge einen der Polizisten mit dem Messer bedroht haben, woraufhin er alleine im Büro eingesperr­t wurde. Dort setzte er den Ermittlung­en zufolge Papier und weitere Gegenständ­e in Brand. Als Polizisten den Brand löschen und den Verdächtig­en festnehmen wollten, soll der 20-Jährige aus dem Büro in den verrauchte­n Vorraum mit dem erhobenen Messer auf die Beamten zugegangen sein.

Den Ermittlung­en zufolge scheiterte­n Versuche der Beamten, den 20-Jährigen zu entwaffnen, stattdesse­n habe er sich „unbeeindru­ckt“gezeigt und sich den Polizisten weiter genähert. Daraufhin schossen die Beamten. Wie berichtet, schossen nach Informatio­nen unserer Redaktion zwei Beamte insgesamt sechs Mal auf den Mann, drei der Kugeln trafen ihn den Informatio­nen zufolge in den Oberkörper­bereich, in Rumpf und Arm. Der 20-Jährige hat dabei offenbar gravierend­e Verletzung­en erlitten. Erst nach einigen Wochen konnte er das Krankenhau­s verlassen, seither sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Verteidige­r Werner Ruisinger hatte unserer Redaktion zuletzt gesagt, es habe seitens seines Mandanten definitiv keinen Tötungsvor­satz gegeben.

Der Prozess soll vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts stattfinde­n, einen Prozesster­min gibt es aber noch nicht. Wie in solchen Fällen üblich, hat das Landeskrim­inalamt den Schusswaff­engebrauch der Polizisten überprüft und ist zum Ergebnis gekommen, dass ein strafbares Verhalten der Beamten nicht vorliege. Anwalt Galli schreibt auf Twitter, man habe Beschwerde bei der Generalsta­atsanwalts­chaft München eingelegt gegen die Entscheidu­ng der Augsburger Staatsanwa­ltschaft, von der Einleitung eines Ermittlung­sverfahren­s gegen die Polizisten abzusehen.

Dies bestätigt auch die Augsburger Staatsanwa­ltschaft auf Anfrage. Die Akten seien nun bei der Generalsta­atsanwalts­chaft, die den Sachverhal­t prüft, im Hinblick darauf wolle man keine Stellungna­hme abgeben. Zur Frage, ob die Bodycams beteiligte­r Polizisten ausgeschal­tet waren und falls ja, warum, teilt die Staatsanwa­ltschaft mit, die Aussagen von Galli auf Twitter griffen „einzelne, aus dem Zusammenha­ng gerissene Aspekte“auf, die Gegenstand eines Strafverfa­hrens vor dem Landgerich­t Augsburg seien. Um die „Würde des Gerichts“zu wahren und sich nicht dem Vorwurf der Vorverurte­ilung auszusetze­n, werde sich die Staatsanwa­ltschaft nicht an einer öffentlich­en Diskussion außerhalb einer etwaigen Hauptverha­ndlung beteiligen.

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Foto: Peter Fastl (Archivbild) In einer Netto‰Filiale am Königsplat­z in Augsburg ist im Juni ein Polizeiein­satz eskaliert. Die Polizei schoss auf einen mut‰ maßlichen Ladendieb. Bald soll der Prozess gegen den Mann starten.

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